Radikales Steuer-Konzept:Der Professor ködert die Politik

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Er warb, er kämpfte - und er fühlte sich beleidigt: Selbst nach sechs Jahren hat Paul Kirchhof die Attacken von Gerhard Schröder nicht verdaut. Und doch wagt er sich noch einmal auf die politische Bühne. Sein neues Steuer-Konzept ist quasi die Antwort des Wissenschaftlers Kirchhof auf die bittere Niederlage des Politikers Kirchhof.

Guido Bohsem und Claus Hulverscheidt

Paul Kirchhof ringt mit sich, denn so spontan will ihm einfach kein angemessener Vergleich einfallen. Welcher Moment der Weltgeschichte ist es, der dem, was nun folgen wird, am nächsten kommt? Ein paar Sekunden lang hält er inne, dann sagt er, es seien nicht die kleinen Dinge, die die Welt veränderten. Vielmehr habe sich "in der Rechtsgeschichte am Ende immer der große Gedanke durchgesetzt - wie etwa bei der Verkündung der Menschenrechte im Jahr 1789". Jetzt ist es raus, und Kirchhof ist sichtlich zufrieden mit sich. Die Verkündung der Menschenrechte - das passt.

Im Bundestagswahlkampf 2005 kam Paul Kirchhofs Konzept nicht gut an. (Foto: ddp)

Es geht um das "Bundessteuergesetzbuch". Paul Kirchhof, der frühere Verfassungsrichter und Schattenfinanzminister der einstigen Kanzlerkandidatin Angela Merkel, hat es verfasst und er will damit die 200 geltenden Steuergesetze ersetzen.

Kirchhof ist kein arroganter Mensch. Er macht nicht viel Bohei um seine Person. Im Gegenteil: Der Professor ist ein Gentleman der alten Schule, zuvorkommend, ja, in einem traditionellen Sinne galant. Wenn er aber über sein Steuermodell spricht, ist die Bescheidenheit dahin. Seine Idee, sie scheint ihm größer als er selbst, kein Superlativ ist zu gewagt.

Es ist die Rückkehr des Mannes, der der breiten Öffentlichkeit noch als "der Professor aus Heidelberg" in Erinnerung ist. So hat ihn der wahlkämpfende SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder 2005 genannt - und das war kein Kompliment, sondern ein Frontalangriff.

Er wurde verlacht, als sich erste Modellrechnungen seines damals noch nicht so ausgefeilten Steuerkonzepts als fehlerhaft herausstellten. Maliziös und wirkungsvoll zugleich hielt Schröder ihm soziale Kälte vor, weil Kirchhofs Konzept für den Chefarzt den gleichen Steuersatz vorsah wie für die Krankenschwester. Genüsslich nahm das Arme-Leute-Kind Schröder Kirchhofs Intellektualität aufs Korn. Er richtete sie gegen ihn: Wer über Familien mit 1,3 Kindern räsoniere, gehöre in den Elfenbeinturm der Wissenschaft, nicht in die Politik. So einer verstehe Paragraphen, nicht Menschen.

Vom angesehenen Steuerexperten und Verfassungsrichter mutierte Kirchhof plötzlich zum komischen Kauz, dem die Schuld für das Wahlergebnis der Union zugeschustert wurde. Was diese politische Schlammschlacht in Kirchhof zerbrochen hat, kann man nur erahnen. Er selbst bezeichnete die Erlebnisse später als "verletzend" und "niederträchtig". Gegenüber seiner Person, vor allem aber gegenüber seiner Idee.

Nach sechs Jahren nun wagt sich der mittlerweile 68-jährige Jurist erneut unter die politischen Wölfe, zumindest legt er ihnen einen Köder hin: das "Bundessteuergesetzbuch". Er spricht von einem Angebot an den Gesetzgeber. Das schlanke Heft ist, wenn man so will, die Verdichtung seiner bisherigen Arbeit. Kirchhof reduziert den gigantischen Steuerrechtswust von 33.000 auf 146 Paragraphen.

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Sein Vorschlag umfasst alle Steuerarten, die es auf Bundesebene gibt. Kirchhofs Angebot ist weit radikaler als alles, was die Leute im 2005er Wahlkampf schon zu viel fanden. Jahre hat er daran gefeilt, es diskutiert, getestet und in klare Sprache gegossen. Wenn man so will, ist das "Bundessteuergesetzbuch" die Antwort des Wissenschaftlers Kirchhof auf die bittere Niederlage des Politikers Kirchhof.

Bereits vergangene Woche hat er zu einer Vorabpräsentation seines Lebenswerks in den "Salon Bellevue" des Berliner Hotels Ritz Carlton geladen. Es gibt Champagner, edle Weine und Kalbsmedaillons. "Sie sehen einen glücklichen Menschen", sagt er und blickt beinahe zärtlich das ockerfarbene Büchlein an, mit dessen Hilfe er die Bürger aus dem Steuerdschungel in den Garten der Freiheit führen will.

Das Wort "führen" ist dabei wörtlich zu nehmen, denn Kirchhof will nicht weniger, als die Deutschen zu besseren Menschen zu erziehen. Heute, so sagt er, regiere der Neid. Wenn aber sein Konzept erst einmal Gesetz sei und alle wüssten, dass jeder seine Steuern auch wirklich zahle, "dann können sich die Menschen erstmals am Erfolg des anderen freuen - das wäre Freiheit!"

Der Auftritt ist grandios, in seiner Übertreibung wie in seiner Begeisterung, und er zeigt deutlich, dass der Wissenschaftler Kirchhof bis heute nicht begriffen hat, woran der Politiker seinerzeit gescheitert ist. Nach seiner Interpretation hat er sich nicht ausreichend um die Medien bemüht, während Schröder diese ohne Skrupel für seine Zwecke eingespannt habe. "Der eine hatte das größere Mikrofon, der andere das kleinere", sagt er heute über sich und den damaligen Kanzler.

Richtig daran ist, dass Schröder es verstand, Journalisten für sich einzunehmen. Gescheitert aber ist Kirchhof an etwas anderem, nämlich an der Unfähigkeit, die Schwärmerei für die eigene Idee einzustellen. Als Schattenfinanzminister Merkels sollte er das Steuerkonzept der Union verkaufen, stattdessen hielt er nicht damit hinterm Berg, dass er sein eigenes Modell für das viel bessere hielt.

Diesen Widerspruch konnte er nie auflösen - wie es ihm auch nicht gelang, dem einfachen Bürger die Geschichte vom Chefarzt und der Krankenschwester zu erklären. Ganze vier Wochen dauerte damals sein Ausflug in die Politik, wiederholen möchte ihn Kirchhof nicht. "Ich möchte keinen Tag davon missen", sagt er heute, "aber auch keinen hinzufügen."

© SZ vom 28.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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