Psychiater über die Finanzkrise:"Angst ums Geld ist wie Angst vorm Verhungern"

Borwin Bandelow beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit menschlichen Ängsten. Der Psychiater über hasenfüßige Europäer, zwanghafte Banker, die Panikattacken an den Börsen - und die Sehnsucht nach charismatischen Staatsführern in Krisenzeiten.

Caspar Dohmen

Bei Geldanlagen kennt sich Borwin Bandelow nicht gut aus, dafür aber mit allen Arten von Ängsten. Der 56-jährige Professor ist leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie an der Universität Göttingen, Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift German Journal of Psychiatry und Präsident der Gesellschaft für Angstforschung. Wer mit Bandelow spricht, der versteht, welchen Einfluss archaische Verhaltensweisen wie die Angst vor dem Verhungern bei der Finanzkrise spielen.

Psychiater über die Finanzkrise: Der Psychiater Borwin Bandelow beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Ängsten der Menschen - etwa mit der Angst vor Spinnen, vor Epidemien oder Naturkatastrophen. Er sagt:In Krisenzeiten sehnen sich die Menschen nach charismatischen Staatsführern. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit die emotionale Seite anspreche, wende sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück an die Vernunft der Menschen.

Der Psychiater Borwin Bandelow beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Ängsten der Menschen - etwa mit der Angst vor Spinnen, vor Epidemien oder Naturkatastrophen. Er sagt:

In Krisenzeiten sehnen sich die Menschen nach charismatischen Staatsführern. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit die emotionale Seite anspreche, wende sich Bundesfinanzminister Peer Steinbrück an die Vernunft der Menschen.

(Foto: Foto: oH)

SZ: Herr Bandelow, sind Ängste eigentlich angeboren?

Bandelow: Ja, alle einfachen Phobien sind angeboren. Menschen haben Höhen-, Schlangen- oder Spinnenphobien, weil das früher ihr Überleben gesichert hat. Damals gab es schließlich Spinnen, an deren Biss man starb. Unsere Vorfahren waren diejenigen, die Angst vor solchen gefährlichen Tieren hatten. Wer die Gefahr ignorierte, ist ausgestorben. Überlebt haben die Ängstlichen.

SZ: Was ist Panik?

Bandelow: Ich behandele beispielsweise Menschen, die Panikattacken in der Fußgängerzone oder im Kaufhaus haben. Diese Angst hat überhaupt nichts mit der Panik an der Börse zu tun. Was man da meint, ist ein anderer Begriff von Panik, bei dem mehrere Menschen parallel handeln. So wie in einer Schule in den USA. Dort hatte eine Lehrerin eine Panikattacke. Sie dachte, Gas wäre in der Schule ausgeströmt, und steckte mit ihrer Angst alle Kinder und Lehrer an - so, dass alle im Krankenhaus gegen Symptome eines ausströmenden Gases behandelt werden mussten. Dabei war nichts passiert.

SZ: Und was bedeutet dies für die Finanzwelt?

Bandelow: Da werden Banker, die sonst völlig rational ihre Kurse rauf- und runterschieben, plötzlich von Emotionen befallen. Man kann diese Verhaltensänderung auf den banalen Gedanken zurückführen, dass sie plötzlich Angst vor dem Verhungern haben. Wann immer ein Tier vor dem Verhungern ist, läuft nichts mehr über das Vernunftsystem. Diese Urangst des Verhungerns steckt auch bei den Menschen hinter der Verlustangst um das Geld.

SZ: Braucht man eine bestimmte Menge Geld, um sich sicher zu fühlen?

Bandelow: Da gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen. Dies kann man anhand von zwei Krankheitsbildern zeigen, die in der Psychiatrie mit Geld zu tun haben: der Verarmungswahn und der Kaufrausch. Es gibt eine wahnhafte Form der Depression, bei der die Vernunft vollständig außer Kraft gesetzt ist. Die Leute haben einen kompletten Verarmungswahn. Sie sind beseelt davon, dass ihnen nichts mehr gehört und morgen der Gerichtsvollzieher kommt. Sie sind durch keine Fakten vom Gegenteil zu überzeugen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die eine Manie haben. Sie rasen los und kaufen ein. Bei Frauen sind es häufig Klamotten, bei Männern teure Autos. Dadurch können sie ihre Familien in den Ruin stürzen. Nach ein paar Wochen ist es vorbei. Was ich damit sagen will: Beim Menschen gibt es einen primitiven Mechanismus dafür, Geld zu horten oder auszugeben.

Auf der nächsten Seite: Wie sich der Verlust von Geld auf die Psyche auswirkt

"Angst ums Geld ist wie Angst vorm Verhungern"

SZ: Wovon hängt denn die jeweilige Ausprägung ab?

Psychiater über die Finanzkrise: Die Angst ist allgegenwärtig: Händler an der Wall Street in New York.

Die Angst ist allgegenwärtig: Händler an der Wall Street in New York.

(Foto: Foto:)

Bandelow: Vom Gemütszustand eines Menschen. Grundsätzlich müssen besonders Menschen in nördlichen Gegenden vorausschauend denken. Hier gibt es schon seit Jahrtausenden lange Phasen im Jahreszyklus, in denen überhaupt nichts wächst. Wer da nicht vorausschauend Nahrungsmittel und Brennholz angesammelt hat, der verhungert. Deswegen sind die Menschen in den nördlichen Ländern meiner Meinung nach ängstlicher - auch beim Thema Geld.

SZ: Und im Süden?

Bandelow: Man hat den Eindruck, dass die Menschen, die am Äquator leben, viel glücklicher und zufriedener sind, obwohl sie nicht viel haben. Jeder wird ja auch unterschreiben, dass Glück und Geld eine Nullkorrelation haben. Sicher beruhigt Geld, aber glücklich macht es nicht. Wenn Menschen in Indonesien eine Hochzeit feiern, geben sie dafür mehr aus, als sie in einem ganzen Jahr verdient haben. Das ist für die meisten Menschen in unseren Breitengraden undenkbar.

SZ: Wie wirkt sich der Verlust von Geld auf die Psyche des gesunden Menschen aus?

Bandelow: Lange leiden nur diejenigen Menschen, die existentiell betroffen sind, weil sie etwa ihren Arbeitsplatz oder ihr Haus verloren haben. Für alle anderen klingen Geldverluste anfangs schrecklich. Doch nach wenigen Wochen haben sie sich daran gewöhnt. Genauso wie man sich umgekehrt an dem Kauf eines Lamborghini nur einige Wochen erfreut. Andere empfinden Verlustphasen sogar als Ansporn. Auf dem Weg nach oben können Menschen tatsächlich mehr Glück empfinden als in Stagnationsphasen auf hohem Level. Dies hängt mit der Art unseres Belohnungssystems zusammen; unser Wohlempfinden hängt eben nicht mit der Menge des Geldes, sondern dem Überraschungseffekt zusammen.

SZ: Wann springt das Belohnungssystem an?

Bandelow: Dieses Belohnungssystem könnte man mit einem Orgasmus beschreiben. Wenn sich jemand glücklich fühlt, liegt dies an einzelnen Hormonen, die durch den Kopf schießen. Es gibt dieses endogene Opiatsystem, die Endorphine - die Wohlfühlhormone, die werden bei verschiedenen Tätigkeiten ausgeschüttet, beim Sex, beim Essen, aber auch wenn wir gefährliche Spielchen betreiben und die Bestrafung ausbleibt. Wenn ich schnell mit dem Auto fahre und ich fahre nicht gegen den Pfeiler, dann habe ich eine Ausschüttung im Belohnungssystem.

Auf der nächsten Seite: Wer an der Börse zockt, kompensiert häufig eine Sucht.

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SZ: Und wenn ich eine riskante Wette am Finanzmarkt abschließe?

Bandelow: Ganz genauso. Wer an der Börse zockt, der kompensiert damit häufig eine frühere Sucht, beispielsweise eine frühere Alkoholsucht. Lotto an der Börse spielen Menschen, die ihr Endorphinsystem maximal anstacheln wollen.

SZ: Haben diese Menschen eine ähnliche psychische Struktur wie ein Spieler im Spielcasino?

Bandelow: Ja genau. Nehmen wir mal an, Sie sitzen als Spieler vor einem Geldspielautomaten. Ihr Gehirn schüttet nur so lange Wohlfühlstoffe aus, wie der Automat läuft. Also lassen die Leute mehrere Automaten laufen, damit sie das Glücksgefühl länger aufrechterhalten können. Dabei sagt die Vernunft: Von den hundert Euro Einsatz behält der Automat auf die Dauer gesehen durchschnittlich sechzig Euro. Trotzdem spielen die Menschen weiter. Wenn das Spiel vorbei ist, haben sie kein Glücksgefühl mehr, egal, ob sie gewonnen oder verloren haben.

SZ: Wer wird Banker?

Bandelow: Banker sind nicht typischerweise Zocker, sondern eher zwanghafte Menschen, also Leute, die penibel mit Geld umgehen. Sie vermehren Geld auch über die Grenze hinaus, wo sie es nicht mehr brauchen. Es geht ja sowieso in diesen Tagen häufig um Geld, welches die Menschen zum Überleben nicht brauchen.

Auf der nächsten Seite: Merkel spricht die emotionale Seite der Menschen an, Steinbrück appelliert eher an ihre Vernunft

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SZ: Sie sprechen von angeborenen Verhaltensweisen. Nun haben die Menschen gerade in Deutschland extreme soziale Erfahrungen mit Geldverlusten gemacht - während der Weltwirtschaftskrise oder nach dem Zweiten Weltkrieg. Die können nicht genetisch verankert sein.

Bandelow: Dafür ist das Vernunftgehirn da, es ist als einziger Gehirnmechanismus auch fähig zu einer dialektischen Abwägung. Es sagt: Damals war eine Krise, meine Großeltern haben ihr Geld verloren, nach dem Krieg standen wir alle mit 40 Mark da. Diese Sachen sind abgespeichert im Gehirn. Aber gleichzeitig sagt das Vernunftgehirn auch: Heute sind die Mechanismen viel besser, eine solche Krise ist unwahrscheinlich. Zu dieser dialektischen Abwägung ist weder das Angst- noch das Belohnungssystem fähig. In der Regel müssen diese drei Systeme in der Waage sein.

SZ: Im Moment sind sie bei vielen Menschen aus der Balance?

Bandelow: Ja, bei vielen Menschen hat sich das Angstsystem dem Vernunftsystem entgegengestellt. Das Angstsystem sagt: Es wird alles zusammenbrechen.

SZ: Wie kann man solche kollektiven Ängste einholen?

Bandelow: Wenn das emotionale Gehirn durchbricht, kann man mit vernünftigen Ratschlägen wenig machen. Ich glaube, die Politiker handeln richtig: Frau Merkel sagte, alles ist sicher - dies spricht die emotionale Seite des Gehirns an. Finanzminister Peer Steinbrück sagt dagegen: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Er spricht das Vernunftgehirn an.

SZ: Also eine schwierige Gratwanderung zwischen Beruhigung und Glaubwürdigkeit?

Bandelow: Die meisten Menschen wollen hören, alles ist prima. Einem emotionsgeladenen Vorgang kann man eben nur mit einem emotionsgeladenen Vorgang entgegentreten. Deswegen sind im Moment charismatische Staatsführer gefragt.

SZ: Sehen Sie Parallelen beim Verhalten der Menschen während der Finanzkrise zu anderen Situationen?

Bandelow: Mich erinnert es an die Vogelgrippengeschichte. Da gab es Ängste, vor riesigen Scharen von Vögeln, die ihre Exkremente herunterschleudern oder Menschen angreifen. Panisch dachten viele, dass Millionen sterben könnten. Die Minister haben dann Tamiflu angeschafft, obwohl es Mutanten des Virus gibt, bei denen es nicht wirkt. Es gab eine völlige Panik, bis hinein in Regierungen. Nach vier Wochen war das komplett vorbei. So war es auch am 11. September 2001 oder bei den neuen Viren Sars und Ebola. Nach vier Wochen beruhigen sich die Menschen - man kann ja nicht ewig Angst haben.

SZ: Haben Sie Geld umgeschichtet?

Bandelow: Nein, ich habe gar nichts gemacht.

SZ: Wie geht man als Angstforscher mit seiner Angst um?

Bandelow: Angstforscher haben ja nicht weniger Angst - im Gegenteil, man forscht ja oft über das, was einen besonders beschäftigt.

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