Reaktionen auf Dax-Rekordhoch:Sekt? Selters? Ein bisschen von beidem

Dax

10 000 Punkte - 26 Jahre nach seiner Einführung ist der Dax erstmals fünfstellig. Die Euphorie darüber hält sich bei den Börsianern allerdings in Grenzen.

(Foto: Boris Roessler/AP)

Der Deutsche Aktienindex knackt die psychologisch wichtige 10 000er-Marke. Früher feierten die Börsianer schon Tausender-Schritte ausgelassen. Doch große Euphorie will in der Finanzstadt Frankfurt nicht aufkommen.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Eigentlich war das alles ja viel früher geplant. "Dax 10 000?" titelten die Anlegermagazine in Deutschland schon einmal. Man schrieb das Jahr 2000, die Jahrtausendwende war noch ganz frisch, der Deutsche Aktienindex (Dax), das wichtigste Börsenbarometer der Deutschen, kletterte über 8000 Punkte, angetrieben von der Euphorie um Internet-, Telekommunikations- und High-Tech-Aktien.

Doch dann platzte die Blase, die Kurse brachen ein. Sieben Jahre danach, 2007, gab es einen erneuten Anlauf auf die 10 000-Punkte-Marke; diesmal kam die Finanzkrise dazwischen (siehe Grafik).

Nach weiteren sieben Jahren ist es nun so weit: Am Donnerstag um Punkt 14.33 Uhr erreichte der Dax endlich die ominöse Marke von 10 000 Zählern. Fast schien das schon nicht mehr möglich. Mehrmals in dieser Woche war der Index kurz vorher wieder abgedreht. Doch als Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), neue langfristige Notenbank-Kredite für die Banken über 400 Milliarden Euro ankündigt, fällt die Hürde. Bis auf 10 011 Punkte klettert der Dax, um anschließend wieder zu fallen. Am Ende steht er bei 9947 Zählern.

Der Dax ist fünfstellig, aber Euphorie will nicht aufkommen

26 Jahre nach seiner Einführung ist der Dax erstmals fünfstellig. Hochstimmung will an der Frankfurter Börse trotzdem nicht aufkommen. Früher haben immer die Sektkorken geknallt, wenn wieder eine Tausender-Marke überschritten war. Nun, da sogar die Zehntausender-Marke erreicht ist, läuft alles viel nüchterner ab. Ein bisschen Sekt darf sein, doch von Euphorie keine Spur.

Die Börsianer mussten zu lange warten, bis die Marke gefallen ist. "Am Ende sind die 10 000 Punkte nur eine Zahl, die zwar psychologisch eine gewisse Rolle spielt, aber keinen großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Marktes hat", sagt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank. Viel wichtiger seien die harten ökonomischen Fakten.

Die zentrale Frage, die am Donnerstag sofort gestellt wurde, lautete: Wie geht es mit der Börse in Deutschland jetzt weiter? "Dax 10 000 - Zwischenetappe oder Ende der Fahnenstange?" schrieb die Commerzbank über ihre Analyse. Die meisten Experten beantworteten diese Frage positiv. "Das entscheidende Motiv für die Entwicklung der Börsen in nächster Zeit wird die lockere Geldpolitik der EZB sein", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Schritte der Notenbank folgen werden, zum Beispiel der Kauf südeuropäischer Staatsanleihen.

So sieht es auch Robert Halver, der Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader-Bank: "Die EZB hat eindeutig auf eine konjunkturstimulierende Geldpolitik eingeschwenkt", sagt er. Die südeuropäischen Länder könnten mit Unterstützung der Notenbank mehr Schulden machen, die Zinsen für Staatsanleihen blieben niedrig. Das führt dazu, dass ein Phänomen verlängert wird, das die Börsen schon seit mehr als zwei Jahren boomen lässt. Dieses Phänomen wird unter Fachleuten "Anlagenotstand" genannt.

"Von dieser Jagd nach Renditen werden Aktien weiter profitieren."

"Institutionelle Investoren wie Versicherer oder Pensionskassen können bei den niedrigen Zinsen mit Anleihen und anderen festverzinslichen Produkten kaum mehr auskömmliche Renditen erzielen", sagt Chefvolkswirt Krämer. Dieser Anlagedruck werde noch längere Zeit bestehen. Investoren müssten deshalb zu risikoreicheren Anlagen greifen. "Von dieser Jagd nach Rendite werden Aktien weiter profitieren." Halver weist zudem darauf hin, dass die Aktienquote von Großinvestoren nach wie vor niedrig sei, also das Verhältnis zwischen festverzinslichen Anlagen und Engagements an der Börse. Es gebe deshalb noch Luft nach oben für Aktien.

Beide Experten sehen das Börsenbarometer Dax zum Jahresende bei 10 500 Punkten. Krämer weist allerdings darauf hin, dass der Weg dorthin holprig werde und es immer wieder zu Rückschlägen kommen könne. Risiken seien nach wie vor die Ukraine-Krise und die Geldpolitik der US-Notenbank Fed. Für den Herbst wird erwartet, dass sie aufhört, weitere Staatsanleihen zu kaufen und die Geldschwemme langsam zurückfahren wird - anders als die EZB, die mit der Politik des billigen Geldes erst richtig anfängt.

Analysten warnen: Die Luft wird dünn

Es gibt aber auch Beobachter, die die Lage nicht ganz so optimistisch sehen. Zu ihnen zählt die Hessische Landesbank (Helaba), die seit Monaten davor warnt, dass deutsche Aktien inzwischen zu teuer seien. Sie geht davon aus, dass der Dax am Jahresende nur bei 8900 Punkten steht. Ihr Hauptargument ist, dass die Entwicklung der Gewinne bei den Dax-Konzernen in den letzten Quartalen enttäuscht hat. "Wir warten seit einem halben Jahr vergeblich darauf, dass die Gewinne anziehen, das ist ungewöhnlich für diesen Konjunkturzyklus", heißt es bei der Helaba. Sie rät Aktionären deshalb dazu, Zwischenhochs eher für Verkäufe zu nutzen.

Der Dax ist seit Anfang 2009 im Höhenflug. Doch Bullenmärkte währen nicht ewig, betont die Online-Bank Comdirect: "Nach mehr als fünf Jahren Hausse nimmt die Wahrscheinlichkeit eines Rückschlags zu." Auch Analysten der DZ-Bank warnen, dass die Luft zunehmend dünn wird - vor allem, weil es für die massiven Kursanstiege der Vorjahre kein angemessenes Fundament gebe. Bevor Anleger sich wieder an der Börse engagierten, sollten sie besser Kursrückschläge abwarten.

Die Commerzbank kommt in ihrer Analyse dagegen zu dem Schluss, dass der Dax in den nächsten zwei Jahren grundsätzlich das Potenzial in Richtung 12 000 Punkte habe. "In der zweiten Jahreshälfte dürften die Gewinne der Konzerne anziehen, weil sich die EZB ganz der Ankurbelung der Konjunktur verschrieben hat", sagt Chefvolkswirt Krämer.

Die Commerzbank geht davon aus, "dass die zwei kommenden Jahre zwei gute Jahre für deutsche Unternehmen werden". Auch Chefvolkswirt Hellmeyer ist "sehr, sehr zuversichtlich, was den Dax betrifft". Er sieht den Index Ende des Jahres bei 10 500 bis 10 700 Punkten. Ein Grund: Die weltweite Wirtschaft läuft wieder. Hellmeyer erwartet 2014 ein Wachstum von 4,0 Prozent - 2013 waren es 3,3 Prozent. Diese positive Entwicklung werde sich in den Gewinnen der Unternehmen spiegeln.

Und dann gibt es noch die offensive Geldpolitik von Mario Draghi. Die EZB wird Staatsanleihen nach Ansicht Halvers auf Jahre hinaus stützen müssen. "Der Markt ist keine Bestrafungsinstanz mehr wie früher, als Staaten, die schlecht wirtschafteten und sich übermäßig verschuldeten, dies in Form höherer Zinsen bezahlen mussten."

Die zentrale Frage sei, ob diese Entwicklung gesund ist. "Wir werden eine Blase am Aktienmarkt bekommen", ist Halver überzeugt. Je länger die Phase dauere, umso bitterer sei die Medizin, um von der Droge des billigen Geldes herunterzukommen. Auch deshalb sind die 10 000 Punkte, die der Dax jetzt überstieg, kaum ein Grund zum Jubeln.

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