Praktikum im Silicon Valley:Das große Los

Google-Campus in Mountain View

Der Campus von Google in Mountain View.

(Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Die "Generation Praktikum" kann sich im Silicon Valley glücklich schätzen. Wer bei einer der aufstrebenden Technikfirmen als Praktikant arbeitet, dem ist neben einem Traumgehalt auch eine hervorragende Perspektive sicher.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Jeffrey Warren muss lachen, als er gefragt wird, wie groß der Druck sei, der auf ihm laste. Es ist ein offenes Lachen, bei dem aber mehr mitschwingt. Er lacht wie ein Fußballspieler, der von einem Reporter gefragt wird, ob er auch einmal so ein toller und berühmter Kicker werden wolle wie sein großer Bruder. Warren macht das einzig Richtige, als er die Frage nach dem Druck auf seiner Schulter beantwortet: Er lacht fröhlich und sarkastisch.

Warren, 24, gehörte im Januar 2013 zur ersten Praktikanten-Gruppe , die das Social-Media-Unternehmen Pinterest jemals beschäftigt hat. Er absolvierte bis zum August 2014 sogar drei Praktika bei der Silicon-Valley-Firma, die inzwischen mit elf Milliarden US-Dollar bewertet wird. Genau deshalb fragen sich viele: Was ist aus diesem Jeffrey Warren geworden?

"Wir alle durften das Wachstum eines Unternehmens erleben."

Die Internet Nachrichten- und Technologie-Seite Business Insider hat kürzlich die Lebensläufe der ersten Praktikanten von heute weltbekannten Unternehmen nachgezeichnet. Der Dienst hat dabei eine interessante Parallele entdeckt: Alle sind erfolgreich. So hat Darian Shiraziin in seiner Zeit als erster Praktikant von Facebook direkt mit Gründer und Firmenchef Mark Zuckerberg zusammen gearbeitet. Mittlerweile leitet er das Datenunternehmen Radius und sammelte kürzlich bei einer Finanzierungsrunde knapp 55 Millionen Dollar ein. Jen Fitzpatrick blieb bei Google, sie ist als Vizepräsidentin für Google Maps verantwortlich. Austin Geidt ist bei Uber von der ersten Praktikantin zur Leiterin der weltweiten Expansionen aufgestiegen. Kevin Systom war der erste Studentenkurzarbeiter bei Twitter, danach gründete er Instagram, sein Vermögen wird auf 800 Millionen Dollar geschätzt. Das führt zurück zu Jeffrey Warren und der Frage nach den Gemeinsamkeiten und dem Druck.

"Was diese Praktikanten verbindet, ist nicht die Tatsache, dass diese Unternehmen nun berühmt sind, sondern dass sie zum Zeitpunkt des Praktikums kleine Start-Ups waren", sagt Warren: "Wir durften sofort an verschiedenen Projekten arbeiten." Er habe gleich am ersten Tag bei Pinterest programmiert. Am ersten Wochenende habe es einen sogenannten Make-a-thon gegeben, bei dem jeder Mitarbeiter Vorschläge machen durfte. "Wir alle durften das Wachstum eines Unternehmens erleben, auch wenn die Gründe für den Erfolg unterschiedlich waren."

Praktikanten heißen auf Englisch "Interns", doch bei Pinterest werden sie "Pinterns" genannt. Die Mitarbeiter, Employees, heißen in dieser Firma Pinployees. Über der Wand mit den verdienten Mitarbeitern in der Firmenzentrale in San Francisco steht "Pinspiration". Neuigkeiten auf der Homepage werden mit "How Pinteresting" umschrieben. Jede Silicon-Valley-Firma pflegt eigene Schrulligkeiten, weil solche Eigenheiten eine Neugründung bei potenziellen Investoren einzigartig und damit unverwechselbar werden lassen. Zur Kultur von Pinterest gehören die Nachtsessions, bei denen sich die Pinployees gegenseitig pinspirieren und pinteressante Projekte anstoßen sollen oder einfach nur die Büroräume umdekorieren.

Bei einem Kreativ-Wochenende hatte Warren eine Idee: Nutzer veröffentlichten bei der Applikation andauernd Produkte, die ihnen gefielen und die sie gerne hätten, wenn sie nicht gar so teuer wären. Wie wäre es, wenn sie eine Email bekämen, falls es diesen Artikel irgendwo billiger gäbe? Die Kollegen waren begeistert. Warren legte los: "Es war hochinteressant, diese komplizierten Prozesse zu implementieren und voranzutreiben und dann als Praktikant in einem Raum mit all diesen wichtigen Leuten zu sitzen und das Projekt vorzustellen."

Im August 2013 durfte er den Blogeintrag auf der Firmenhomepage mit dem Titel "Pin a little, save a little" verfassen. Er hat mitgeholfen, dass Pinterest mittlerweile von mehr als 70 Millionen Menschen weltweit genutzt wird. Erst vor wenigen Tagen stellte das Unternehmen den Knopf vor, durch den die Nutzer auf der App veröffentlichte Dinge auch direkt kaufen können - eine Weiterentwicklung von Warrens Idee.

Gerade findet wieder eine Wanderung junger Menschen gen Westen statt

Von so etwas träumen junge Menschen, wenn sie als Praktikanten ins Silicon Valley kommen: eine Idee haben, sie entwickeln dürfen, dadurch bekannt und respektiert werden. Sie träumen davon, eine Festanstellung zu ergattern oder ein eigenes Unternehmen zu gründen und damit reich und berühmt zu werden - bestenfalls wie Instagram-Gründer Kevin Systom.

Praktikum im Silicon Valley: Jeffrey Warren hat im Silicon Valley ein Praktikum gemacht, heute arbeitet er an der Ostküste.

Jeffrey Warren hat im Silicon Valley ein Praktikum gemacht, heute arbeitet er an der Ostküste.

(Foto: oh)

Gerade findet wieder eine Wanderung gen Westen statt. Während der Sommerferien wollen zahlreiche Studenten ein Praktikum bei einer möglichst berühmten Silicon-Valley-Firma absolvieren. In Deutschland klingt Praktikum nach unbezahlter Arbeit, nach Ausbeutung, nach einer ganzen Generation nicht mehr ganz so junger Menschen, die sich von Kurzzeitjob zu Kurzzeitjob hangelt.

Das Silicon Valley ist noch immer das gelobte Land der Technologie. Die Praktikanten verbessern nicht nur Erfahrungsschatz und Lebenslauf, sondern auch ihren Kontostand. Dan Zhang von der University of Texas hat kürzlich die Daten veröffentlicht, die er von ehemaligen Kurzzeitarbeitern gesammelt hat. Interessant ist dabei nicht nur das Gehalt, sondern auch die zahlreichen Zuschüsse, die Unternehmen gewähren. Die rühmen sich damit, dass sie nicht nur die Welt verändern, sondern auch ein Paradies für Mitarbeiter seien, das reichlich Annehmlichkeiten böte: Bei Netflix gibt es einen Automaten, an dem sich die Mitarbeiter kostenlos technische Geräte ziehen können. Google bietet Kegelbahn, Kletterwand und Kickerkasten. Facebook kümmert sich um Adoptionen oder das Einfrieren von Eizellen. So werden kluge Köpfe getätschelt.

Glaubt man den Daten von Zhang, bekommt ein Facebook-Praktikant ein Grundgehalt von 6700 Dollar pro Monat und auch noch Zuschüsse für Miete, Essen und Transport im Wert von 3000 Dollar. Bei Apple gibt es insgesamt 7700 Dollar pro Monat, bei Uber 8500 Dollar, bei Yelp 8900 Dollar. Groupon und Ebay bezahlen jeweils insgesamt 11 000 Dollar pro Monat, Square zahlt 13 700 Dollar und Palantir lässt sich Praktikanten gar 15 400 Dollar kosten. Wer in der Technologiebranche arbeitet, dürfte gar nicht so unglücklich darüber sein, zur amerikanischen Generation Praktikum zu gehören. Er kann innerhalb von drei Monaten mehr als 45 000 Dollar verdienen.

Diese Praktikanten machen alles - nur keinen Kaffee

"Ich spreche nicht gern über Geld", sagt Warren: "Aber diese Zahlen, die im Internet zu finden sind, treffen auch auf mein Gehalt bei Pinterest zu." Diese teils astronomischen Gehälter lassen sich damit begründen, dass es im Silicon Valley einen erbitterten Wettstreit um die talentiertesten Studenten gibt. Diese Praktikanten machen gewiss keinen Kaffee oder Botengänge. Sie werden ins kalte Wasser geworfen und sollen schwimmen, bestenfalls so weit wie Warren mit seinem Projekt bei Pinterest.

Jen Fitzpatrick

Jen Fitzpatrick begann ihre Karriere bei Google als Kurzzeitarbeiterin und ist immer noch bei der Datenfirma.

(Foto: Jeff Chiu/AP)

"Es hat natürlich geholfen, dass ich das Projekt im Firmenblog vorstellen durfte und auch in meinem Lebenslauf erwähnen kann", sagt Warren. Er ist nun 24 Jahre alt, hat gerade sein Doktoranden-Studium am Massachusetts Institute of Technology (MIT) abgebrochen. Er soll nun endlich erzählen, was aus ihm geworden ist. Denn ganz offensichtlich gibt es neben dem Aufstieg in einem schnell wachsenden Unternehmen oder der Gründung einer eigenen Firma noch einen dritten Weg, der nichts mit dem Silicon Valley zu tun hat.

Warren arbeitet heute bei Wellframe in Boston, einer Gesundheits-App, die Patienten bei komplizierten Krankheiten wie Diabetes oder bei der Rehabilitation nach einem Herzinfarkt unterstützt. Im September vergangenen Jahres sammelte das Unternehmen bei der ersten Investorenrunde 8,5 Millionen Dollar ein und konnte dadurch in Personal investieren. Im Januar kam Warren als vierter Vollzeit-Programmierer hinzu.

"Wir haben hier eine komplizierte Aufgabe, die aber auch unglaubliche Möglichkeiten bietet, wenn wir unsere Idee richtig umsetzen", sagt er. Es gehe bei diesem Unternehmen eben nicht um ein paar Bildchen auf einer Pinnwand, sondern um die Gesundheit der Nutzer: "Ich finde diese Aufgabe nun bedeutsamer als das, was ich bei Pinterest gemacht habe. Nun habe ich das Gefühl, an etwas zu arbeiten, was die Gesundheit der Menschen verbessern könnte."

Praktikum im Silicon Valley: Darian Shirazi ging einst als Praktikant dem Facebook-Gründer Marc Zuckerberg zur Hand und leitet heute das Datenunternehmen Radius.

Darian Shirazi ging einst als Praktikant dem Facebook-Gründer Marc Zuckerberg zur Hand und leitet heute das Datenunternehmen Radius.

(Foto: oh)

Sie haben ihm bei Pinterest nach drei Praktika eine feste Stelle angeboten, dazu hätte er jedoch sein Bachelor-Studium am MIT abbrechen müssen. Das wollte er nicht. Zudem habe sich das Unternehmen in den 20 Monaten, in denen er dort arbeitete, gewaltig verändert. "Bei meinem ersten Praktikum gab es zwischen 30 und 40 Programmierer, beim dritten Praktikum waren es 200 Programmierer." Das habe vieles verändert. Bei Pinterest wäre er auf eine bestimmten Aufgabe festgelegt worden, bei Wellframe darf er an der Entwicklung der Firma mitarbeiten.

Es war wichtig für ihn, sagt er, aus dem Valley rauszukommen

"Wellframe war genau das, was ich immer machen wollte", sagt Warren, dessen Lachen nun zufrieden klingt. Er will an einem Produkt arbeiten, das die Menschen nicht nur unbedingt haben wollen, sondern wirklich brauchen. Er hört sich an wie Gregor Hochmuth, der einst der siebte Mitarbeiter bei Instagram war, das Unternehmen jedoch nach der Übernahme durch Facebook verließ und mittlerweile in New York eine Datenanalysefirma gegründet hat. Hochmuth sagt: "Es war wichtig für mich, aus dem Valley rauszukommen."

Warren lebt heute in Boston, er gehört zu den Menschen, die von einem Job nicht nur erwarten, dass er sie ernährt oder womöglich reich und berühmt werden lässt, sondern dass die Aufgabe sie erfüllt. Das hat Warren offenbar bei Wellframe gefunden. Er hat es nicht gemacht wie Darian Shirazi, Jen Fitzpatrick, Austin Geidt oder Kevin Systom. Seine lachende Botschaft an die Welt indes ist nicht weniger interessant. Sie lautet: Es lohnt sich für einen jungen Menschen, ins Silicon Valley zu kommen. Man muss aber nicht unbedingt dort bleiben, um glücklich zu werden.

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