Reform der Grundsteuer:Eine Chance für mehr Gerechtigkeit

Grundsteuer Immobilienmarkt nach Urteil von Bundesverfassungsgericht

Die meisten Mieter zahlen pünktlich. Wer das nicht schafft, braucht Hilfe - und verständnisvolle Vermieter.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Das Verfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber den Auftrag für eine längst überfällige Reform. Die Umgestaltung der komplizierten Steuer wird allerdings eine herkulische Arbeit .

Kommentar von Heribert Prantl

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beendet den Schlaf. Es beendet den Schlaf des Gesetzgebers, der bei der Grundsteuer seit Jahrzehnten frivol untätig ist; der Staat und seine Finanzverwaltung haben sich auf Berechnungsgrundlagen ausgeruht, die im Westen des Landes aus dem Jahr 1964 und im Osten des Landes aus dem Jahr 1935 stammen. Diese Werte, die sich "Einheitswerte" nennen, sind in Wahrheit Spaltungswerte; sie spalten erstens Ost und West, und sie spalten zweitens die Gesellschaft, weil sie ungeheuer ungerecht sind.

Ungerecht sind sie, weil sie exorbitante Wertsteigerungen von Grundstücken ebenso wenig berücksichtigen wie Wertverluste. Das Urteil beendet also den Schlaf der Vernunft, indem es die derzeit herrschende steuerliche Unvernunft für verfassungswidrig erklärt. Das Urteil beendet, wenn es gutgeht, auch den ruhigen Schlaf der Bodenspekulanten, die bisher das Recht hatten, unbehelligt im Schlaf ungeheuer reich zu werden.

Das Urteil aus Karlsruhe war überfällig; es kann eine Chance sein für mehr Gerechtigkeit in diesem Land. Der Weg dahin wird nicht leicht, weil man bei der Abschaffung von alten Ungerechtigkeiten nicht neue anrichten darf. Es geht nicht ums große Abkassieren, sondern ums Umsteuern. Bei der Besteuerung von Immobilien hat sich der Gesetzgeber jahrzehntelang unglaublich immobil verhalten.

Es ist Jahrzehnte her, dass der damalige bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Georg Kronawitter grimmig vom nächtlichen Treiben auf den Äckern des August von Finck berichtete. Er sprach von zwanzig Millionen Quadratmetern Bauerwartungsland vor den Toren Münchens, das damals eine gewaltige Wertsteigerung erfuhr. In fast jeder seiner Veranstaltungen prangerte der Abgeordnete, der bald darauf Münchner Oberbürgermeister wurde, die leistungslose Bereicherung des Großgrundbesitzers an: "Jeden Morgen, wenn Herr von Finck wach wird, ist er um eine Million reicher geworden; auf ganz legale Weise, ohne Arbeit, ohne Leistung, ohne eigenes Zutun."

Kronawitter ist im Jahr 2016 gestorben, aber an den von ihm kritisierten Zuständen hat sich nichts Grundlegendes geändert. Im Gegenteil. Die Baulandpreise in Deutschland sind gestiegen und gestiegen, die Bodenspekulation hat abenteuerliche Ausmaße angenommen. Aber die Forderung etwa der Bayerischen Verfassung, dass "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- und Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, für die Allgemeinheit nutzbar zu machen" sind, ist ein leeres Sprüchlein geblieben. Die leistungslosen Gewinne werden bis heute nicht abgeschöpft. Das Steuerrecht fördert die Creatio ex nihilo, die Wertschöpfung aus dem Nichts. Es lädt dazu ein, nicht zu bauen und auf weiter steigenden Bodenwert zu spekulieren.

Eine Reform muss den Umgang mit begehrten Flächen klug steuern

Solche Bodenspekulation schlägt sich auf die Wohnkosten nieder, die mittlerweile ein Armutsrisiko darstellen. Über eine Million Haushalte in den deutschen Großstädten haben heute nach Abzug der Miete weniger Geld zum Leben als nach dem Hartz-IV-Regelsatz. Keine Mietpreisbremse war und ist in der Lage, das zu stoppen. Im Koalitionsvertrag stehen Steueranreize für den Mietwohnungsbau, dort steht auch eine Passage über ein neues Baukindergeld. Aber eigentlich fehlt es nicht an willigen Investoren und auch nicht an Häuslebauern. Es fehlt in erster Linie an Bauland. Die explodierenden Grundstückspreise sind der zentrale Grund, warum die Mieten und das Bauen so teuer geworden sind. Eine kluge Neuordnung des Bodenrechts ist daher kein sozialistischer Unfug, sondern eine Notwendigkeit.

Die Fundamentalreform der Grundsteuer, die Karlsruhe jetzt angeordnet hat, kann da ein guter Anfang sein. Eine Neuordnung des Bodenrechts ist zwar nicht die Hauptstoßrichtung des Karlsruher Urteils. Aber die Reformen, die jetzt notwendig sind, bieten die Gelegenheit, nicht nur Ungerechtigkeiten im Steuerbescheid zu glätten, sondern auch den Umgang mit den begehrten Flächen klug zu steuern.

Vor dem Gesetzgeber und der Finanzbürokratie liegt eine herkulische Arbeit: 35 Millionen Grundstücke in Deutschland müssen neu bewertet werden. Der Gesetzgeber muss sich zuvor klar werden, nach welchen Kriterien er diese Grundstücke bewerten will, an welchem Wert er sich bei der Grundsteuer orientiert: Nimmt man den Schätzwert der gesamten Immobilie, also Boden plus Bebauung? Nimmt man den bloßen Bodenwert? Orientiert man sich dabei an erzielbaren Mieteinnahmen? Oder eher schematisch an der Bodenfläche? Klar ist derzeit nur: So wie bisher geht es nicht weiter.

Die deutsche Grundsteuer gehört zu den kompliziertesten Steuern der Welt; sie ist eine Zufallssteuer, wie ausgewürfelt. Die bisherigen Berechnungsmodelle erinnern weniger an Recht denn an das Hexeneinmaleins aus Goethes "Faust". Weil gegenwärtig wieder viel von "Recht und Ordnung" die Rede ist - hier ist wirklich fruchtbarer Boden dafür.

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