Reform:Was sich 2017 für Pflegebedürftige ändert

Altenpflegeausbildung

Manche alte Menschen können noch allein essen und trinken, sie tun es aber nur, wenn man sie ermuntert. Auch dieser Aufwand wird nun berücksichtigt.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Von Januar an gelten neue Regeln für Millionen Pflegebedürftige. Wie viel Geld sie bekommen und was jetzt zu tun ist.

Von Berrit Gräber

Die umstrittene "Minuten-Pflege" hat ausgedient: Zum Jahreswechsel kommt das Pflegestärkungsgesetz II und reformiert die Einstufung der Pflegebedürftigkeit von Millionen Kranken. Es ist die größte Neuerung seit Einführung der Pflegeversicherung. Entscheidend wird 2017, wie selbständig jemand noch seinen Alltag meistern kann. Aus den heute drei Pflegestufen werden dann fünf Pflegegrade. Vor allem Demenzkranke und Menschen, die zu Hause gepflegt werden, bekommen deutlich mehr Geld.

Aber: Nicht alle profitieren vom neuen System. Menschen mit rein körperlichem Handicap etwa, die absehbar pflegebedürftig werden, sollten möglichst noch bis Silvester einen Pflegeantrag stellen, rät Verena Querling, Pflegerechtsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Begutachtung nach den alten Regeln bringt Betroffenen lebenslang finanzielle Vorteile. Auch die Betreuung im Pflegeheim wird für viele künftig teurer. Ein Überblick.

Das ist neu

Von 2017 an spielen geistige und psychische Beeinträchtigungen bei der Einstufung von Pflegebedürftigkeit eine viel größere Rolle als bisher. Für die fünf Pflegegrade zählen nicht mehr nur körperliche Einschränkungen, sondern auch die Abhängigkeit von Helfern im Alltag. Davon profitieren vor allem Demenzkranke, die körperlich fit sind, aber bei täglichen Dingen wie Zähneputzen, Anziehen oder Waschen Hilfe brauchen. Diese Patienten zählen zu den Gewinnern der Reform. Sie bekommen bis zu 609 Euro mehr im Monat, um zu Hause besser versorgt werden zu können. Die Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK) prüfen von 2017 an sechs Bereiche wie etwa Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhalten und Selbstversorgung im Alltag und ermitteln daraus den Pflegegrad. Je unselbständiger der Patient, desto höher seine Einstufung.

So wird konkret umgestellt

Die Mehrzahl der etwa 2,7 Millionen Pflegebedürftigen muss bei der Umstellung aufs neue System gar nichts tun. Der Wechsel findet automatisch statt, ohne neue Begutachtung. Menschen mit körperlichen Handicaps, die im Alltag noch ohne Hilfe gut zurechtkommen, werden dem nächst höheren Pflegegrad zugeteilt - also beispielsweise von Pflegestufe I auf Grad 2, von II auf Grad 3. Die Überleitung bringt vielen mehr Geld. Ein Beispiel: Wer mit rein körperlichem Handicap von der heutigen Pflegestufe I, die die meisten Pflegebedürftigen haben, auf Pflegegrad 2 kommt, bekommt statt bisher 244 Euro künftig 316 Euro im Monat. Von II auf 3 steigen die Leistungen von 458 auf 545 Euro. Lediglich der Übergang von III auf 4 bringt keine Verbesserung mit sich. Menschen mit geistigen oder psychischen Einschränkungen wie Demenzkranke kommen von 1. Januar an in den übernächsten Pflegegrad. Beim Sprung von Pflegestufe I auf Pflegegrad 3 steigt die Leistung beispielsweise von 316 auf 545 Euro.

Reform: SZ-Grafik; Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

SZ-Grafik; Quelle: Bundesministerium für Gesundheit

Das sollte man jetzt tun

Menschen mit rein körperlicher Beeinträchtigung haben es künftig schwerer, einen höheren Pflegegrad attestiert zu bekommen. Ist die Pflegebedürftigkeit absehbar, sollten sie noch rasch einen Pflegeantrag stellen, rät Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Dafür ist noch bis zum Jahresende Zeit. Auch wenn der Gutachter dann erst 2017 kommt, werden sie noch nach dem alten Verfahren begutachtet und letztlich finanziell besser gestellt. Denn: Je höher der Pflegegrad, desto höher die Zahlungen der Pflegekasse. Wer nach dem alten System die Pflegestufe I mit monatlich 244 Euro erreicht, wechselt automatisch in Grad 2 mit 316 Euro. In Grad 1 zahlt die Pflegekasse nur 125 Euro. Etwa 125 000 Menschen seien davon betroffen, sagt Brysch. Problem für weitere 50 000 Patienten, die einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch nehmen könnten: Stellen sie den Antrag erst 2017, zahlen die Kassen ebenfalls nur 125 statt bisher 468 Euro.

Das Heim wird teurer

Weil von Januar an der Schwerpunkt auf der ambulanten Pflege zu Hause liegen soll, wird die Heimbetreuung für viele Patienten teurer. "Obere Pflegegrade bekommen künftig mehr Geld bei stationärer Pflege, untere weniger", sagt Verbraucherschützerin Querling. Versicherte, die bald ins Pflegeheim gehen wollen, sollten sich ebenfalls noch bis Silvester kümmern und einen Antrag stellen. Wer erst im kommenden Jahr in eine stationäre Einrichtung zieht und einen niedrigen Pflegegrad erhält, etwa 1 oder 2, hat finanzielle Einbußen. Denn: Für die vollstationäre Pflege etwa in Stufe I zahlt die Pflegekasse in 2016 noch 1064 Euro, nach der Umstellung auf Pflegegrad 2 nur noch 770 Euro. Hinzu kommt: Künftig müssen Heimbewohner einen einheitlichen Eigenanteil bezahlen, im Schnitt etwa 600 Euro. Derzeit hängt die Höhe von der Pflegestufe ab. Menschen mit niedrigem Pflegegrad müssen daher bald mehr zahlen. "Das kann einige Hundert Euro Mehrausgaben im Monat bedeuten", sagt Brysch. Bei allen, die noch bis zum Jahresende ins Heim umziehen, zahlt die Pflegekasse aber einen Zuschuss und gleicht so die Differenz zwischen dem alten und dem neuen Eigenanteil aus.

Das sind die Probleme

Insgesamt fließen von Januar an rund sechs Milliarden Euro mehr in die Pflege. Von einem Tag auf den anderen erhalten viele Menschen deutlich mehr Leistungen. Der Anreiz, so lange wie möglich ambulant zu Hause betreut zu werden, steigt. Doch schon jetzt ist das Pflegepersonal mehr als knapp. Nach Einschätzung des Paritätischen Wohlfahrtverbands fehlen etwa 30 000 Pflegekräfte bundesweit. Zur Finanzierung der Reform steigt 2017 der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent (für Versicherte mit Nachwuchs) und 2,8 Prozent (für Kinderlose).

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