Ramsauer: Gesetzesänderung:Bahnfahren soll sicherer werden

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Durchgreifen für mehr Sicherheit: Bundesverkehrsminister Ramsauer nimmt nicht nur die Bahn, sondern auch die Hersteller in die Pflicht.

M. Bauchmüller u. D. Kuhr

Nach neuen Berichten über gravierende Missstände bei der S-Bahn Berlin hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) Konsequenzen angekündigt. "Es muss eine gesetzliche Verpflichtung für den sicheren Bau von Schienenfahrzeugen auch für Hersteller geben", sagte Ramsauer der Süddeutschen Zeitung. "Es geht nicht, dass die Pflicht allein bei der Bahn liegt." Notfalls müsse dazu auch das Allgemeine Eisenbahngesetz geändert werden. "Dazu bin ich bereit", sagte Ramsauer.

Erst vorige Woche hatte sich die Bahn nach langem Streit mit dem ICE-Hersteller Alstom auf den Austausch schadhafter Achsen bei ICE-T-Zügen geeinigt. Kosten: 60 Millionen Euro. Am Dienstag legte die Bahn einen Bericht vor, der die Ursachen für die jüngsten Pannen bei der S-Bahn-Berlin aufklären sollte. Demnach waren neben "systematischen Manipulationen" vor allem schadhafte Materialien schuld. Bislang regelt das Allgemeine Eisenbahngesetz alles nach dem Prinzip der Betreiberverantwortung. Die Bahn kauft Züge von Herstellern, ist dann aber allein für deren Funktionstüchtigkeit verantwortlich. Die Bahn tritt deshalb seit längerem für eine Änderung dieser Regelung ein.

Schwerwiegende Managementfehler

Allerdings ist bei der S-Bahn Berlin das Material nur eine der Ursachen für die unvergleichliche Pannenserie gewesen, die die Berliner seit Monaten erdulden müssen. Eine weitere sind schwerwiegende Managementfehler. Zu diesem Ergebnis kommt der Untersuchungsbericht, den Anwälte der Kanzlei Gleiss Lutz im Auftrag der Bahn erstellt haben. Die externen Ermittler hatten Tausende Dokumente gesichtet und 95 Mitarbeiter befragt. Ergebnis: Seit Ende der neunziger Jahre habe es bei der S-Bahn "keine vernünftige Qualitätssicherung mehr gegeben", sagte Detlef Schmidt, Partner von Gleiss Lutz, am Dienstag in Berlin.

So hätten die für die Wartungen der Züge zuständigen Handwerker unverständliche, seitenlange Anweisungen in die Hand gedrückt bekommen, aus denen sie sich selbst heraussuchen mussten, was sie genau zu tun haben. Es habe "von der Tagesform des Mitarbeiters" abgehangen, welche Schritte er unternahm. Einweisungen seien "eher zufällig" erfolgt. Die Ermittler stellten "erhebliche Organisationsdefizite" fest. Ein Unternehmen müsse seine Prozesse so gestalten, "dass sie von normalen menschlichen Schwächen unabhängig sind", sagte Schmidt. Im September hatte sich herausgestellt, dass bei der S-Bahn über Jahre hinweg Bremszylinder falsch gewartet worden waren, sodass die Bremsen zu versagen drohten.

Die Ermittler stellten zudem "Schwächen in der Unternehmenskultur" fest. Kritik oder Vorschläge seien unerwünscht gewesen. Das habe die Mitarbeiter demotiviert. Fehler im Aufsichtsrat der S-Bahn sehen die Anwälte nicht. Es gebe keine Hinweise, dass ein Mitglied des Gremiums die Probleme kannte oder hätte kennen müssen. Schließlich sei die S-Bahn bis Mai 2009 in den Augen der Kunden und der DB erfolgreich gewesen. Ein Aufsichtsrat sei nicht verpflichtet, ohne Anlass Werkstätten anzusehen und Mitarbeiter zu befragen.

Abläufe schon seit Jahren mangelhaft

Die häufig geäußerte Kritik, dass Sparvorgaben der DB die S-Bahn ruiniert hätten, wies Schmidt zurück. Der Sparkurs sei 2005 ausgerufen worden, die Abläufe seien aber schon Jahre zuvor mangelhaft gewesen. Dennoch sah er das "Optimierungsprogramm S-Bahn" kritisch, mit dem die DB die Hamburger und Berliner S-Bahn wettbewerbsfähiger machen wollte. Die Verantwortlichen hätten erkennen müssen, "dass die Werkstätten keine betriebswirtschaftliche Sanierung benötigen, sondern eine Restrukturierung der Prozesse", sagte Schmidt.

Verkehrsminister Ramsauer warnte am Dienstag davor, die Sicherheit und Zuverlässigkeit Renditezielen zu opfern. "Dahinter steht ein unternehmerisches Handeln, das ausschließlich nach kaufmännischen Zielen ausgerichtet ist", kritisierte er. Bei der Bahn, die letztlich auch dem Gemeinwohl verpflichtet sei, könne dies nicht dauerhaft funktionieren. Gleichzeitig forderte er eine höhere Zuverlässigkeit im Schienenverkehr. Dabei könne mehr Wettbewerb helfen, aber auch mehr Druck auf die Bahn. "Wir müssen gewährleisten, dass die Bahn pünktlich, schnell, zuverlässig ist." Mit Blick auf die aktuelle Quote verspäteter Züge sagte er: "Bei 94,1 Prozent ist die Grenze des Zumutbaren erreicht."

Die Bahn kündigte eine umfassende Neuorganisation der Berliner S-Bahn an. Unter anderem wird sie künftig dem Geschäftsfeld DB Regio zugeordnet, dem die meisten S-Bahnen bereits angehören. Damit gelten einheitliche Qualitätsstandards für alle. Vier Geschäftsführer sind bereits beurlaubt. Vor weiteren personellen Konsequenzen will die Bahn die Betroffenen hören und die Ermittlungen des Staatsanwalts abwarten. Auch prüft sie Ersatzansprüche.

© SZ vom 24.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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