Produktpiraterie:"Das Verbrechen des 21. Jahrhunderts"

Ein neues Online-Portal soll Verbraucher und Unternehmer über die Gefahren von Fälschungen informieren. Um die Gefahren aber wissen die Verbraucher. Und kaufen fröhlich weiter.

Thorsten Denkler, Berlin

Billig muss nicht gut sein, kann sogar schädlich sein, wenn es eine Fälschung ist. T-Shirts mit giftigen Chemikalien, Medikamente ohne oder mit falscher Wirkung, Autoersatzteile aus drittklassigen Materialien.

Die meisten Plagiate kommen aus China und Russland

Verbraucher wissen das. Knapp 60 Prozent der Verbraucher ist bewusst, dass Fälschungen gefährlich sein können. Und dennoch: Gerade einmal acht Prozent der Konsumenten würden auf ein verdächtig günstiges Schnäppchen verzichten. Das ergab eine Umfrage der Meinungsforscher von Emnid im Auftrag Deutschen Markenverbandes zum Thema Produktpiraterie.

Anlass der Umfrage ist eine neue Internetseite, die am Mittwoch ins Netz gestellt wurde. Unter www.original-ist-genial.de sollen sich Verbraucher, Unternehmer und Händler über den aktuellen Stand in Sachen Plagiate-Industrie informieren können. Das Portal ist ein Gemeinschaftsprojekt des Deutschen Markenverbandes, des Bundesverbandes der deutschen Industrie, des Handelskammertages und der internationalen Handelskammer.

Die meisten Fälschungen kommen zwar nach wie vor aus China und Russland. Doch gekauft werden die Waren hier. Allein der deutsche Zoll hat im vergangenen Jahr gefälschte Waren im Wert von 1,1 Milliarden Euro beschlagnahmt. "Fünfmal mehr, als noch im Jahr zuvor", berichtet Axel Nitschke vom DIHK.

Nach Schätzungen schädigen die Produktfälscher aus Asien und Übersee die deutschen Unternehmen um bis zu 30 Milliarden Euro jährlich. Weltweit sollen es bis zu 600 Milliarden Euro sein. Manfred Gentz, Präsident der internationalen Handelskammer in Deutschland: "Produktpiraterie ist das Verbrechen des 21. Jahrhunderts."

Die Zahlen beruhen zwar lediglich auf der Annahme, dass alle Fälschungen auch als Original hätten verkauft werden können. Aber wenn Steuerausfälle, Gesundheitskosten, Sozialleistungen für nicht eingestellte oder entlassene Mitarbeiter einbezogen werden, dann dürften 30 Milliarden Euro auf Deutschland noch eine konservative Rechnung sein.

Eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen die Produktpiraten nimmt für die Wirtschaft der Konsument ein. Wenn der die Plagiate nicht nachfragt, so die Logik, dann finden die Fälscher keinen Markt. Das Motto: Aufklärung und nochmals Aufklärung. Das neue Portal soll dazu einen Beitrag leisten.

Unternehmer in der Pflicht

Die für Urheberrechtsverletzungen zuständige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will aber auch die Unternehmen nicht aus der Verantwortung lassen. "Es sind deutsche Unternehmen, die die Waren in China bestellen", sagt sie bei der Vorstellung des Portals in ihrem Ministerium. Da müsste es mehr Bewegung geben.

Die Verbandsvertreter lobten unisono die Zusammenarbeit mit der Politik. In Deutschland werde geistiges Eigentum weltweit mit am Besten geschützt. Zypries will noch mehr. Dem Bundestag liegt ein so genanntes Durchsetzungsgesetz vor, mit dem von Piraterie betroffene Unternehmen schneller und leichter Auskünfte von Zwischenhändlern oder Spediteuren über deren Auftraggeber bekommen sollen.

Trotz der Größe des Problems sind viele Unternehmen noch ratlos, wie sie sich schützen können. Nach einer Umfrage des DIHK unter Unternehmen, die sich in China engagieren, hat ein Drittel der Befragten keine Schutzrechte für ihr geistiges Eigentum beantragt. Ohne aber ist die Strafverfolgung der Fälscher praktisch unmöglich. "Vielen Unternehmen ist das nicht bewusst", sagt Nitschke vom DIHK.

Zypries will weiter den Dialog mit China suchen. Mit dem Beitritt des Riesenreiches zur Welthandelsorganisation WTO hat die Führung in Peking auch die Marktregeln für geistiges Eigentum akzeptiert und in Recht gegossen. "Es hapert aber an der Durchsetzung des Rechts", sagt Zypries.

Ein für die vergangenen Tage geplantes Treffen von deutschen und chinesischen Rechtsexperten wurde von den Chinesen abgesagt - aus Protest gegen die Visite des Dalai Lama bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Das Treffen sollte eigentlich dienen, den Chinesen zu zeigen, wie in Deutschland das Urheberrecht in der Praxis geschützt wird. Zypries hofft, die Gespräche bald fortsetzen können. Wenn das gelingt "haben wir zumindest keinen Rückschritt", sagt sie. Und das ist zuweilen ja auch ein Fortschritt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: