Potenzpille Viagra:Der Zufallstreffer

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Wie es der Pharmaindustrie gelang, mit einer einzigen Tablette einen ganz neuen Markt zu schaffen.

Kristina Läsker

Edson Arantes do Nascimento hat ein großes Herz für Männer - und Sinn fürs Geschäft. In einem Fernseh-Spot warb der Brasilianer, besser bekannt als dreifacher Fußballweltmeister Pelé, vor einigen Jahren dafür, sich bei Erektionsproblemen vom Arzt behandeln zu lassen.

Frauen gaben das Herzmittel Viagra nach Ende der Patiententests zurück - die Männer nicht. Da wurden die Ärzte stutzig. (Foto: Foto: AFP)

Uneigennützig warnte Pelé die Männerwelt indes nicht: Der Pharmakonzern Pfizer zahlte dem alten Fußballer viel Geld dafür, damit dieser indirekt Pfizers Potenzmittel Viagra anpries. Über finanzielle Details schweigt der Konzern, schließlich sind Werbespots für Arzneien in Deutschland verboten.

Seither hat Viagra eine steile Karriere hingelegt: Vor zehn Jahren, am 27.März 1998, wurde die blaue Pille von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA erstmals zugelassen. Im darauf folgenden Oktober war sie in Deutschland zu haben - Urologen feierten sie als Wundermittel gegen Erektionsstörungen, Sexualforscher warnten vor der vermeintlich einfachen Lösung eines komplexen Problems.

Inzwischen ist der Name Viagra längst ein Synonym für Potenzmittel geworden - obwohl es seit 2003 mit Cialis von Eli Lilly und Levitra von Bayer zwei weitere Präparate im Markt gibt.

Männer gaben die Pillen nicht zurück - die Ärzte wurden stutzig

35 Millionen Männer haben nach Angabe von Pfizer Viagra schon genommen, davon eine Million in Deutschland. Für die Pharmaindustrie hat sich die Sache auf jeden Fall gelohnt. Etwa 3,5 Milliarden Dollar Umsatz, umgerechnet 2,3 Milliarden Euro, haben die Mittel den Konzernen im vergangenen Jahr beschert. Die größten Erlöse erzielte Viagra (1,8 Milliarden Dollar), gefolgt von Cialis (1,2 Milliarden) und Levitra (517 Millionen).

Dabei war Viagra ein Zufallsprodukt. Der darin enthaltene Wirkstoff Sildenafil wurde in den 80er Jahren gegen eine Erkrankung der Herzkranzgefäße getestet. Die potenzsteigernde Wirkung entdeckten die Ärzte erst bei Patiententests.

"Die Frauen haben die überzähligen Tabletten zurückgegeben und die Männer nicht - da wurden die Ärzte stutzig", erzählt der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske. Pfizer habe daraufhin das Potential von Sildenafil erkannt - und die Anwendung geändert. Diese Vorgehensweise ist typisch für die Branche: "Die Industrie entwickelt häufig ein Medikament und sucht dann dafür eine Krankheit", sagt Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Doch die größte Leistung von Pfizer ist es wohl, mit der Potenzpille einen gesellschaftlichen Nerv zu treffen - und den Wunsch nach Sex in ein medizinisches Problem zu verwandeln. "20 Prozent der deutschen Männer leiden an Erektionsstörungen", heißt es auf der Webseite von Pfizer. Hier können Männer Erkundungen über ihre Potenz einholen.

Sexueller Leistungsdruck bei älteren Männern

Und werden dann darauf hingewiesen, dass mit Viagra vieles noch schöner sein könnte. Heißt es doch: Auch derjenige, bei dem alles in Ordnung ist, "kann die Anzahl der Erektionen bei entsprechender Medikation steigern". Für den Gesundheitsexperten Glaeske ist das ein Zeichen dafür, wie sehr die Pharma-Branche jenseits von Krankheiten mit lukrativer Lebenshilfe Geld verdienen will. "Wünsche werden über die Pillendose befriedigt", sagt Glaeske. Es gehe darum, "immer jung, immer fit, allzeit bereit" zu sein.

"Der sexuelle Leistungsdruck hat sich gerade auch bei älteren Männern erhöht", sagt der Verbraucherschützer Etgeton. Und das dürfte den Verkauf der Pillen weiter anfeuern: Schließlich gibt es künftig immer mehr Ältere. Auch die geballte Werbung der drei Konzerne tut alles, um das Thema aus der Tabuzone und die Männer in die Praxen zu holen.

Doch Potenzpillen nur als Life-Style-Präparate abzutun, wäre falsch. Ärzte streiten darüber, inwieweit körperliche oder seelische Probleme die Potenzstörungen auslösen: "Fragen Sie einen Urologen, so wird er sagen, 80 Prozent der Störungen sind organisch bedingt. Psychologen würden hingegen sagen, dass 80 Prozent psychische Ursachen haben", sagt der Psychotherapeut Folker Fichtel vom Klinikum der Uni Frankfurt.

Der neu geschaffene Markt wird weiter wachsen

Aus Sorge um die Kosten haben deutsche Vertreter der Kassen und Kassenärzte die Erstattung von Potenzmitteln von vorneherein ausgeschlossen - anders als etwa in Schweden oder Großbritannien. Auch Diabetiker, Patienten nach einer Prostata-Operation oder Querschnitts-Gelähmte müssen ihre Präparate selbst bezahlen.

Dabei hatten sie die Vorgänger der Pillen - Spritzen für eine Erektion oder Vakuumpumpen - ersetzt bekommen. "Für diese Patienten ist Viagra aber eine echte Verbesserung", sagt der Arzneimittelexperte Gerd Glaeske. Eine Verbesserung, die sie einiges kostet. Für die aber viele Männer offensichtlich bereit sind, zu zahlen. "Pfizer hat mit der Einführung von Viagra einen Markt geschaffen, den es so vorher nicht gab", sagt Pharmaanalyst Andreas Theisen von der WestLB. Und in den nächsten Jahren werde dieser weiter wachsen.

© SZ vom 27.03.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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