Protektionismus:Die Abschottung der Welt hat schon vor Trump begonnen

Protektionismus: Ein Schiff fährt durch den Panamakanal, ein Symbol für den internationalen Welthandel

Ein Schiff fährt durch den Panamakanal, ein Symbol für den internationalen Welthandel

(Foto: AP)
  • Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat die Angst geschürt, dass der Protektionismus in der Welt zurückkehrt.
  • Diesen Trend gab es allerdings schon vorher. Den Wendepunkt brachte die Finanzkrise.

Von Jan Willmroth

Die Hoffnung ist futsch. Vor wenigen Wochen nahm Cecilia Malmström ihren gesamten verbliebenen Optimismus zusammen und erklärte, was ihr sowieso kaum noch jemand abnahm. "Die Union setzt alles daran, ein ehrgeiziges TTIP-Abkommen zu erzielen", sagte die Handelskommissarin der Europäischen Union Mitte Januar in Brüssel, als ignorierte sie die Zeichen der Zeit. Während ein drohender Handelskrieg die Diskussionen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos beherrschte, stellte Malmström ein gemeinsames Positionspapier mit der scheidenden US-Regierung vor, das die Fortschritte bei den Verhandlungen aufzeigen sollte. Eine Grabrede auf ein Abkommen mit den USA, das es nicht mehr geben wird.

Es blieb ein schwaches Aufbäumen der Befürworter offener Weltmärkte, die längst nicht mehr so offen sind, wie manche noch glauben mögen. Denn der Protektionismus kommt nicht gerade zurück: Er ist längst schon wieder da.

Der Wendepunkt ist bald zehn Jahre her. In der globalen Finanzkrise kam die Weltwirtschaft zunächst zum Erliegen, es folgte eine Gegenbewegung, die Wirtschaft wuchs langsam wieder. Aber etwas hatte sich verändert. Der Warenaustausch zwischen Kontinenten und Ländern nahm nicht mehr annähernd so stark zu wie vor der Krise. Seit 2012 ist der Welthandel nur um etwa drei Prozent pro Jahr gewachsen, weniger als halb so schnell wie in den drei Jahrzehnten zuvor. "Der Rückgang des realen Handelswachstums geschah auf breiter Basis", schreiben Experten des Internationalen Währungsfonds in ihrem jüngsten Wirtschaftsausblick.

Kaum ein Land blieb davon ausgenommen. Das Londoner Centre for Economic Policy Research ging sogar noch weiter. Das weltweite Exportvolumen habe schon Anfang 2015 ein Plateau erreicht, schreiben die Ökonomen Simon Evenett und Johannes Fritz: "Damit wächst das Standardmaß für den Welthandel nicht langsamer - es wächst überhaupt nicht." Als Wachstumstreiber fällt der Welthandel also ohnehin erst einmal aus.

Das dürfte auf absehbare Zeit so bleiben. Denn mit dem verlangsamten Wachstum des Welthandels ging ein Paradigmenwechsel der Politik einher. "Wir beobachten seit Jahren einen Sittenverfall im Welthandel. Man verlässt allmählich Standards, auf die man sich mal geeinigt hatte", sagt Gabriel Felbermayr, Experte für Außenwirtschaft am Münchener Ifo-Institut. "Das führte zu einem schleichenden, impliziten Wiederaufstieg des Protektionismus." Und zwar nicht erst, seit "America first" zum wirtschaftspolitischen Leitspruch der US-Regierung geworden ist.

Letzteres verstärkt nämlich einen Trend, den es bereits gab. Seit der Finanzkrise ist es unter den größten Volkswirtschaften wieder beliebt geworden, zuerst auf die eigene Wirtschaft zu blicken. Einzelne, für sich vielleicht unverdächtige Maßnahmen wie die deutsche Abwrackprämie oder Sondersteuern auf Agrareinfuhren in den USA addieren sich zu einem Gesamtbild, in dem nationale Industriepolitik wieder en vogue ist. Und so steigt die Zahl der weltweit verhängten Handelsschranken seit Jahren an.

Die Folgen der Finanzkrise sind noch immer zu spüren

Dazu gehören zuvorderst Antidumping-Maßnahmen. Das sind etwa Einfuhrzölle auf Produkte, die vermeintlich unter ihrem wahren Wert auf dem Weltmarkt angeboten werden. Die europäischen Schutzmaßnahmen gegen chinesische Stahlimporte sind dafür das beherrschende Beispiel. Wenn ein Land ein anderes beschuldigt, Exportindustrien zu subventionieren, darf es zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen. Die Ausgleichszölle richten sich also gegen die Wirtschafts- oder Industriepolitik ganzer Länder. Sofern heimische Unternehmen von einem sprunghaften Anstieg der Importe bestimmter Produkte betroffen sind, kann sich ein Land kurzzeitig schützen. Fachleute sprechen von sogenannten Safeguards.

All diese Maßnahmen sind zwar vorübergehend. Aber manchmal vergehen Jahre, bis vor den Gerichten der Welthandelsorganisation (WTO) über sie verhandelt wird und sie womöglich wieder abgeschafft werden. Im Durchschnitt dauern Verfahren dort 18 Monate. Eine ziemlich lange Zeit, um die heimische Industrie mit Schutzzöllen von teils mehreren Hundert Prozent zu schützen. Nach CEPR-Berechnungen ist die Zahl der weltweit verhängten Schutzmaßnahmen von 155 im Jahr 2009 auf zuletzt 463 gestiegen. Das ist zwar noch kein Handelskrieg. Die Voraussetzungen dafür haben die Regierungen aber längst geschaffen.

Die Europäische Kommission nimmt dabei eine schwierige Doppelrolle ein. Einerseits steht sie nun als Vorkämpfer offener Weltmärkte da. Andererseits will sie nicht bedingungslos zusehen, wie eigene Industrien kaputtkonkurriert werden. So hat sie im vergangenen Jahr eine rekordhohe Zahl an Untersuchungen wegen Anti-Dumping- und Anti-Subventionsmaßnahmen angestrengt - und dürfte schon in Kürze neue Instrumente an die Hand bekommen, mit denen sie konkrete Handelssanktionen schneller verhängen kann.

Die Ära des Freihandels droht zu enden - auch ohne die USA

Solche Instrumente wird sie auch nutzen. "Wenn einer damit beginnt, machen die anderen das nach", sagt Felbermayr über die zentrale Gefahr, die temporäre Handelsschranken mit sich bringen. "So kommt eine Spirale aus Schutzmaßnahmen und Gegenmaßnahmen in Gang." Bislang ist umstritten, wie groß der negative Einfluss der Handelshemmnisse auf das Handelswachstum der vergangenen Jahre gewesen ist. Einen stärkeren Effekt hatten die strukturellen Veränderungen in China. Mit der Abkehr von einer industriell geprägten hin zu einer dienstleistungs- und konsumgestützten Wirtschaft wuchs auch der Warenverkehr von und nach China langsamer. Viele Ökonomen führen die verlangsamten Handelsströme zudem auf die schwache wirtschaftliche Dynamik nach der Finanzkrise zurück. Noch immer wird in einem weltweiten Maßstab relativ wenig investiert, das schwächt den Handel.

Felbermayr sieht noch einen weiteren Punkt. Die seit dem Beginn der Neunzigerjahre geschlossenen Handelsverträge, die Abschaffung der Zölle seit der Gründung der WTO im Jahr 1995 entfalteten erst mit der Zeit ihren vollen Effekt. "Jetzt kommt da etwas zum Erliegen, und Dynamik schwächt sich ab", sagt der Forscher. Nach neuen Schritten, um diese Dynamik wieder zu beleben, sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil: Die Ära des Freihandels drohte auch ohne eine nationalistische US-Regierung zu enden. Jetzt geht es bloß schneller.

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