Referendum in Griechenland:Wenn das Nein tödlich sein kann

Referendum in Griechenland: Der an Mukoviszidose erkrankte Dimitrios Kontopidis in Athen

Der an Mukoviszidose erkrankte Dimitrios Kontopidis in Athen

(Foto: Hans von der Hagen)

Griechenland ist vor der Abstimmung am Sonntag tief gespalten. Der an Mukoviszidose erkrankte Dimitrios Kontopidis etwa fürchtet im Fall eines Euro-Austritts um sein Leben.

Reportage von Hans von der Hagen, Athen

Als Dimitrios Kontopidis hörte, dass es ein Referendum geben würde, ahnte er sofort, dass die Geschichte schlimm enden könnte. Noch in der Nacht schickte er die Verwandten zum Bankautomaten, zur Tankstelle und am Morgen dann zur Apotheke.

Medikamente sind wichtig für ihn, sie bestimmen seinen Alltag. Doch was ihm jetzt droht, lässt sich mit einem vorsorglichen Gang zur Apotheke nicht mehr bewältigen: Wenn beim Referendum die Mehrheit der Leute mit Nein stimmen wird, droht ihm womöglich in wenigen Jahren der Tod. Kontopidis ist unheilbar krank. Er hat Mukoviszidose, eine tückische Stoffwechselkrankheit, die Körpersekrete zähflüssig werden lässt. Die Patienten sterben an der zystischen Fibrose, wie die Krankheit auch genannt wird, meist in jungen Jahren.

Natürlich fragt sich Kontopidis wie viele Griechen in diesen Tagen, ob er vielleicht die Folgen eines Nein überschätzt. Muss Griechenland die EU dann wirklich verlassen?

Aber keiner sagt, was ein Nein am Ende wirklich bedeutet - schon gar nicht die Regierung. Dabei engagiert sich Kontopidis selbst in der Politik, er ist Mitglied bei der linksliberalen Partei To Potami, übersetzt: der Fluss. Deren Mitglieder liegen oft auf Linie des Premierministers Alexis Tsipras, doch Kontopidis kann sich das nicht mehr leisten. Er braucht ein Ja im Referendum - wie die übrigen rund 700 Mukoviszidose-Patienten in Griechenland. Nur dann wird das Land die Behandlung dieser Krankheit noch bezahlen können.

Große Unterschiede in der Lebenserwartung

Es fängt schon bei den Medikamenten an: Wer soll künftig die 3000 bis 5000 Euro im Monat aufbringen, wenn die Drachme zurückkommt und im Verhältnis zum Euro plötzlich nur noch ein Drittel ihres Wertes hat, wie Ökonomen vorrechnen? Die Arzneien müssen importiert werden, sie sind zu speziell, als das sie derzeit in Griechenland hergestellt werden könnten.

Bislang übernimmt die Kosten dafür der Staat. Allein die Medikamente helfen allerdings noch nicht, das Leben deutlich zu verlängern. Erst speziell ausgebildete Ärzte und Krankenhäuser in Kombination mit den Medikamenten können viel erreichen. Kontopidis hat ein paar Zahlen parat: Obwohl EU-weit die gleichen Medikamente vorlägen, hätten in Großbritannien Patienten eine Lebenserwartung von im Schnitt 43 Jahren, in Griechenland hingegen inoffiziellen Daten zufolge nur eine von 30 Jahren. Einer der Gründe: In Großbritannien kümmern sich ganze Ärzteteams um einen Patienten, in Griechenland nur ein Arzt. Zum Vergleich: In Serbien, das nicht zur EU gehört, soll die Lebenserwartung nur bei 23 bis 25 Jahren liegen. Viele Länder sammeln die Daten nur unzureichend - wenn überhaupt.

Ohnehin ist es nicht leicht, die Krankheit in Zahlen zu fassen. Sie bricht nur aus, wenn beide - an sich gesunde - Elternteile bestimmte Veränderungen in den Genen haben. Bekommen sie Nachwuchs, lösen die Gen-Defekte zusammen beim Kind die Krankheit aus, die je nach Mutation bei den Eltern ganz unterschiedliche Verläufe nehmen kann.

Auf seinem Lebensbarometer ist Kontopidis nur noch bei 30 Prozent

Kontopidis weiß nicht genau, wie alt er werden wird. 35 Jahre vielleicht? Heute ist er 30 Jahre alt. Die Krankheit befällt mehrere Organe, besonders bemerkbar macht sie sich allerdings in der Lunge, wo sich die zähflüssigen Sekrete Tag für Tag sammeln. Die können zu schweren Infektionen führen und zunehmend die Atemwege zerstören. Kontopidis hat noch 30 Prozent seiner Lungenfunktion. Diese Funktion ist bei Mukoviszidose das Lebensbarometer. Sie gibt an, wie viel Zeit noch bleibt. 30 Prozent Lungenfunktion bedeuten 32 Jahre Lebenserwartung, sagt Kontopidis.

Als ein Freund von ihm bereits mit 17 Jahren starb, wurde er stutzig. Wie kann es sein, dass in Großbritannien die Patienten im Schnitt so viel älter werden? Wie kommen die Unterschiede zustande? Das war vor vier Jahren. Eigentlich wollte Kontopidis Architekt und Grafikdesigner werden, doch er gab sein Studium auf und widmete sich fortan ganz der Krankheit. Er begann, ehrenamtlich bei der Gesellschaft für zystische Fibrose mitzuarbeiten, deren Präsident er nun ist. Geld bekommt er dafür nicht. Er lebt von 300 Euro, die ihm der Staat monatlich zahlt.

In denen vergangenen Jahren hat er mit dieser Organisation einiges erreicht. Zunächst ging es darum, überhaupt erst einmal eine Akzeptanz für die Krankheit in der Gesellschaft zu schaffen. Etwa mit Hilfe von Dokumentarfilmen über die Krankheit im griechischen Fernsehen. Im ersten Film, sagt Kontopidis, konnten sie die Folgen dieser Krankheit nur andeuten. Es musste ein positiver Film sein, weil Angehörige und selbst Betroffene die Krankheit und den damit einhergehenden frühen Tod oft nicht wahrhaben wollen.

Dabei können Patienten gerade bei Mukoviszidose mit gezielten Übungen und Inhalationen das Fortschreiten bremsen. Kontopidis etwa nimmt sich jeden Tag drei bis vier Stunden Zeit, um durch spezielle Übungen die Lungen zu reinigen. Hinzu kommen etwa intravenöse Antiobiotika-Therapien. Auch Kontopidis trägt eine Infusionsnadel am linken Arm wie andere Menschen eine Uhr.

In Europa bleiben heißt länger leben

Mit seiner Organisation, die es seit 1983 gibt, hat er zuletzt einiges erreicht: Mittlerweile können Patienten aus Griechenland sich in Österreich eine Lunge transplantieren lassen. Weitere Kooperationen gibt es mit Großbritannien. All das zahlt die EU - genau wie die Nachsorge für diese Operationen. Im Sommer soll zudem ein neues Medikament auf den Markt kommen, das helfen könnte, bei Patienten mit bestimmten Genveränderungen das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. 2017 soll ein weiteres Medikament auf den Markt kommen, das auch für Kontopidis wichtig wäre.

In Europa zu sein heißt für Kontopidis: ein paar Jahre länger leben zu können. Und das, was in den vergangenen vier Jahren auch für die anderen Patienten erreicht wurde, zu erhalten. Dass man in Brüssel verstanden hat, wie wichtig das Geld ist, zeigt sich auch in den Sparzielen, die die EU Griechenland für die Fortsetzung des Rettungspakets vorgibt: Das Budget für die Schwerkranken blieb unangetastet. Muss aber Griechenland die EU verlassen, wäre alles umsonst, fürchtet Kontopidis.

Am Samstag soll er nach Kroatien fliegen. Patienten dort haben gefragt, ob er ihnen helfen würde, eine vergleichbare Organisation aufzubauen. In Kroatien steht man bei der Behandlung dieser Krankheit noch ganz am Anfang. Kontopidis weiß nicht, ob er fliegen kann. An dem Wochenende ist ja das Referendum.

Dort wird es für alle Griechen darum gehen, wie viel Luft ihnen künftig zum Atmen bleibt. Für die meisten im übertragenen Sinn, für Kontopidis im wörtlichen. Seine Organisation druckt einen zuversichtlichen Slogan auf T-Shirts, Tassen und Schreibblöcke: "Each breath a step closer to our dreams." Sie wissen: Je schrecklicher die Krankheit ist, desto harmloser muss alles wirken, damit man die Patienten anhört.

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