Private Krankenversicherungen:Ärger mit neuer Stiftung

Lesezeit: 2 min

Wissenschaftler kritisieren die privaten Krankenversicherer. Der Vorstand der neu gegründeten PKV-Stiftung ist alles andere als unabhängig.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Eigentlich war es eine gute Idee: Vor gut einem Jahr gründete der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) die gemeinnützige "Stiftung Gesundheitswissen". Sie sollte "allen Patienten verständliche Entscheidungshilfen über Diagnostik- und Therapie-Möglichkeiten anbieten" - unabhängig von bestimmten Interessen und auf wissenschaftlicher Basis. Nach wie vor sei das "Gesundheitswissen in Deutschland im internationalen Vergleich unterentwickelt". Es gebe im Internet "ein unüberschaubares Angebot, doch es fehlt an unabhängigen, qualitätsgesicherten und laienverständlichen Inhalten". Der PKV-Verband wolle daher mit der Stiftung "die Kompetenz der Patienten stärken", hieß es im Juni 2015 bei der Gründung der Stiftung. Dafür sollte auch ein wissenschaftlicher Beirat gerade stehen.

"Wir fühlen uns getäuscht und in die Irre geführt."

Doch schon ein Jahr später zeigt sich: Die Interessen eines der einflussreichsten Lobbyverbände in Berlin lassen sich offenbar nur schwer mit den Anliegen von Wissenschaftlern vereinbaren, die die Bevölkerung unabhängig aufklären wollen. Anfang dieser Woche ist der gesamte wissenschaftliche Beirat der Stiftung zurückgetreten. Der Vorsitzende des Beirats, Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, erhebt schwere Vorwürfe gegen den PKV-Verband: "Wir fühlen uns getäuscht und in die Irre geführt", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die mit sieben Millionen Euro jährlich ausgestattete Stiftung habe die "große Chance gehabt, die Bürger, die bei Gesundheitsfragen oftmals in die Irre geführt werden und dafür nicht selten teuer bezahlen müssen, besser zu informieren". Diese Chance habe der PKV-Verband leider vergeben.

Nun saß im Beirat der Stiftung nicht irgendwer: Neben Gigerenzer waren darin zum Beispiel Ingrid Mühlhauser, Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, und Lothar Weißbach, Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Auch der Berliner Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz hat der Stiftung den Rücken gekehrt. Er hat den Stiftungsrat verlassen, ein weiteres Gremium neben dem Beirat. Dieser setzte vor allem auf die hauptamtliche Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Odette Wegwarth.

Die Wissenschaftlerin, die zuletzt am Harding-Zentrum für Risikokompetenz im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung tätig war, beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie man Patienten zu medizinischen Schlüsselfragen am besten informieren kann. In einem Interview sagte sie: Bei der Krebsfrüherkennung fänden Patienten nur sehr selten Informationen darüber, dass diese Verfahren auch schaden könnten und "dass es durch Früherkennungsuntersuchungen auch zu Überdiagnosen und damit zu Überbehandlungen kommen kann".

Inzwischen hat Wegwarth die Stiftung verlassen - "aus persönlichen Gründen", wie die Stiftung mitteilt. Der PKV-Verband war aber offenbar mit ihrer Arbeit nicht zufrieden. Nachfolger von Wegwarth ist Ralf Suhr, bislang Vorsitzender der PKV-Stiftung "Zentrum für Qualität in der Pflege". Der zurückgetretene Beiratschef Gigerenzer ist mit diesem Wechsel überhaupt nicht einverstanden. Suhr habe für diesen Posten "nicht die wissenschaftliche Expertise". Außerdem stamme nun das gesamte Vorstandstrio der Stiftung aus dem Kreis der PKV. Die Stiftung könne daher nicht mehr so wie vorgesehen unabhängig von Interessen arbeiten. Die Stiftung weist diese Vorwürfe zurück: "An der Unabhängigkeit der Stiftung gibt es keinen Zweifel und daran wird sich auch nichts ändern." Der neue Vorstandschef Suhr, der auch "ausgebildeter Mediziner" sei, gewährleiste "Unabhängigkeit von Interessen der PKV". Man wolle auf jeden Fall weiterarbeiten.

Bisher ist davon nicht viel zu sehen. Die Stiftung hat noch nicht einmal ein eigenes Portal im Internet.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: