Porsche-Chef Wendelin Wiedeking:Geschichte "mangelhaft"

Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber musste Porsche-Chef Wendelin Wiedeking Nachhilfe in Geschichte erteilen. Denn das VW-Gesetz hat auch etwas mit den Nazis zu tun.

H. Leyendecker und K. Ott

In der Industrie herrschten lange Zeit Manager, die so taten, als wäre der Standort Deutschland für sie viel zu klein. Männer mit schmalen Lippen und breiten Schultern - richtige Kerle eben, an denen sich alle stoßen sollten. Die meisten waren zwar nur Angestellte, aber sie gaben gern den dicken Maxe: Mister Kapitalismus persönlich.

Porsche-Chef Wendelin Wiedeking: Studierter Historiker: IG-Metall-Chef Berthold Huber.

Studierter Historiker: IG-Metall-Chef Berthold Huber.

(Foto: Foto: dpa)

Der Gewerkschaftsmann Berthold Huber, Chef der IG Metall, die immerhin 2,3 Millionen Mitglieder hat, war da eher von auffälliger Unauffälligkeit. Er drängte nicht auf die Bühne, sondern packte selbst kräftig an. Über die Shareholder-Philosophie, die Krise des Kapitalismus und die notwendige Re-Regulierung kann der prinzipienfeste Altachtundsechziger, der Philosophie, Geschichte und Politik studiert hat, stundenlang reden.

Bei Siemens, wo er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist, hat der 59-jährige Metaller bei den schwierigen Sanierungsarbeiten nach der Korruptionsaffäre eine glänzende Rolle gespielt.

Roter Schal statt Nerz

Die Milliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler aus Herzogenaurach, die jahrelang die Gewerkschaften draußen hielt, musste neulich zu ihm in die IG-Metall-Zentrale nach Frankfurt reisen und Huber um Hilfe bitten. Er sagte zu und verabredete mit ihr, dass es künftig in ihren Werken Mitbestimmung wie in einer Aktiengesellschaft gebe. Die Dame kam nicht im Nerz, sondern mit rotem Schal.

Seit kurzem sitzt der Hobby-Klavierspieler Huber auch im Aufsichtsrat von Porsche. Der Eintritt des Vorsitzenden der IG Metall in das Kontrollgremium war für den Noch-Vorstandschef Wendelin Wiedeking keine gute Nachricht.

Die beiden Männer haben sich über Lehren aus der Geschichte der Arbeiterbewegung nicht verständigen können - und das vergisst ein studierter Historiker so schnell nicht. Huber, so ist aus Gewerkschaftskreisen zu hören, wird einer vor allem von Ferdinand Piëch geforderten Ablösung des Porsche-Chefs nicht im Wege stehen.

Freundlicher Brief

Als Wiedeking noch die Erfolgsnummer der deutschen Managerwelt war, wollte er unbedingt das VW-Gesetz schleifen, das ihm den ganz großen Einstieg in Wolfsburg versperrte.

Damals, das war lange vor der Finanzkrise von Porsche, schrieb ihm Huber einen freundlichen Brief. Wiedekings Satz auf der Porsche-Hauptversammlung im vergangenen Jahr, VW solle ein Unternehmen wie jedes andere werden, hatte dem Gewerkschafter missfallen.

VW sei aufgrund seiner Geschichte "ein sehr sensibles Unternehmen für die IG Metall", schrieb Huber. "Sie werden das sicher verstehen." Er habe deshalb "einen unserer Historiker gebeten, eine kurze Zusammenfassung der Geschichte von Volkswagen zu erstellen".

Wiedeking konnte nachlesen, dass die Mittel zum Aufbau des Volkswagenwerks aus von den Nazis beschlagnahmtem Gewerkschaftsvermögen bestanden. Das Stammkapital in Höhe von 50 Millionen Reichsmark stamme "aus enteigneten gewerkschaftlichen Liegenschaften oder gewerkschaftlichen Unternehmen wie die Volksfürsorge und die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten".

Vier Jahre nach dem Krieg, im Oktober 1949, habe dann die britische Militärregierung die Treuhänderschaft für das VW-Werk an das Land Niedersachsen mit der Auflage übertragen, "die Eigentumsrechte gemeinsam mit dem Bund auszuüben".

Daneben sollten "die Gewerkschaften und die anderen Bundesländer starken Einfluss erhalten. Unter diesen Umständen" habe der Deutsche Gewerkschaftsbund darauf verzichtet, Eigentumsrechte am Werk einzuklagen". Die daraus entstehenden "besonderen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Standortfragen" seien gut für das Unternehmen gewesen.

Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts

So lege das im Juli 1960 in Kraft getretene VW-Gesetz fest, dass für die Errichtung und Verlagerung von Produktionsstätten eine Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsrat erforderlich ist. Die speziellen Mitbestimmungsmöglichkeiten hätten "auch den Charakter einer Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts und der Anerkennung daraus entstandener gewerkschaftlicher Ansprüche".

Die Antwort des mit Milliarden Euro jonglierenden Wiedeking auf diesen für Gewerkschafter wirklich sensiblen Fall soll sehr formal ausgefallen sein. In Gesprächen mit Vertrauten erklärte der Porsche-Chef jedenfalls, mit der paritätischen Mitbestimmung sei er einverstanden, eine Sonderregelung für die Gewerkschaften könne es aber nicht geben. Denn die Rechte von Porsche als größtem Einzelaktionär dürften nicht beschnitten werden.

Volkswagen sei nicht - wie der IG-Metall-Vorsitzende meine - ein anderes Unternehmen. Die Regeln der Börse müssten gelten. Wiedeking zog weiter gegen das VW-Gesetz zu Felde. Er verlor die Schlacht und für Huber war das "ein Zeugnis historischer Ahnungslosigkeit, die nachdenklich macht". Ein "Mangelhaft" in Geschichte kann manchmal auch bedeuten, dass der Schüler die Penne verlassen muss.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: