Projekt "Forschungswende":"Wir suchen dringend nach Geld"

Projekt "Forschungswende": Steffi Ober, 52, leitet das Projekt Forschungswende. Die promovierte Tierärztin arbeitet für den Naturschutzbund und war Landesvorsitzende der Grünen in Rheinland-Pfalz.

Steffi Ober, 52, leitet das Projekt Forschungswende. Die promovierte Tierärztin arbeitet für den Naturschutzbund und war Landesvorsitzende der Grünen in Rheinland-Pfalz.

(Foto: oh)

Bauern und Forscher sollten zusammenarbeiten, findet Umweltaktivistin Steffi Ober.

Interview von Tanja Busse

SZ: Frau Ober, Sie sind die Initiatorin des Projekts "Forschungswende". Was verbirgt sich hinter dem Begriff?

Steffi Ober: Ich arbeite beim Naturschutzbund und habe während der Debatte um die Grüne Gentechnik im Austausch mit anderen Umwelt-, Bio- und Entwicklungsorganisationen festgestellt, dass viel öffentliches Geld in die Forschung für Gentechnik und Biotechnologie gehen. Und vergleichsweise wenig in den Ökolandbau. Wir haben uns gefragt, warum das so ist: Wer entscheidet eigentlich über die Mittelvergabe des Forschungsgelds? Es geht um eine Menge: Der Bund hat im Jahr 2016 15,8 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben.

Haben Sie Antworten gefunden?

Es gibt gute Verbindungen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber wenig etablierte Verbindungen zwischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Beispielsweise berät der Bioökonomierat die Bundesregierung beim Strukturwandel von einer erdölbasierten zur biobasierten Industrie. Doch in dem Gremium kommen Praktiker jenseits der Industrie nicht vor, weder Umweltverbände, Landwirte noch Handwerker. Aber was ist das Ziel von öffentlicher Forschungsförderung? Geht es darum, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu fördern? Oder um Leistungen für Gemeingüter, den Erhalt der Biodiversität, die Bodenfruchtbarkeit oder die Gesundheit unserer Nutztiere? Deswegen versuchen wir als Verbände, uns einzumischen, wo die großen Forschungsschwerpunkte beschlossen werden. Unsere Idee ist es, einen Forschungsfonds zu gründen, in dem Bürger und Praktiker ihre Probleme vorstellen und Wissenschaftler daraus Forschungsfragen entwickeln und versuchen, das Problem zu lösen.

Gibt es dafür Beispiele?

Prinz Charles hat etwas Ähnliches in England auf die Beine gestellt: Dort kommen einmal jährlich Bauern und Agrarwissenschaftler zusammen. Auch die EU fördert solche Netzwerke zwischen Praktikern und Wissenschaftlern.

Um was für Probleme geht es dann dabei? Und welche Forschungsfragen hätten Sie als Naturschützerin gerne bearbeitet?

Es gibt in Deutschland gerade ein massives Insektensterben, das sich weder durch den Klimawandel noch durch die intensivierte Landwirtschaft allein erklären lässt. Wir suchen dringend nach Geld und wissenschaftlichen Partnern, um herauszufinden, warum sich die Zahl der Insekten, die am Anfang der Nahrungskette für viele Tiere stehen, so drastisch reduziert hat. Eine These wäre, dass Neonikotinoide dafür verantwortlich sind. Das sind die umstrittenen Pflanzenschutzmittel, die auch für das Bienensterben verantwortlich gemacht werden. Aber das können wir Umweltschützer mit Bordmitteln nicht klären. Jeder, dem ich davon erzähle, findet, es sei sehr sinnvoll und vernünftig, das zu erforschen, aber die Frage passt in kein Raster der öffentlichen Forschungstöpfe.

Landwirte oder Handwerker arbeiten üblicherweise ja selten mit Wissenschaftlern zusammen. Heißt Forschungswende auch, dass sich das ändern muss?

Auf jeden Fall: Biobauern haben zum Beispiel Schwierigkeiten, Maschinen zu finden, die sie für ihre ökologische Bodenbearbeitung brauchen. Der Markt ist im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft einfach viel zu klein. Viele Öko-Landwirte bauen deshalb eigene Modelle. Ein Portal, das Probleme und Lösungen zusammen bringt, wäre ein erster Schritt. So ein Netzwerk baut der Anbauverband Bioland gerade auf. Besser wäre natürlich eine Forschungsförderung für solche Fragen. Die Biolandwirte brauchen zum Beispiel robuste Zweinutzungsrassen, etwa Hühner, die viele Eier legen und trotzdem gut zu mästen sind. Bei solchen Züchtungen könnten Landwirte und Wissenschaftler gut zusammenarbeiten.

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