qualifiziert & arbeitslos:Irrfahrt durch die Bewerbungswüste

Bestens ausgebildet - und doch arbeitslos. Wer sich auf Jobsuche begibt, stellt fest, dass sich einen Schattenwelt auftut ... und viele an der Arbeitslosigkeit mitverdienen wollen.

Barbara Ehrenreich

Im Folgenden geben wir einen Auszug aus dem neu erschienenen Buch "qualifiziert & arbeitslos" wieder. Barbara Ehrenreich, die bereits in dem Bestseller "Arbeit poor" im Selbstversuch erkundet hatte, ob und wie man von Billigjobs leben kann, beleuchtet in ihrem neuen Buch die arbeitslose Mittelschicht.

qualifiziert & arbeitslos

Barbara Ehrenreich, hat Chemie, Physik und Molekular- biologie studiert und zählt heute zu den bekanntesten Publizistinnen Amerikas. In ihrem neuen Selbstversuch begibt sie sich als erfahrene "PR-Frau" auf Stellensuche.

(Foto: Foto: Sigrid Estrada)

Ausgerüstet mit einer neuen Identität und einem Lebenslauf voller Qualifikationsnachweise versucht sie fast ein Jahr lang, in den USA Arbeit zu finden. Hier lesen Sie ihre ersten Schritte, tief hinein in eine Welt ganz eigener Art.

Wo beginnen? Mein erster Ausflug in die Welt der Arbeitsuchenden - an einem düsteren Dezembernachmittag vor meinem Computer sitzend - ist ausgesprochen ernüchternd.

Heutzutage, so hat mir eine rasche Durchsicht der wichtigsten Websites klar gemacht, reicht es nicht mehr, die Stellenanzeigen eingehend zu studieren und Bewerbungsunterlagen zu versenden, um dann auf Anrufe zu warten.

Die Stellensuche ist zu einer so komplexen Technik, wenn nicht gar Wissenschaft geworden, dass kein Arbeitsloser diese Aufgabe noch allein bewältigen kann. Das Internet bietet eine verwirrende Vielzahl von Sites, an die man seinen Lebenslauf schicken kann in der Hoffnung, dass ein potenzieller Arbeitgeber darauf aufmerksam wird.

Oder man wendet sich über das Internet direkt an einige der vielen tausend Unternehmen. Aber ist die Bewerbung auffällig genug? Oder wäre es besser, persönlich bei einem der vielen "Networking Events" zu erscheinen, die neuerdings mit der Aussicht auf Erfolg versprechende Kontakte werben?

Glücklicherweise gibt es an die 10.000 Menschen, die darauf brennen, mir zu helfen: die "Karrierecoachs".

Laut Coaching-Websites sind sie in der Lage, meine wahre "Berufung" herauszufinden, helfen mir bei der Gestaltung meiner Bewerbungsunterlagen und reichen mir auch bei jedem weiteren Schritt die Hand.

Die Coachs, deren Zahl sich alle drei Jahre verdoppelt, bilden den Kern der "Übergangsindustrie", die sich seit Mitte der 1990er Jahre als vielleicht unausweichliche Folge der Arbeitslosigkeit mittlerer und höherer Angestelltenebene etabliert hat.

Anders als die arbeitslosen Arbeiter verfügen die Arbeitslosen dieser Gruppe über Geld, das sie in ihre Stellensuche investieren können.

Außerdem sind sie häufig einsam und deprimiert - mit anderen Worten, sie stellen einen idealen Markt für Dienstleistungen aller Art dar, die Wohlstand und neues Selbstbewusstsein verheißen.

Einige Coachs haben eine richtige Ausbildung wie etwa die fünfzehnwöchigen Kurse der Career Coach Academy durchlaufen, andere sind lediglich selbst ernannte Trainer.

Zum Coach kann sich jeder erklären, auch ohne Zeugnisse, und es gibt keinerlei Berufsverbände oder andere Einrichtungen, die einem über die Schulter schauen - das heißt, für den Stellensuchenden ist es reine Glücksache, an wen er gerät.

Irrfahrt durch die Bewerbungswüste

Im Web entdecke ich Morton, einen Coach aus der näheren Umgebung, obwohl - wie ich bald erfahren werde - das Coaching meist am Telefon stattfindet und räumliche Nähe daher nicht erforderlich ist.Morton kennt sich aus, ist mein Eindruck.

qualifiziert & arbeitslos

qualifiziert & arbeitslos - Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste Aus dem Englischen von G. Gockel und S. Schuhmacher Verlag Antje Kunstmann, 2006, 256 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-88897-436-4

Das Material, das er mir schickt, weist auf hochqualifizierte Tätigkeiten im Verteidigungsbereich hin, unter anderem, obwohl das schon etwas länger her ist, als "Senior Intelligence Analyst and Branch Chief Responsible for Analyzing Soviet Military Research" (Geheimdienstexperte und Abteilungsleiter für die Auswertung von Forschungsergebnissen über die sowjetische Verteidigung).

Er hat Seminare an der Carnegie Mellon University gegeben und häufig Vorträge in Rotary Clubs gehalten.

Bestimmt kann er mich bei meiner Verwandlung in eine vermarktbare Kraft auf der mittleren Angestelltenebene anleiten. Außerdem, so versichert er mir, muss ich für unsere erste Testsitzung nichts bezahlen.

Bei Starbucks in der Barracks Road Mall in Charlottesville erkenne ich ihn sofort: Er trägt, wie ausgemacht, seine "JMU"- Baseball-Kappe, was mich ermutigt hat, in abgetragener Freizeithose und Turnschuhen zu erscheinen.

Oben herum bin ich allerdings etwas besser gekleidet - schwarzes Halstuch, Tweedblazer und Perlenohrringe, was, wie ich hoffe, als "legere Businesskleidung" durchgeht.

Nervös, wie ich bin, weil ich wegen einer Baustelle auf dem Weg zur Mall fünf Minuten zu spät komme, gerate ich beim Händeschütteln über meinen neuen Namen ins Stottern.

Er scheint es nicht zu merken, ja, eigentlich überhaupt nicht der Aufmerksamste zu sein, oder er ist bereits in dieser Phase von mir enttäuscht.

Nachdem wir ein paar Beobachtungen über die vorweihnachtliche Parksituation in der Mall ausgetauscht haben, lege ich ihm meine Situation dar: Ich mache PR und Event Planning, erzähle ich, allerdings habe ich bisher freiberuflich gearbeitet und suche jetzt eine feste Stelle mit Sozialversicherung, wobei ich flexibel bin, was den Ort betrifft. Wie soll ich mich darstellen? Wo anfangen?

Ich ziehe meine Bewerbungsunterlagen heraus, die ich am Wochenende fertig gestellt habe, und schiebe sie ihm über den Tisch zu. Schlimmstenfalls wird er sich den Packen schnappen und mir Fragen dazu stellen, ohne dass ich mit einem gelegentlichen Blick darauf meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen kann.

Aber er betrachtet die Unterlagen so teilnahmslos, als wenn eine Fliege über den Tisch auf seinen Arm zukrabbelte.

Vielleicht weiß er, ohne die Papiere zu lesen, allein durch die Formatierung der Seiten - es fehlen, wie ich nun feststelle, Aufzählungszeichen und Hervorhebungen -, dass sie der intensiven Aufmerksamkeit eines Coachs nicht würdig sind.

Aber er zieht etwas aus seinem Aktenkoffer - eine Folie, die er sorgfältig auf ein weißes Blatt legt, so dass ich lesen kann: "Kernkompetenzen und -fähigkeiten" oder "die vier Kompetenzen", wie er sie auch nennt.

Diese sind: Initiierung von Innovationen, Verteilung und Organisation von Aufgaben, Kommunikation und Selbstmanagement.

Das ist wohl das, was ich brauche - eine Einführung in die glasklaren Begriffe, die den Unternehmensgeist prägen.

Hastig mache ich mir Aufzeichnungen, aber er verspricht, mir Kopien mitzugeben, damit ich mich im Augenblick auf den Inhalt konzentrieren kann.

Die nächste Folie zeigt das Bild eines Trabrennreiters mit Pferd, dazu den Text:

Klarer Kopf, fähiger Reiter Gesunder Geist, starkes Pferd. Starker Körper, solider Wagen. Verstand, Körper, Geist arbeiten zusammen... Weg zum Sieg ist klar.

Die Syntax ist ein wenig irritierend, insbesondere das Fehlen von Artikeln, was dem Ganzen den Eindruck verleiht, als habe es kein Muttersprachler geschrieben.

Doch wenn heutzutage Führungskräfte Managementregeln aus dem Buddhismus oder von Dschingis Khan ableiten können, wie die Wirtschaftsliteratur in den Buchhandlungen nahe legt, können sie sich wohl auch ohne weiteres vorstellen,Trabrennfahrer zu sein.

Pferd, Fahrer und Wagen, so erklärt mir Morton, symbolisieren Kopf, Herz und Bauch, aber ich kapiere nicht, was was ist. Die Sache scheint mir doch viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Die vier Kompetenzen entschwinden bereits aus meinem Gedächtnis, vielleicht ist aber auch evident, dass der Kopf oder möglicherweise der Bauch für die Initiierung von Innovationen stehen.

Irrfahrt durch die Bewerbungswüste

Mit der nächsten Folie nehmen die Dinge eine wirklich dämliche Wendung. Sie trägt den Titel "Drei Zentren der Intelligenz" und ist mit Protagonisten aus Der Zauberer von Oz bebildert: mit der Vogelscheuche, die für das "Mentale" steht, dem Zinnmann für das "Emotionale" und dem Löwen für das "Intuitive".

Wenn Morton seine Kurse über "Spiritualität und Wirtschaft" abhält, so erklärt er mir, dann benutzt er dabei Puppen. Eine Idee seiner Frau. "Du solltest Puppen nehmen!", hat sie ihm geraten.

Und wissen Sie, was? Sie zog los und besorgte ihm welche. Ich bekenne, dass ich nicht ganz firm bin im Zauberer von Oz, und so erzählt mir Morton in allen Einzelheiten die Geschichte über den Zinnmann und versucht sich zu erinnern,wie die Figur zu ihrem harten "Panzer" kam.

Ich denke dabei die ganze Zeit nur, wie froh ich bin, dass er seine Puppen nicht mitgebracht hat, denn mittlerweile ist es ziemlich voll im Starbucks und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, an einer speziellen Therapie mit Puppen teilzunehmen.

Doch während ich mich noch damit abquäle, den Zinnmann mit dem Emotionalen in Verbindung zu bringen, geht es schon weiter von Oz zum Enneagramm, das auf einer Folie folgendermaßen definiert wird:

• Eine Beschreibung von Persönlichkeitstypen • Basiert auf alten Weisheiten über Motivation • Ein leicht verständliches und anwendbares Diagramm • Liefert die Schlüssel zur Balance

Die dazu gehörige Abbildung zeigt eine Figur, die aus mehreren miteinander verbundenen und von einem Kreis umschlossenen Dreiecken besteht. Mein Kopf ist ganz leer, was nicht nur mit dem immer größeren Abstand zum Frühstück zu erklären ist, und mir fällt nicht eine einzige Frage ein, um ein wenig Licht in die zunehmende Komplexität zu bringen, die sich vor mir auftut´.

Irgendwie führt das Enneagramm zu den "Neun Typen" beziehungsweise zu den "neun grundlegenden Wünschen oder Leidenschaften".

Morton, der womöglich meine Verwirrung spürt, erklärt mir, dass es in seinen Kursen lange dauere, das Enneagramm verständlich zu machen. "Es ist mehr oder weniger ein Datenberg."

Ich ziehe die Augenbrauen hoch und nicke. Rundum bezahlen Gäste beidseitig akzeptierte Preise für Muffins, und die Unternehmenswelt funktioniert auf ihre übliche, unbekümmert geschäftige, rationale Art. Dass sie sich immer weiter dreht, ist jedoch, wie ich zum ersten Mal erkenne, keineswegs selbstverständlich. Nicht,wenn die ihr zugrunde liegenden Prinzipien aus dem Lande Oz stammen.

Erleichtert stelle ich fest, dass die höhere Mathematik des Enneagramms im weiteren Fortgang der Folien zunehmend den vertrauten Geschöpfen aus dem Zauberer von Oz Platz macht, die jetzt eine Reihe von Schemata mit der Überschrift "Emotional gepolter Typus", "Mental gepolter Typus" und "Intuitiv gepolter Typus" zieren.

Auf der linken Seite des jeweiligen Schemas finden sich fünf Einträge, von denen mich der Punkt "krankhafte Leidenschaft " am meisten fasziniert, von Morton als "schlechte Eigenschaft " bezeichnet, die es zu erkennen und zu überwinden gilt. So gehört zum Beispiel zu den gestörten Leidenschaften des Löwen "Lebensgier.

Ich möchte die ganze Welt erleben und kontrollieren ", während die Vogelscheuche wahrscheinlich unter "Habgier" leidet - "Ich behalte Wissen für mich, um zu vermeiden, dass ich als inkompetent eingeschätzt werde".

Ich unterbreche Morton und frage ihn, warum es als Habgier gilt, wenn man Wissen für sich behält.

"Weil man damit etwas für sich behält", erklärt er mir gleichmütig. Dann entdecke ich unter den gestörten Leidenschaften "Völlerei - ich kann nie genug erleben".

Morton - oder dem Erfinder des Enneagramms - ist es gelungen, die Sieben Todsünden in die Reisen Dorothys durch das Land Oz und die "alten Weisheiten" einzuschmuggeln. All das ist nur die Einleitung zu einem Test namens Wagner Enneagram Personality Style Scales (WEPSS), den ich machen muss.

Er wird meinen Persönlichkeitstyp offenbaren und daraus folgend den Job, nach dem ich suchen soll.

Ich hatte Morton bereits mitgeteilt, nach was für einer Stelle ich Ausschau halte, aber offenbar in einer Sprache, die nicht in seine komplizierte persönliche Metaphysik passt.

Ich werde den Test mit nach Hause nehmen, Morton schicken und ihn dann erneut für die Auswertung treffen. Das Ganze kostet 60 Dollar.

(Teil II folgt in Kürze ...)

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