Reden wir über Geld:"Armut wird vererbt, das ist die große Misere"

Wolfgang Conradis

Vor 40 Jahren entschied Wolfgang Conradis, die Schwächeren zu verteidigen.

(Foto: Volker Wiciok)

Der Sozialanwalt Wolfgang Conradis erlebt jeden Tag die Abgründe der Sozialhilfe. Vor Gericht streitet er für Hartz-IV-Empfänger - manchmal sogar über ein Wurstbrötchen.

Von Alexander Hagelüken und Thomas Öchsner

Wolfgang Conradis, 70, hat in seinem Leben als Sozialanwalt schon Tausende Hartz-IV-Empfänger gesehen: Alleinerziehende mit drei Kindern. Selbständige, die ihre Einnahmen aus einem Kiosk mit der staatlichen Grundsicherung aufstocken. Väter, die arbeiten, aber bei fünf Kindern zu wenig verdienen - und diejenigen mit psychischen Problemen, ohne Joberfahrung und kaum vermittelbar. Immer wieder ist es ihm dabei passiert, dass jüngere Hartz-IV-Mandanten aus Familien kommen, die früher schon die Sozialhilfe bezogen haben. "Armut wird vererbt, das ist die große Misere. Wenn Eltern nicht vermitteln können, dass Arbeiten zum Leben gehört, lernen es die Kinder nicht", sagt er.

Als junger Anwalt vor mehr als 40 Jahren war für Conradis klar: Er will diejenigen vertreten, die schwächer gestellt sind: Arbeitnehmer, Mieter, Sozialhilfeempfänger. Bereut hat er das nie, obwohl sich damit weniger verdienen lässt. Aber dass es einmal "so schwierig mit den Jobcentern wird, habe ich nicht für möglich gehalten", sagt er.

Seine Mängelliste ist lang: Die Hartz-IV-Bescheide seien häufig viel zu kompliziert, sehr lang, für den Laien unverständlich. "Fast die Hälfte der Fälle, die wir hier machen, ist eigentlich überflüssig, weil die Bescheide fehlerhaft sind, wir die Ämter nicht erreichen können und weil die Bescheide so unübersichtlich sind." Oft sei der Aufwand der Behörde größer als der Ertrag. Es kann dabei um nicht einmal 50 Euro Fahrgeld für den Weg zum Sportverein gehen, um Wurstbrötchen bei Umzügen, wie Leistungen bei getrennt lebenden Eltern zu verteilen sind und allzu oft um Fälle, bei denen das Jobcenter nicht innerhalb einer bestimmten Frist reagiert. "Das ist für Anwälte leicht verdientes Geld, kostet die Allgemeinheit aber Geld", sagt der Jurist.

Richtig ärgern kann sich der Rechtsanwalt darüber, dass er bestimmte Sachbearbeiter in den Jobcentern nicht direkt anrufen kann. "Das ist eine der größten Schwierigkeiten, die wir haben. Man kann auch nicht die Hotline anrufen und mit dem zuständigen Sachbearbeiter verbunden werden."

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