Proteste gegen die Sparpolitik:Europa streikt

Erstmals haben mehrere europäische Gewerkschaften gemeinsam zum Streik aufgerufen und ein Ende der "selbstmörderischen Sparpolitik" gefordert. In Portugal und Spanien war die Beteiligung am größten. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es aber vor allem in Italien.

Thomas Urban und Sebastian Schoepp

Proteste gegen die Sparpolitik: Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten in Rom.

Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten in Rom.

(Foto: AP)

Millionen von Arbeitnehmern haben aus Protest gegen die Sparmaßnahmen im Zuge der Euro-Krise in mehreren europäischen Ländern gestreikt. Schwerpunkt des europaweiten Aktionstags waren Spanien und Portugal, wo die Gewerkschaften zu einem 24-stündigen Generalstreik aufgerufen hatten.

Aber auch in Italien und Griechenland gab es Protestaktionen, die allerdings weniger gravierend ausfielen als bei vergangenen Streiks. Die Folgen waren europaweit zu spüren. Viele Flüge nach Spanien und Portugal wurden gestrichen, von einem Eisenbahnstreik in Belgien war auch der Zugverkehr in Deutschland betroffen.

Es war das erste Mal, dass die Gewerkschaften mehrerer europäischer Länder ihre Aktionen zeitlich abgestimmt hatten. Ihre Spitzenvertreter forderten ein Ende der "selbstmörderischen Sparpolitik". In Deutschland solidarisierten sich SPD, Linke, Gewerkschaften und Globalisierungsgegner mit den Streikenden, die gegen staatliche Sparmaßnahmen protestierten.

Die Folge dieser Politik sei ein Teufelskreis aus steigender Arbeitslosigkeit, Verarmung und wachsenden Staatsschulden vor allem in Südeuropa, warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin.

In Italien hatte die größte Gewerkschaft zu einem vierstündigen Streik aufgerufen. Es kam zu Ausschreitungen. In Rom bewarfen Studenten die Polizei mit Steinen, als diese sie daran hinderte, zum Regierungspalast vorzudringen. In Turin wurden Polizisten bei Krawallen verletzt, einer von ihnen schwer; Demonstranten hatten seinen Schutzhelm mit Stöcken zertrümmert. In Brüssel bewarfen Demonstranten die deutsche Botschaft mit Eiern. Auch in Frankreich gab es Demonstrationen.

Der Streik gegen das Sparprogramm der Regierung in Portugal legte am Mittwoch dort weitgehend das öffentliche Leben lahm. Der Tag bestätigte somit die Entwicklung der letzten Wochen: Die konservative Regierung in Lissabon unter Pedro Passos Coelho sah sich wiederholt mit Massendemonstrationen konfrontiert.

In Portugal war es der dritte Generalstreik seit vergangenem Herbst, in Spanien der zweite. Fast alle Maschinen der portugiesischen Fluggesellschaft TAP blieben am Boden. In den Krankenhäusern legten 90 Prozent des medizinischen Personals, das nicht in Notfalldienste eingebunden war, die Arbeit nieder.

Gummigeschosse in Madrid

Demonstranten forderten auf Spruchbändern: "Raus mit der Troika!" Die Vertreter der drei Geldgeber müssen den portugiesischen Staatshaushalt genehmigen, seit das Land 78 Milliarden Euro Überbrückungskredit erhalten hat.

In den spanischen Großstädten beteiligten sich vor allem Angestellte des öffentlichen Dienstes an dem Ausstand, Briefträger und Müllabfuhr kamen nicht. Auch wurden mehrere Fabriken bestreikt. Die Gewerkschaften sprachen von einer Beteiligung von 80 Prozent.

Doch wurde das öffentliche Leben davon kaum beeinträchtigt. In Madrid fuhr die U-Bahn in doppelt so großen Zeitintervallen wie üblich, ebenso die Stadtbusse. Allerdings fielen die meisten Fernzüge aus. Dagegen wurden in Madrid und Barcelona nach Angaben der Flughafensprecher nur jeweils rund 15 Prozent der Flüge gestrichen.

Da in der Bevölkerung mit einem weitaus größeren Ausmaß der Behinderungen gerechnet worden war, hatten viele Angestellte an dem Mittwoch freigenommen. Auch hatten die meisten Schulen einen "Studientag für Hausarbeiten" angesetzt. In den Stadtzentren war auffällig weniger Verkehr als sonst an Werktagen.

In Madrid verliefen die Kundgebungen, an denen insgesamt mehrere Zehntausend Menschen teilnahmen, weitgehend ohne Zwischenfälle, abgesehen von Zusammenstößen zwischen militanten Demonstranten und der Polizei am Rande des weiträumig abgesperrten Parlamentsviertels. Polizisten setzten Gummigeschosse ein, als eine Gruppe von Demonstranten die Absperrung überwinden wollte, und nahmen einige von ihnen vorübergehend fest.

Für den Abend hatten die Gewerkschaften in Madrid, Barcelona sowie einem Dutzend weiterer Großstädte zu Großkundgebungen aufgerufen. Hingegen beteiligten sich die Angestellten des Privathandels nur in geringem Maße an dem Streik. Die meisten Geschäfte und Einkaufszentren in und um Madrid hatten geöffnet.

Regierungschef Mariano Rajoy erklärte auf einer Parlamentssitzung, bisher habe die Opposition keine Alternative zu seinem Sparprogramm aufgezeigt. Ohne eine Sanierung des Staatsaushaltes sei ein Ausweg aus der Krise nicht zu finden. Er wies darauf hin, dass nach den Eckdaten der Wirtschaft der Scheitelpunkt der Krise bald erreicht sein werde.

In Spanien hat die Arbeitslosigkeit den Rekordwert von 25,1 Prozent erreicht, doch hat sich ihr Anstieg in den letzten zwölf Monaten stark verlangsamt. Im Plenum präsentierten Abgeordneten der oppositionellen Sozialisten Plakate mit Forderungen nach dem Ende des "Spardiktats". Doch packten sie die Plakate weg, als sie vom Parlamentspräsidium dazu aufgefordert wurden.

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