Porsche: Wiedekings Abgang:Zehn Tage im Juli

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Eine bislang geheime Studie bietet einzigartige Einblicke in das Innerste eines großen Konzerns - und gibt Auskunft darüber, warum Wendelin Wiedeking bei Porsche wirklich gehen musste.

Thomas Fromm und Klaus Ott

Das Stück, das vor dem Porsche-Werk in Stuttgart-Zuffenhausen aufgeführt wird, heißt Machtwechsel. Es geht um Verluste, um Abschied, um Versprechen und um große Veränderungen. Es fließen Tränen, viele Tränen, und Regentropfen, an diesem 23. Juli 2009. Das ganz große Gefühlskino.

Tränen, Umarmungen und ganz viel Wehmut: Wendelin Wiedeking am Tag seines Rücktritts am 23. Juli 2009. 50 Millionen Euro sollen dem Ex-Porsche-Chef über den Schmerz hinweghelfen. (Foto: Foto: AP)

Die Zuschauer - Tausende Mitarbeiter und Millionen vor den Fernsehern - erleben Männer, die sich in den Armen liegen, abklopfen, und mit feuchten Augen anschauen.

Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche umarmt den scheidenden Konzernchef Wendelin Wiedeking, der umarmt Porsche, daneben stehen Betriebsräte. "Machen Sie sich keine Sorgen um Ihre Arbeitsplätze", ruft Wolfgang Porsche den Tausenden von Arbeitern zu. Dann bricht seine Stimme weg, als er sagt: "Der Mythos Porsche lebt und wird nie untergehen."

Dabei ist der Mythos längst untergegangen. Oder besser: Er gehört von nun an zu Volkswagen. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und sein Finanzmann Holger Härter hatten den viel größeren VW-Konzern mit Hilfe von trickreichen Finanzgeschäften übernehmen wollen, waren gescheitert und mussten nun zusehen, wie VW den Spieß umdrehte.

Was zu diesem Zeitpunkt kaum einer wusste: Das Drama, das die Protagonisten am 23. Juli vor Publikum aufführten, war nichts verglichen mit dem, was sich in den zehn Tagen davor hinter den Kulissen abgespielt hatte.

Eine interne Chronik von Porsche, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ermöglicht einzigartige Einblicke. Und zeichnet erstmals detailliert Wiedekings Abgang nach. So präzise, so detailliert lassen sich Machtkämpfe in Konzernen selten beschreiben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Tag verlief, an dem das Ende seinen Anfang nahm.

Dienstag, 14.Juli 2009

Die Auswechslung von Porsches Ex-Finanzchef Holger Härter stand wohl früher fest als bislang angenommen. (Foto: Foto: AP)

Es ist der Tag, an dem das Ende seinen Anfang nimmt. Um 11 Uhr trifft sich Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche mit Vorstandschef Wiedeking, um über einen "Aufhebungsvertrag zu verhandeln".

So steht es in einem Gutachten des Tübinger Juraprofessors Joachim Vogel, der dafür Konzernunterlagen eingesehen hat. Mit dem Gutachten will Porsche Vorwürfe der Stuttgarter Staatsanwaltschaft entkräften.

Die Ermittler hegen unter anderem den Verdacht, die Ablösung von Wiedeking und Härter sei weit vor dem 23. Juli absehbar gewesen und hätte den Aktionären, der Börse und der Öffentlichkeit viel früher gemeldet werden müssen.

Was Vogel herausfand, ist von Brisanz. Bereits vor dem 14. Juli 2009 seien die Familien Porsche und Piëch, die beiden Großaktionäre des Sportwagen-Herstellers, übereingekommen, Wiedeking und Härter auszuwechseln.

Doch Wiedeking bietet ihnen die Stirn, allen voran dem mächtigen VW-Patriarchen Ferdinand Piëch. Dieser will Wiedeking seit langem loswerden.

Der Konzernchef entgegnet Wolfgang Porsche am 14. Juli, er wolle dem Aufsichtsrat in der nächsten Woche sein Konzept für eine Entschuldung des Sportwagen-Herstellers vorstellen und dafür "vehement kämpfen".

Und er wolle Vorstandschef bleiben. Falls der gesamte Aufsichtsrat das anders sehe, werde er, Wiedeking, sich dem nicht verschließen. Aber er hat eine Bedingung, einen "akzeptablen Aufhebungvertrag". Sprich, eine ordentliche Abfindung. Erste Presseberichte folgen rasch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich der streitbare Betriebsratschef Uwe Hück positioniert.

VW gegen Porsche
:Die Strippenzieher

Sie haben die Macht: Die Aufsichtsräte von Porsche haben Wiedekings Abgang beschlossen - die VW-Räte treffen sich heute. Wer die Entscheider in den Gremien sind, und was sie wollen.

Donnerstag, 16. Juli 2009

Wolfgang Porsche redet mit Porsche-Finanzchef Härter. Es ist, schreibt Vogel, ein "Gespräch mit vergleichbarem Inhalt". Wolfgang Porsche hat sich der Chronik zufolge mit einem Vertreter der Familie Piëch abgestimmt, mit Hans Michel Piëch aus dem Aufsichtsrat.

Weitere Umfragen im Kontrollgremium seien unterblieben. Offenbar scheuen die Familien Gespräche mit den Belegschaftsvertretern.

Der streitbare Betriebsratschef Uwe Hück unterstützt Wiedeking. Und hohe Abfindungen sind im Arbeitnehmerflügel des Aufsichtsrats nicht durchsetzbar. Trotzdem bietet Wolfgang Porsche, wie Wiedekings Anwalt später erklärt, dem Konzernchef 140 Millionen Euro, sofern der Aufsichtsrat zustimme.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Porsche Sachverhalte dementiert, die später dann doch eintreten.

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:"Es tut mir in der Seele weh."

Wendelin Wiedeking geht - aber nicht ohne eine Ansprache an die Porsche-Mitarbeiter. Was er und seine Weggefährten sagen. Die besten Zitate des Tages.

Freitag, 17. Juli 2009

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, die beiden Familien hätten Wiedeking mitgeteilt, man müsse sich trennen. Es gehe um mehr als 100 Millionen Euro Abfindung.

Der Konzern dementiert Gespräche über eine Ablösung. Der Spiegel meldet am Nachmittag, Wiedeking müsse gehen. Porsche-Manager Michael Macht werde sein Nachfolger. Das hätten die Familien beschlossen, über die Details des Ausscheidens werde bereits verhandelt. Wolfgang Porsche dementiert das sofort.

Außerdem zitiert das Unternehmen in einer Pressemitteilung Betriebsratschef Hück, der sagt, Wiedeking werde Vorstandschef bleiben. Hück schimpft darüber, dass in den Medien versucht werde, "einen Menschen zu zerstören".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, zu welchem Umgang mit der Öffentlichkeit sich Porsche entschließt.

Samstag, 18. Juli 2009

Der Porsche-Vorstand tagt in Stuttgart. Wiedeking und seine Kollegen beschließen um 17.45 Uhr, sich selbst von einer "Mitteilungspflicht" an der Börse zu befreien.

Begründung: Die Bekanntgabe eines möglichen Ausscheidens von Wiedeking und Härter würde den Aufsichtsrat "in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigen". Eine Irreführung der Öffentlichkeit sei nicht anzunehmen. Porsche werde eine strikte Pressepolitik ("Kein Kommentar") betreiben. Die Vertraulichkeit werde gewährleistet.

Die Mitglieder der Familien Porsche und Piëch, die dem Aufsichtsrat angehörten, seien von Wiedeking auf ihre "insiderrechtlichen Pflichten und eventuelle Sanktionen bei Pflichtverstößen hingewiesen worden".

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Wiedeking und Härter um ihre Posten bei Porsche kämpfen.

Montag, 20. Juli 2009

Die Aufsichtsräte erhalten Unterlagen für die kommende Sitzung, in denen aber keine Abfindungsbeträge für Wiedeking und Härter genannt sind, obwohl darüber bereits verhandelt wurde. Wiedeking und Härter erklären Wolfgang Porsche nach wie vor, sie wollten für ihr Konzept kämpfen und im Vorstand bleiben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Wiedeking noch ein letztes Mal versucht, den Aufsichtsrat umzustimmen.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Um 15 Uhr beginnt die entscheidende Aufsichtsratssitzung. Unter Tagesordnungspunkt sechs heißt es lapidar "Personelle Angelegenheiten des Vorstandes". Eine schnelle Lösung muss her, die Lage ist ernst.

Am Vortag hat der Vorstand den Aufsichtsrat über die "angespannte Liquiditätssituation von Porsche" informiert. Das Geld wird knapp.

Wolfgang Porsche sagt Wiedeking und Härter deshalb vor der Sitzung, die Abfindungen müssten gestundet werden. Die beiden Manager weisen das rundweg zurück.

Im Aufsichtsrat startet Wiedeking einen letzten Versuch und wirbt für sich, sein Amt, seine Politik bei Porsche. "Ohne den Aufsichtsrat zu überzeugen", hält der Gutachter fest.

Stundenlang werden alle möglichen Optionen diskutiert. Der Vorstand bleibt, er wird abberufen, oder man regelt alles über Abfindungen. Die ganze Nacht wird gefeilscht. IG-Metall-Chef Huber und seine Leute lehnen 140 Millionen Euro für Wiedeking empört ab. Fünf Millionen reichten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Entscheidung um fünf Uhr morgens fällt. Ein Happy End bedeutet diese allerdings nicht.

Donnerstag, 23. Juli 2009

Es ist fünf Uhr früh, als man sich einigt. 50 Millionen Euro für Wiedeking, 12,5 Millionen für Härter. Macht wird neuer Konzernchef.

Um 6.43 Uhr wird eine Ad-hoc-Mitteilung herausgegeben. Der Gutachter Vogel glaubt, Porsche habe die Börse rechtzeitig informiert. Er schreibt aber auch, das Informationsverhalten von Porsche vor den Vorstandswechseln habe ihn "nicht überzeugt". Die von den jeweiligen Lagern gestreuten Informationen hätten offenbar als "Mittel im (Macht-)Kampf" gedient. Es sei "ernsthaft zu erörtern, ob die Möglichkeit des Vorstandswechsels bereits ab dem 15. Juli öffentlich bekannt war".

Die Staatsanwaltschaft will das Geschehen akribisch aufklären. Ermittelt wird gegen denjenigen, um dessen möglichen Abgang es in jenen heißen Juli-Tagen ging: Wiedeking selbst. Er, Härter, Wolfgang Porsche und Ferdinand Piëch sollen aussagen. Die Geschichte um Porsche ist noch nicht zu Ende geschrieben.

© SZ vom 17.12.2009/mikö - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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