Reaktor Angra in Brasilien:Wir bauen uns ein Atomkraftwerk

Die Katastrophe im japanischen Meiler Fukushima-1 besiegelte in Deutschland das Ende der Atomenergie. Doch andere Länder setzen weiter auf Atomkraft. In einer paradiesischen Gegend Brasiliens wird nun ein deutsches Kraftwerk gebaut, das 30 Jahre als Bausatz eingelagert war.

Von Oliver Hollenstein, Angra dos Reis

17 Bilder

Angra dos Reis

Quelle: SZ

1 / 17

Die Katastrophe im japanischen Meiler Fukushima-Daiichi (1) besiegelte in Deutschland das Ende der Atomenergie. Während die deutschen Reaktoren abgeschaltet werden, setzen andere Länder aber weiter auf Atomkraft. In Brasilien wird nun ein deutsches Kraftwerk gebaut, das 30 Jahre als Bausatz eingelagert war.

Costa Verde, die grüne Küste, nennen die Einheimischen den Landstreifen, der sich von Rio de Janeiro nach São Paulo am Atlantik erstreckt. Hier liegt die Hafenstadt Angra dos Reis. Ein Paradies mit malerischen Stränden. Selbst im Winter fällt die Temperatur selten unter 20 Grad. Und der perfekte Ort, um die beiden Metropolregionen und ihre 30 Millionen Einwohnern mit Strom zu versorgen. Mit Atomstrom.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: SZ

2 / 17

1972 begannen die Brasilianer in der Wildnis an der Atlantikküste mit dem Bau ihres ersten Atomkraftwerks. Angra 1 wurde von der amerikanischen Firma Westinghouse geliefert. Unter den Technikern bekam der Reaktor bald den Spitznamen "Glühwürmchen", weil er einfach nicht stabil laufen wollte: an, aus, an, aus. Das brasilianische Atomprogramm startete holprig und blieb kompliziert.

Atomkraftwerk Angra in Brasilien

Quelle: Oliver Hollenstein

3 / 17

1975 unterschrieb die brasilianische Militärregierung ein Atomabkommen mit Deutschland. Siemens und die Kraftwerksunion (KWU) lieferten die Komponenten für die Reaktoren Angra 2 und Angra 3. Doch dann wurde Brasilien wieder demokratisch, das Geld ging dem Land aus, Tschernobyl explodierte. Es sollte schließlich 26 Jahre dauern, bis Angra 2 (im Bild vorn) in Betrieb ging.

Atomkraftwerk, Angra, Brasilien, Atomkraft

Quelle: SZ

4 / 17

Die Reaktoren von Angra stehen direkt am Meer. Wie bei Fukushima-1. Nach der Katastrophe in Japan haben die Brasilianer diskutiert, ob der Reaktor sicher ist. Eine Flutwelle von der einen Seite, ein Erdrutsch von der anderen, beides könnte dem Kraftwerk gefährlich werden, sagen Kritiker. Aber die schnell wachsende Volkswirtschaft Brasilien hat aus Sicht der Atombefürworter dringendere Probleme: Im Oktober gab es einen Stromausfall, 50 Millionen Menschen saßen stundenlang im Dunkeln. Vor Jahren musste der Strom gar rationiert werden. Das Problem: Drei Viertel der brasilianischen Energie kommen aus Wasserkraft, aber im Sommer gibt es zu wenig Wasser. Atomkraft macht bisher nur drei Prozent aus. Aber sie hat einen großen Vorteil: Sie ist zuverlässig immer da. Deswegen soll Angra erweitert werden.

Angra dos Reis

Quelle: SZ

5 / 17

Luiz Roberto Cordilha Porto ist seit 1977 Ingenieur in Angra. "Es ist der wunderschönste Ort zum Arbeiten", sagt er. Dass die Deutschen ihre Atomkraftwerke abschalten wollen, hält er für einen fatalen Fehler. Fukushima? "Das ist aus Ingenieurssicht ein Vorfall, der das Design der Anlage überfordert hat - das kann hier nicht passieren." Trotzdem haben sie die Sicherheitsvorkehrungen überprüft, Ergebnis: "Wir haben ein Wasserreservoir in den Bergen, damit ist die Kühlung jederzeit gewährleistet. Wir können den Reaktor jederzeit sicher herunterfahren."

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: SZ

6 / 17

Wenn Angra 3 im Jahr 2016 in Betrieb geht, wird Luiz Porto schon in Rente sein: "Wir Ingenieure hätten den Reaktor am liebsten schon viel eher aufgebaut." Energiepolitisch gehe in Brasilien an Atomstrom kein Weg vorbei, aber das hätten die Verantwortlichen lange nicht eingesehen. Erst 2007 kündigte der damalige Präsident Lula an, Angra fertig zu bauen.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

7 / 17

Seit 2010 werkeln mehr als 2500 Arbeiter an Angra 3. Fast die Hälfte der Anlage ist inzwischen fertig. Wenn der 3,7 Milliarden Euro teure Bau steht, wird er gleichzeitig eines der neuesten und eines der ältesten Atomkraftwerke sein. Der Reaktor ist baugleich mit den deutschen Anlagen Philippsburg und Brokdorf. Philippsburg ging 1979 ans Netz, ist seit März 2011 stillgelegt. Brokdorf, seit 1986 im Betrieb, soll spätestens 2021 folgen.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

8 / 17

Wenige Hundert Meter neben der Baustelle steht eine Reihe unauffälliger Lagerhallen. Darin lagert der Bausatz für das Atomkraftwerk Angra 3.

Bausatz Atomkraft Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

9 / 17

Pumpen, Turbinen, Rohre: 12.500 Tonnen Material - 521 Lastwagen-Ladungen - warten in den Regalen darauf, zu einem funktionstüchtigen Atomreaktor zusammengesteckt zu werden. 1984 wurde Angra 3 auf Schiffen von Hamburg nach Brasilien gebracht.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

10 / 17

In den Regalen stehen Kisten mit den Logos deutscher Firmen wie Deutz oder Siemens. Die Paletten sind von der Deutschen Bahn. 750 Millionen Mark hat die Militärregierung damals nach Deutschland überwiesen. Die Lagerung hat seither weitere 400 Millionen Euro gekostet, 20 Millionen Euro kommen pro Jahr hinzu.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

11 / 17

Allein zwölf Techniker beaufsichtigen den Atomkraft-Bausatz derzeit. Die empfindlichsten Teile haben sie in Folie verpackt, auf manchen sind Messgeräte für die Luftfeuchtigkeit angebracht. "Wenn rosa, Trockenmittel auswechseln", steht darauf. Auf Deutsch.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: oh

12 / 17

Adriano Rosette ist einer der Techniker. "Sehr guter deutscher Reaktor", sagt er über Angra 3. Einmal im Jahr prüfen er und seine Kollegen jedes einzelne Teil ihres Atombausatzes. "Alles in perfekter Qualität", sagt er und lässt zum Beweis eine Pumpe auspacken.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

13 / 17

Der rote Lack der Pumpe sieht fabrikneu aus. Das Typenschild aber zeigt: Pumpenfabrik Urach, Baujahr 1984.

Bausatz Atomkraft Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

14 / 17

Doch nicht alle Teile haben 29 Jahre Lagerung so gut überstanden. Tropenhitze, Feuchtigkeit und Meerwasser setzen den Geräten zu. Teilweise haben die Bauteile Rost angesetzt.

Bausatz Atomkraftwerk Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

15 / 17

Auch scheint sich zwischen den Rohren allerlei Getier zu verirren. Die Techniker sehen das gelassen: "Alles kein Problem", sagen sie. Verrostete Rohrenden? "Werden einfach gekürzt und neu zusammengeschweißt." Marode Gummischläuche? "Werden ausgetauscht."

Bausatz Atomkraft Angra 3

Quelle: Oliver Hollenstein

16 / 17

Angra 3 ärgert deutsche Umweltschützer. Falsche Annahmen, ein ungeeigneter Standort und veraltete Technik: Alle Probleme, die in Fukushima die Katastrophe begünstigt hätten, seien auch in Angra gegeben, bilanzierten zwei Studien im Auftrag der Umweltorganisationen Urgewald und Greenpeace (pdf hier und hier). Besonders problematisch: Die Bundesregierung hatte vor dem Atomausstieg den am Bau beteiligten deutschen Exporteuren noch Sicherheiten in Höhe von 1,3 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, falls es zu Zahlungsausfällen von brasilianischer Seite käme. Im November sprach sich der Bundestag gegen die Zusage aus. Eine endgültige Entscheidung der Bundesregierung gibt es noch nicht.

Atomkraftwerk Angra in Brasilien

Quelle: oh

17 / 17

Im Paradies von Angra wächst der neue Reaktor derweil weiter. Die Mitarbeiter des brasilianischen Energieversorgers Eletronuclear glauben an die Zukunft der Atomenergie, sagen sie. Trotz Fukushima. Obwohl vor Jahren verseuchtes Wasser aus Angra 1 in ihre Bucht floss. In der Arbeitersiedlung stehen Schilder, wie man sich im atomaren Ernstfall verhalten soll: "Kinder nehmen, Tiere zurücklassen." Aber so weit, da sind sich die Ingenieure sicher, wird es nicht kommen. Dank zuverlässiger deutscher Technik. 30 Jahre alter deutscher Technik.

© Süddeutsche.de/jab
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: