Portrait:Der Netzwerker

Matthias Wissmann

Matthias Wissmann gilt seit langem als einflussreichster Lobbyist in Berlin. In der Krise ist das ein zweischneidiges Kompliment.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

In Sachen Geschmeidigkeit kann kaum jemand den Auto-Präsidenten Matthias Wissmann übertreffen. Auch mit Krisen hat er Erfahrung. Doch diesmal geht es um sein Erbe.

Von M. Bauchmüller, S. Braun und M. Hägler

Die 62. IAA ist nicht irgendeine Ausgabe der großen Autoschau. Die 62. Internationale Automobil-Ausstellung ist die erste im Zeichen des Umweltschutzes. Und die erste IAA unter Matthias Wissmann.

Als die Messe im September 2007 beginnt, hat sie vor allem eine Aufgabe: Sie soll den Ruf der deutschen Autoindustrie reparieren helfen. Die Branche stehe vor einer "umweltpolitischen Offensive", schwärmt der neue Verbandschef. Wissmann, einst Hoffnungsträger der CDU, Minister für Forschung und später für Verkehr, Schatzmeister seiner Partei in schwierigen Zeiten - er soll das Auto aus der Schmutzecke holen. Seit Sommer 2007 ist er Präsident des Automobil-Verbands VDA. Er steht vor einer Herkules-Aufgabe.

Damals sind es noch nicht betrügerische Programme, die den Schadstoffausstoß von Autos frisieren. Es sind auch nicht kunstvoll gedrückte Angaben über den Kraftstoff-Verbrauch, oder etwa der Verdacht eines allumfassenden Autokartells. Die Auto-Industrie steht in der Klimapolitik am Pranger: zu viel Emissionen, zu große Autos, zu wenig Einsicht. Damals handelt Wissmann sofort: Er setzt sich an die Spitze der Bewegung - und bremst sie faktisch von vorne aus. Jahrelang redet er von der Innovationskraft der deutschen Industrie, von den Verheißungen der Elektromobilität, und zum Büro nimmt er das Fahrrad - während die Konzerne weitermachen wie eh und je. Es ist ein erstes Kabinettstückchen Wissmanns. Und es lehrt einiges über seine jüngsten Schachzüge.

Zum Büro nimmt er das Fahrrad, die Konzerne machen weiter, wie eh und je

Müsste man einen deutschen Verbandschef schnitzen, eine Art Ur-Lobbyisten, er trüge ungefähr die Züge eines Matthias Wissmann. Beste Kontakte in die Politik, bis hinauf zur Kanzlerin. Ein Netzwerk in deutsche Chefetagen, vor allem jene der eigenen Mitgliedsunternehmen. Und die Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte so zu formulieren, dass selbst der größte Widerspruch einleuchtend klingt. "Für einen primitiven Lobbyismus", so sagte er ganz zu Beginn seiner Amtszeit einmal, "bin ich nicht zu haben." Dem ist er treu geblieben. Sein Lobbyismus ist ausgeklügelt, fintenreich. Die angeblich grüne IAA zählte dazu.

Denn jenseits der Slogans kämpft Wissmann schon damals gegen Auflagen aller Art, zunächst die für Klimaschutz. Als sich die EU-Kommission für strenge CO₂-Regeln einsetzt, macht Wissmann gegen den "unausgewogenen" Vorschlag mobil. Eine ganze Branche werde "kaputt reguliert". Die Pläne werden abgeschwächt. Und als die Branche im Gefolge der Finanzkrise in die Rezession rutscht, ist es Wissmann, der sich für eine Abwrackprämie stark macht. Ergebnis: Die Abwrackprämie kommt. Derzeit kämpft und agitiert er gegen Fahrverbote; Ausgang: noch offen.

Als Grund für Wissmanns Erfolge gilt gemeinhin sein Draht zu Angela Merkel. Die beiden saßen schließlich am Kabinettstisch Helmut Kohls, duzen sich seit vielen Jahren; Wissmann selbst kokettiert gern damit. Aber so einfach ist es nicht. Wissmann treibt ein ausgeprägter Wille zur Macht und eine nicht zu unterschätzende Eitelkeit, er hat sein Netzwerk zielstrebig aufgebaut. Zehn Jahre war er Chef der Jungen Union, mehr als dreißig Jahre Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Wenn sich Spitzen aus Politik und Wirtschaft im Spätherbst eines Jahres im Allgäustädtchen Isny treffen, zum vertraulichen Gespräch im Hotel Jägerhof, dann ist Wissmann der Moderator. Sie schätzen ihn, seine Kontakte, seine diplomatischen Fähigkeiten. "Er ist immer noch Politiker", sagt einer seiner, wenn man so will, Arbeitgeber.

Erfahrungen hat Wissmann schließlich reichlich gesammelt. In Sachen Geschmeidigkeit genauso wie im Umgang mit Krisen - und darin, wie man sie ohne große Schrammen übersteht. Das vielleicht interessanteste und unbekannteste Kapitel seiner Karriere ist das des CDU-Schatzmeisters. Wissmann war das nicht irgendwann; er war es, als der CDU-Spendenskandal über die Partei hereinbrach. Wie viele Christdemokraten fürchtete auch er damals, der CDU drohe der Untergang, ähnlich der Democratia Christiana in Italien.

Wissmann aber versteckte sich, statt anzupacken. Damals trug er den unschönen Spitznamen "Lurchi" davon: Wie ein Lurch suche er bei Sonne die Mikrofone, verkrieche sich aber bei Regen. Wenn mal wieder eine Pressekonferenz anstand, schlich er still an den Journalisten vorbei. Für Aufklärung mussten andere sorgen; die Generalsekretärin hieß damals Angela Merkel.

Politische Raufereien der beiden sind nicht bekannt; enge Freunde aber sind sie nie geworden. Was auch daran liegen dürfte, dass Wissmann zu den Begründern des Anden-Paktes zählt, der lange zum Ziel hatte, Merkel als Kanzlerkandidaten zu verhindern. Wenn die beiden trotzdem später kooperierten, dann nicht, weil sie sich so sehr vertrauen würden. Es ist ein pragmatisches Bündnis, es erklärt sich nur aus den jeweiligen Rollen.

Diesmal aber dürfte Wissmann auch Merkel überrascht haben. Erwartbar wäre gewesen, wenn der VDA-Präsident die eigenen Leute verteidigt hätte, so wie er es bislang stets getan hat. Er hätte, wie die Bundesregierung, überrascht reagieren und sich Zeit ausbedingen können. Er hätte Kritik so verklausulieren können, dass sie als solche nicht erkennbar ist. Stattdessen hat er den eigenen Mitgliedern, den mächtigsten im Verband, die Leviten gelesen. "Inakzeptabel" seien illegale Absprachen, genauso wie ein "Surfen in rechtlichen Grauzonen". Sollte sich der Verdacht bestätigen, dann sei das "ein Anlass für eine kulturelle Neudefinition". Das saß.

Am Mittwoch wird Daimler-Chef Dieter Zetsche nach Wissmanns Einlassungen gefragt. Seine Antwort wird knapp. "Ich war überrascht über diese Stellungnahme", sagte er. "Und möchte derzeit nicht mehr dazu sagen." Einst war es Zetsche gewesen, der Wissmann vorgeschlagen hat. Die meisten Autobauer sind nun verstimmt; andererseits schlagen sie nicht boshaft zurück. Es wäre "unredlich", ihm Schlechtes nachzusagen, nur weil man nicht mit allem einverstanden sei, heißt es von einem Hersteller. Im Übrigen sei Verbandsarbeit gerade schwierig: "Jeder kämpft jetzt für sich, jeder ist auf sich gestellt."

Aber es geht eben nun um Wissmanns Erbe, in vielerlei Hinsicht. 2007 trat er an, die Autoindustrie aus der Imagekrise zu holen. Zehn Jahre, ein Dieselgate und mehrere Selbstanzeigen später aber ist die Krise schlimmer denn je. Soll keiner hinterher sagen, Wissmann habe nicht alles für einen besseren Ruf getan. Es geht auch um die innere Einheit des Verbandes. Die Autokonzerne mögen die größten Beiträge zahlen - die meisten Mitglieder des Verbandes aber sind Zulieferer. Sie müssen fürchten, vom schlechten Image der Hersteller eingeholt werden - deshalb die Distanzierung. Soll keiner sagen, Wissmann habe die Spaltung des Autoverbands riskiert.

Und es geht nun wortwörtlich um sein Erbe: Wissmann ist 68. Im vorigen November wurde er für weitere zwei Jahre gewählt. Wenn diese Amtszeit endet, wird er fast 70 sein. Er muss sich also ernsthaft fragen, wie dereinst über die Ära Wissmann gesprochen werden wird. Und der Schatten der Krisen wird immer schwärzer.

"Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom", hat er einmal gesagt. Wenn er jetzt nicht schnell schwimmt, wird es riskant.

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