Räume für den guten Geschmack:Kochen im Ferrari

Räume für den guten Geschmack: Mehr als der Platz, an dem gekocht wird. Die Küche ist zum Fashion-Objekt geworden. Von den Modefirmen können die Möbelhersteller einiges lernen.

Mehr als der Platz, an dem gekocht wird. Die Küche ist zum Fashion-Objekt geworden. Von den Modefirmen können die Möbelhersteller einiges lernen.

(Foto: oh)

Luxusküchenhersteller Boffi besticht nicht allein durch sauberes Design. Wegweisend sind die Geschäftsstrategien des italienischen Möbelunternehmens.

Von Ulrike Sauer, Lentate sul Seveso

Das Wort Restaurant hört Filippo La Mantia nicht mehr gern. Der Sizilianer hat in Mailand einen Ort erschaffen, der natürlich Speiselokal ist, aber eben auch Konditorei, Cafeteria, Cocktailbar, Lounge, Privé und Laden. Eine dem Essen und Leben gewidmete Maschine, so umschreibt La Mantia sein neues Etablissement Oste e Cuoco (Wirt und Koch). Sehr stylisch ist es, und mit 1800 Quadratmetern extrem weitläufig. Aber im Mittelpunkt steht dann doch: eine Kochinsel fürs Showcooking. Sie heißt Xila ST, ist 3,60 Meter lang und eine Sonderausführung in Walnussholz des Küchenherstellers Boffi. "Die Kochinsel war der Ausgangspunkt für alles, was drum herum entstanden ist", sagt der hochgewachsene Starkoch aus Palermo.

Gefertigt wurde der Küchenblock 30 Kilometer nördlich von Mailand in der Brianza, der Gegend mit der höchsten Dichte von Möbelherstellern auf der Welt. Hier in Lentate sul Seveso sitzt Roberto Gavazzi unter Vintage-Leuchten an einem ovalen Tisch und freut sich am Foodies-Boom in den satten Ländern der Erdkugel. "Die zunehmende Leidenschaft fürs Essen hat ein starkes Interesse an der Hardware geweckt", sagt der Chef des Luxusküchenlabels Boffi. Seit sich eine wachsende Schicht moderner Genießer in Amerika mit der Esskultur beschäftigt, immer neue Gastro-Titel den internationalen Zeitschriftenmarkt überschwemmen und sich sogar in Deutschland die Feinschmecker breitmachen, sind stilvolle Küchen begehrter denn je. "Boffi hat von Anfang an auf ein zeitgenössisches, sehr lineares Design und fortlaufende Innovation gesetzt", sagt Gavazzi. Gegründet wurde der Markenhersteller 1934 als Handwerksbetrieb von dem Möbelschreiner Piero Boffi.

Stückzahlen spielen keine große Rolle. Produziert wird ohnehin nur auf Bestellung

Bereits Anfang der Fünfzigerjahre nahmen seine drei Söhne die Zusammenarbeit mit Designern auf. Ihre schlichten, eleganten Küchen sprachen das Großbürgertum an.1963 entwickelte Joe Colombo Minikitchen, den kompakten Küchenblock auf Rädern, und katapultierte die kleine Möbelfirma aus der Brianza ins MoMa nach New York. 1995 wird Boffi als bisher einziges Unternehmen für eine Küche mit dem italienischen Designpreis Compasso d'Oro ausgezeichnet. Der Kunde nehme Boffis Stilsicherheit als Gewähr wahr, sagt Gavazzi. "Wie bei einem Ferrari". Zwar seien Vergleiche mit den Luxusflitzern immer übertrieben. "Aber unser Bestreben ist genau das: ganz nach oben zu gelangen", sagt er. Da spielen Stückzahlen dann keine große Rolle. Boffi produziert 1500 Küchen im Jahr. Nur auf Bestellung. In der Fabrik in Lentate ergänzen sich industrielle Fertigung und traditionelle Handarbeit.

In einem Land, das mit stilbewussten Industriellen reicht gesegnet ist, fällt eine Firma wie Boffi besonders durch unternehmerische Weitsicht auf. Ende der Achtzigerjahre lief es nicht gut. Deshalb sah sich Firmenerbe Paolo Boffi nach einem Käufer um. Bei Olivetti arbeitet zu jener Zeit ein junger Manager, der davon träumt, Unternehmer zu werden. Er stammt aus Mailänder Industrieadel, seine Großmutter war eine Pirelli. 1989 wird Roberto Gavazzi, damals 34, Gesellschafter und Geschäftsführer von Boffi. Im selben Jahr geht der Designer Piero Lissoni als Art Director an Bord. Ein Glücksfall für den Möbelhersteller. Gemeinsam mit Boffi als Präsident treiben die beiden die Expansion voran. Der Umsatz hat sich auf 65 Millionen Euro verzehnfacht. Heute gibt es weltweit 61 Boffi-Läden. Sie sind die Antwort auf den raschen Branchenwandel. "Um sich behaupten zu können, braucht man eigene Läden, eine starke Marke und ein effizientes Management", sagt Gavazzi.

Möbel sind zu Fashion-Objekten geworden. Die italienischen Hersteller sind führend auf dem 30-Milliarden-Euro-Markt für Designmöbel. Doch der Druck ist groß. "Die Branche konzentriert sich noch zu stark auf die Manufaktur. Sie muss lernen, den Verbraucher in den Mittelpunkt ihres Interesses zu rücken", fordert Armando Branchini von der Stiftung Altagamma, einem Zusammenschluss italienischer Luxusunternehmen. Der Lobbyist rät, das Vorbild der Modeunternehmen zu kopieren: Ihr Erfolg fußt auf der Stärkung von Marke, Marketing und Kundenbindung.

Das Potenzial ist weltweit jedoch enorm. Die Nachfrage könnte sich in zehn Jahren sogar verdreifachen, schätzt Claudia D'Arpizio von der Beratungsfirma Bain. Die Herausforderung liegt darin, die reichen Kunden in den neuen Märkten zu erreichen. Der Königsweg führt über neue Vertriebsmodelle. In den fernen Wachstumsländern, die keinen Fachhandel kennen, sind Marken-Läden ganz besonders wichtig. Luxusexpertin D'Arpizio beobachtet jedoch einen globalen Trend: Das klassische Möbelhaus, das mehrere Designermarken führt, sei auch in Europa und in den USA auf dem Rückzug.

Boffi unternahm noch mehr, um mit Umsatzsteigerungen aus dem Kleinformat herauszuwachsen und gleichzeitig seine Exklusivität zu wahren. Es wurden Badeinrichtungen zum Angebot hinzugefügt, die der klaren architektonischen Ästhetik von Kreativchef Lissoni folgen. Inzwischen macht das Geschäft mit Wannen, Wasserhähnen und Badezimmerschränken 27 Prozent des Umsatzes aus. 2006 nahm Boffi Systemmöbel wie Trennwände und innovative Stauraumlösungen ins Programm auf. "Wir spezialisieren uns als Anbieter von komplexen Einrichtungssystemen", sagt der Boffi-Chef.

Vor drei Monaten glückte ihm ein außerordentlicher Schachzug. Nach mehreren Jahren Partnersuche übernahm er den Mailänder Möbelhersteller De Padova, der das Sortiment um Sofas, Tische, Stühle, Regale und Betten ergänzt. Um die Vertriebsinvestitionen stemmen zu können, benötige man mindestens 100 Millionen Euro Umsatz, erklärt Gavazzi. Bis 2018 wollen Boffi und De Padova die Schwelle gemeinsam erreichen. In Italien brachte der Coup dem Quereinsteiger viel Lob ein. Endlich war eine namhafte Designer-Marke mal nicht in ausländische Hände gefallen.

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