Apps für Flüchtlinge:Plötzlich Philanthrop

Start-up-Gründern sagt man nach, sie wollten das große Geld verdienen. Doch nun programmieren viele umsonst - für Flüchtlinge.

Von Julia Ley

Am Anfang, sagt Gregor Amon, ging es ihm gar nicht um Flüchtlinge. Mit zwei Bekannten programmiert er Smartphone-Apps. Es ist ein Hobby, aber durchaus eins, mit dem sie irgendwann Geld verdienen wollten. Auch mit Speakfree. Die Idee entstand im März: Eine App, mit der der Nutzer mit anderen in seiner Umgebung chatten kann. Anonym und ohne sich anzumelden. Das Programm erkennt per Ortung, wo man sich aufhält, und erstellt automatisch drei Chatrooms: Im Umkreis von einem, zehn und 100 Kilometern. Für wen das interessant sein könnte? Amon dachte anfangs an Menschen, die viel herumkommen oder neu in einer Stadt sind. Wer nicht weiß, wo man am Sonntag Brötchen kriegt, setzt eine Nachricht in einen der Kanäle ab und wartet.

Dann kam die Flüchtlingskrise. Amon half ehrenamtlich bei der Kleiderausgabe in München. Als im September immer mehr Asylbewerber kamen, verlängerte die Kleiderkammer ihre Öffnungszeiten. Doch an den zusätzlichen Tagen war kaum jemand da - weil niemand davon wusste. "Also habe ich mir gedacht: Moment, ich bin an einer Kommunikationsapp beteiligt. Da muss man doch was machen können." Speakfree mutierte zu einem Hilfsprojekt. Heute kann man zwischen zehn Sprachkanälen wählen. Und es gibt eine automatische Übersetzungsfunktion, mit der Hilfsorganisationen an einem Standort schnell wichtige Informationen verbreiten können.

"Wenn man so will, sind wir so etwas wie die IT-Abteilung einer großen Firma."

Wie Amon scheint es gerade vielen Entwicklern zu gehen. IT-Freaks, die früher aus technischem Interesse oder in der Hoffnung auf das große Geld programmierten, entwickeln jetzt ehrenamtlich Projekte, die Asylsuchenden und Helfern das Leben erleichtern können. Ende Oktober fand in Berlin ein Refugee-Hackathon statt, ähnliche Treffen gab es bereits in Hamburg und Mannheim.

Apps für Flüchtlinge: Wollen Asylsuchenden und Helfern das Leben erleichtern: Lisa Neale, Andreas Tichon (M.) und Sung-Hi Kim von der Facebook-Community Nerds4Refugees.

Wollen Asylsuchenden und Helfern das Leben erleichtern: Lisa Neale, Andreas Tichon (M.) und Sung-Hi Kim von der Facebook-Community Nerds4Refugees.

(Foto: Julia Ley)

Am Sonntag fand ein weiterer in Wuppertal statt. Bei dem Event in Berlin programmierten mehr als 300 Software-Entwickler, IT-Studenten und Designer ein Wochenende lang mit und für Flüchtlinge. Am Ende standen 18 neue Projekte. Darunter auch die Webseite "Lagesonum", mit der Asylsuchende aus der Ferne einsehen können, wann ihre Wartenummer am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales zur Registrierung ausgerufen wird. Bis vor Kurzem standen häufig Hunderte Menschen stunden-, manchmal tagelang im Regen vor dem Amt.

Wie Amon verwenden viele Programmierer Stunden auf das Entwickeln der App. Eine Arbeit, die sich professionelle Entwickler gut bezahlen lassen. Allein für das Erstellen der Webseite First-contact.org, so Gründerin Katharina Dermühl, hätten sie normalerweise bis zu 5000 Euro bezahlt. Die Seite versorgt Flüchtlinge, die an den Außengrenzen Europas ankommen, auf drei Sprachen mit lebenswichtigen Informationen: Wo sie sich registrieren müssen, wo sie medizinische Hilfe und etwas zu essen bekommen, wie sie weiterreisen können.

Doch es ist nicht nur unbezahlte Arbeitszeit, die die virtuellen Flüchtlingshelfer aufwenden. Es fallen Kosten an, um Domains zu kaufen, Server zu betreiben, für die Wartung. Amon rechnet vor, dass allein der Serverbetrieb bei 100 000 Nutzern pro Tag monatlich etwa 20 000 Euro kostet. Noch ist Speakfree längst nicht so groß, aber sollte es einmal so weit kommen, muss Amon sich nicht sorgen: Der Betreiber Pubnub erlässt ihnen mehr als 80 Prozent, aus "humanitären Gründen".

Weil die Szene bereits jetzt sehr unübersichtlich ist, gründen sich nun Metagruppen wie die Facebook-Community Nerds4Refugees. In München treffen sich ihre Mitglieder einmal wöchentlich auch nicht-virtuell. "Wir wollen den Markt effizienter machen, sodass möglichst wenig Diversität besteht", erklärt Mitglied Sung-Hi Kim. Man wolle verhindern, dass Arbeit doppelt gemacht wird, weil Entwickler mit ähnlichen Ideen nicht voneinander wissen. Außerdem können sich über die Facebook-Seite Flüchtlingshelfer und Entwickler finden, Ideen austauschen und Hilfe anfordern.

"Wenn man so will, sind wir so etwas wie die IT-Abteilung einer großen Firma", sagt Kim. "Wir versuchen die Probleme zu lösen, die bei den Helfern täglich auftauchen." Man könnte dieses Prinzip auf die virtuellen Flüchtlingshelfer insgesamt übertragen. Die Erfinder von Wörterbuch- und Kleiderspenden-App machen es möglich, dass andere effizienter helfen können.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: