Post-Vorstand Gerdes:"Nicht noch mal 13 Jahre ohne Preiserhöhung"

Allen E-Mails zum Trotz: Post-Vorstand Jürgen Gerdes singt ein Loblied auf den traditionellen Brief, der aber in absehbarer Zeit teurer wird.

C. Busse u. C. Dohmen

Er ist Chef von mehr als 80.000 Briefträgern in Deutschland: Jürgen Gerdes, 45. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium ging er 1994 zur Deutschen Post, begann in der Marketing-Abteilung und machte Karriere. Seit 2007 ist Gerdes Mitglied des Post-Vorstands und verantwortet das Briefgeschäft, noch immer der wichtigste Bereich des Konzerns. Doch die Zahl der Sendungen geht seit Jahren zurück, immer mehr wird elektronisch verschickt. Gerdes will die Post ins Internet führen.

Post-Vorstand Gerdes: Post-Vorstand Jürgen Gerdes: "Ein Brief ist vertraulich, verbindlich, verlässlich und darüber hinaus ein Ausdruck von persönlicher Wertschätzung."

Post-Vorstand Jürgen Gerdes: "Ein Brief ist vertraulich, verbindlich, verlässlich und darüber hinaus ein Ausdruck von persönlicher Wertschätzung."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Gerdes, wie viele E-Mails schreiben Sie täglich?

Jürgen Gerdes: Vielleicht 30 bis 40 E-Mails. Ich antworte oft mit meinem Blackberry auf E-Mails, das ist eigentlich Ersatz fürs Telefonieren.

SZ: Schreiben Sie auch Briefe?

Gerdes: Vor Weihnachten habe ich mehr als 700 Briefe persönlich verschickt. Gerade schreibe ich einige, um mich bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern zu bedanken. Dann verschicke ich welche zu Ostern, zum Geburtstag und natürlich auch zwischendurch immer wieder - täglich bis zu 10 Briefe.

SZ: Wie lange werden Menschen überhaupt noch Briefe schreiben und mit der Post verschicken?

Gerdes: Auch meine Kinder und meine Enkel werden noch physische Post, also Postkarten, Briefe und Kataloge, erleben. Der Brief ist 500 Jahre alt. Er wird weiterleben, dafür gibt es viele Gründe.

SZ: Welche denn?

Gerdes: Ein Brief ist vertraulich, verbindlich, verlässlich und darüber hinaus ein Ausdruck von persönlicher Wertschätzung. Das Briefgeheimnis hat sogar dazu beigetragen, dass es überhaupt Demokratie gibt. Es ist die Voraussetzung für den Schutz der Privatsphäre und verhindert Zensur. Für mich ist es unvorstellbar, dass per E-Mail oder per Internet gewählt wird. Ich persönlich zumindest würde da nicht mitmachen.

SZ: Trotzdem sinkt die Zahl der verschickten Briefe seit Jahren. Wie lange wird das noch so gehen?

Gerdes: Wir haben in Deutschland einen strukturellen Rückgang von durchschnittlich einem bis drei Prozent im Jahr, in anderen Ländern sind es bis zu sechs Prozent. Irgendwann wird ein Sockel erreicht sein. Wo dieser Sockel ist, wissen wir heute nicht. Die Frage ist, wie viele Menschen die Kommunikation im Internet annehmen. Nach wie vor sind über 30 Prozent der Bevölkerung online nicht zu erreichen.

SZ: Womit wird die Deutsche Post dann eines Tages Geld verdienen?

Gerdes: Wir werden auch in Zukunft mit dem Brief Geld verdienen. Dennoch gibt es Möglichkeiten, auf sinkende Volumina unterschiedlich zu reagieren. Eine Möglichkeit ist immer, die Preise zu erhöhen . . .

SZ: Wird also das Briefporto steigen?

Gerdes: Der Preis für einen Standardbrief ist seit 1997 stabil, für Geschäftskunden sind die Preise sogar gesunken. Ehrlicherweise sage ich: Wir werden nicht noch mal 13 Jahre ohne Preiserhöhung auskommen. Aber die Preise sind streng reguliert, und in 2010 gibt es im nationalen Briefgeschäft garantiert keine Preiserhöhungen.

SZ: Aber für farbige Briefumschläge muss ein Aufpreis gezahlt werden?

Gerdes: Das ist richtig. Dies ist übrigens schon seit über zehn Jahren so und auch von der Netzagentur so genehmigt. Der Grund hierfür ist, dass komplett farbige Briefumschläge nicht maschinell gelesen werden können und nur mit erheblichem Mehraufwand per Hand sortiert werden müssen. Sofern auf farbigen Briefumschlägen die Lesezone in Weiß oder einfarbigen Pastelltönen gestaltet sind, ist bei uns die maschinelle Bearbeitung zum Standardentgelt möglich.

"Die Filialen in den Edeka-Märkten sind ein Erfolg"

SZ: Was kann die Post noch tun, um die sinkenden Gewinne aus dem Briefgeschäft zu kompensieren?

Gerdes: Eine weitere Möglichkeit ist, bestehende Geschäfte auszubauen, und das tun wir schon lange. Die dritte Möglichkeit sind neue Produkte wie der Brief im Internet. Die Menschen kommunizieren ja nicht weniger, sondern anders. Wir wollen die Eigenschaften des klassischen Briefs, also Vertraulichkeit, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, in die elektronische Welt überführen. Früher musste man ins Reisebüro gehen, um eine Reise zu buchen - heute geht das per PC. Genauso wird man morgen einen Brief elektronisch vom PC verschicken können.

SZ: Wie hoch wird das Porto für den elektronischen Brief sein?

Gerdes: Über Preise rede ich noch nicht. Es wird aber zwei Varianten des Briefs im Internet geben: Entweder Sie schicken einen Brief elektronisch, und der Empfänger bekommt ihn in sein elektronisches Postfach. Oder sie schicken den Brief elektronisch, und wir stellen ihn als Ausdruck mit unserem Briefträger zu - das ist dann der hybride Brief.

SZ: Eine SMS kostet heute 19 Cent. Ist das ein guter Preis?

Gerdes: Das müssen Sie die Telekom fragen, SMS haben wir nicht im Angebot.

SZ: Wie viel investieren Sie?

Gerdes: Der Brief im Internet ist eines unserer größten Projekte der vergangenen Jahre. Zusätzlich zu den Entwicklungskosten für diese technisch hoch anspruchsvolle Plattform werden wir sehr stark ins Marketing investieren, um unsere Kunden mit dem neuen Produkt vertraut zu machen. Wir sind uns sehr sicher, dass wir die Kunden für den Brief im Internet begeistern werden. Gerade haben wir für den Brief im Internet eine umfangreiche Kooperation mit dem ADAC beschlossen. Der allein hat 17 Millionen Mitglieder. Das ist eine sehr gute Basis.

SZ: Irgendwann werden Sie möglicherweise Ihre Briefträger nicht mehr brauchen?

Gerdes: Das stimmt nicht. Die Taschen der Briefträger werden nicht an einem Freitag voll und am nächsten Montag dann leer sein, weil plötzlich alles elektronisch abläuft. Ich habe das Ziel, dass jeder unserer 80.000 Zusteller seinen geplanten Renteneintritt bei uns erreicht.

SZ: Von den eigenen Filialen trennen Sie sich und wandeln diese um. Ist das guter Service?

Gerdes: Aus Sicht unserer Kunden schon. Der unabhängige Kundenmonitor hat dies gerade bestätigt. Über 90 Prozent unserer Kunden sind mit uns zufrieden, das ist das beste Ergebnis, das wir je hatten. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass wir in den Filialen deutlich länger für unsere Kunden erreichbar sind. So haben wir durch die Umwandlungen die durchschnittliche Wochenöffnungszeit seit 1990 von 18 auf 43 Stunden gesteigert. Unser Plan ist, die Zahl der Verkaufsstellen in den nächsten drei Jahren von 17.000 auf 24.000 weiter auszubauen. Wir arbeiten daran, diesen Prozess zu beschleunigen. Die Filialen in den Edeka-Märkten sind beispielsweise ein Erfolg: Ich schaue mir das jeden Samstag an, wenn ich dort morgens Brötchen kaufe.

SZ: Werden Sie weitere der 109.000 Briefkästen abhängen?

Gerdes: Die Zahl wird sicher nicht sinken, eher steigen. Wir prüfen ständig Standorte und Anzahl der Briefkästen mit dem Ziel, den Service zu erhöhen. Wichtig ist die Nähe zum Kunden.

SZ: Gleichzeitig bauen Sie parallel zu Ihrem eigenen Netz die Billigtochter First Mail auf. Warum?

Gerdes: Viele Unternehmen haben unter einem Dach auch eine preisaggressive Marke, um Geschäft zu machen. Dazu kommt: Bei öffentlichen Ausschreibungen von Aufträgen sind die Preise der Post transparent. Konkurrenten bleiben mit ihren Offerten lediglich ein paar Cent unter unseren und gewinnen den Auftrag. Kein Unternehmen würde hier tatenlos zusehen. Deshalb gilt für die First Mail: Wir testen nun, ob wir über unsere Tochter Aufträge im öffentlichen Bereich gewinnen, die wir sonst nicht gewinnen können.

SZ: Sie hätten dann eine Zweiklassengesellschaft bei den Beschäftigten: gut bezahlte bei der Post, weniger gut bezahlte Kollegen bei First Mail?

Gerdes: Grundsätzlich sind alle unsere Mitarbeiter gut bezahlt. Natürlich gibt es Lohnunterschiede, das ist nicht neu oder ungewöhnlich. Entscheidend ist doch ein sicherer Arbeitsplatz. Wir bieten den Auszubildenden bei First Mail eine Übernahmegarantie. Anders als beispielsweise Wettbewerber zahlt First Mail den gesetzlichen Mindestlohn, also 9,80 Euro pro Stunde. In unserem Land sollte jeder von seiner Arbeit leben können.

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