Politologe Klaus Schroeder zum Reichtumsbericht:"Wirklich reich sind nur die oberen 0,1 Prozent"

Die Geldelite in Deutschland ist klein. Abseits des obersten Zehntelprozents ist Deutschland nicht so ungleich wie der Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung behauptet, sagt Politologe Klaus Schroeder. Seine Kritik: Die Statistiker rechnen an der Realität vorbei.

Jannis Brühl

Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder, 62, forscht am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin über die DDR und Umwälzungen im wiedervereinigten Deutschland. Er hält nichts von der Meinung, die Schere zwischen Arm und Reich klaffe immer weiter auseinander.

Klaus schroeder

Klaus Schroeder wirft den Statistikbehörden vor, die Realität der Deutschen falsch abzubilden.

(Foto: oh)

SZ.de: Herr Schroeder, Sie haben mal gesagt, soziale Gerechtigkeit sei eine "politisch-ideologische Kampfformel". Sind Sie herzlos?

Klaus Schroeder: Nein, überhaupt nicht. Ich bin dafür, jedem die Möglichkeit zum Aufstieg zu geben. Aber er soll ihn nicht durch Umverteilung erreichen, sondern durch eigene Leistung. Gib jedem eine Chance, aber gewöhne ihn nicht an Subventionen. Die Hartz-IV-Gesetze werden zu schlecht gemacht. Sie haben Teile der Mittelschicht gezwungen, sich wieder Arbeit zu suchen. Kritiker tun dem ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder unrecht.

Was haben Sie gedacht, als Sie von den Zahlen aus dem Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung gehört haben?

Sie haben meine Annahme bestätigt, dass die oberste Oberschicht zugelegt hat, unten stagniert es relativ. Gleichzeitig sind die methodischen Fehler, die alle Armuts- und Reichtumsberichte auszeichnen, wieder gemacht wurden.

Was kritisieren Sie an dem Bericht?

Der erste Fehler ist, dass die Sozialstruktur der Gesellschaft nicht beachtet wurde. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren deutlich mehr Ältere, Alleinlebende und Alleinerziehende mit Kind, das verändert auch die Haushalts-, Vermögens- und Einkommensstruktur. Ganz einfach: Wenn es zwei Haushalte statt einem gibt, haben sie jeweils weniger Einkommen und Vermögen. Ich müsste diese Veränderungen methodisch berücksichtigen. Der zweite und aus meiner Sicht entscheidende Fehler beim Vermögen ist, dass das sogenannte Sozialvermögen, die kapitalisierten Ansprüche an die Rentenkasse, nicht berücksichtigt werden. Das sind Schätzungen zufolge fünf bis sieben Billionen Euro.

Sie meinen die späteren Renten der Menschen?

Das, was ihnen der Generationenvertrag verspricht. Sie können nicht auf der einen Seite Selbständige und deren Lebensversicherungen und private Kapitalrentenversicherungen berücksichtigen - dann steigt deren Vermögen natürlich. Gleichzeitig werden Durchschnittsrenten oder Pensionen bei denjenigen nicht mit eingerechnet, die Anspruch darauf haben. Wenn Sie das "Sozialvermögen" mitzählen, sieht das Gefälle gleich ganz anders aus - sowohl zwischen Arm und Reich als auch zwischen West und Ost.

Also haben wir in Deutschland kein Problem mit Ungleichheit?

Doch, wir haben eine Ungleichheit, die aber relativ gering ist. In Süd-, Mittel- oder Osteuropa geht es wesentlich ungleicher zu. Wir kommen gleich hinter den skandinavischen Ländern. Jede Gesellschaft muss wissen, wie viel Ungleichheit sie verträgt. Mir geht es darum, dass immer mit falschen Zahlen operiert wird und sich darin die Lebenswirklichkeit nicht widerspiegelt. Die bedeutet zum Beispiel auch Umverteilung innerhalb der Familie.

Wie wird denn innerhalb der Familie umverteilt?

Wenn reiche Eltern oder Großeltern ihren Kindern und Enkeln etwas geben, gerade jungen Familien, dann erscheint das in der Statistik gar nicht. Die Jungen leben dann viel besser und die Alten etwas schlechter, ohne dass das in der Statistik auftaucht. Dazu kommt noch etwas anderes: Ich forsche ja auch über die DDR. Soll ich Ihnen mal sagen, wie die Vermögen in der DDR verteilt waren?

Nur zu.

1989 besaßen zehn Prozent der Kontoinhaber 60 Prozent des Geldvermögens. Kommt Ihnen die Zahl bekannt vor?

Das sind ungefähr die Zahlen, wie sie für das wiedervereinigte Deutschland im neuen Berichtsentwurf der Regierung stehen.

Genau - auch wenn es in der DDR nur um Geldvermögen ging, da es kein Produktivvermögen und kaum Immobilien gab. Der absolute Reichtum war natürlich viel niedriger als heute, aber wir haben systemübergreifend das gleiche Verhältnis. Ich halte das für spannend und verstehe nicht, warum noch nie darüber geforscht wurde, warum sich im real existierenden Sozialismus zumindest in Deutschland ähnliche Ungleichheitsstrukturen herausgebildet haben wie im Kapitalismus.

"Mit 6000 Euro gehört man zu den obersten fünf Prozent"

Macht es Ihnen keine Sorge, dass sich immer mehr Geld in den oberen zehn Prozent konzentriert?

Das sind die oberen 0,1 Prozent. Die ziehen die oberen zehn Prozent mit hoch. Wir verlieren die Wirklichkeit aus dem Blick, wenn wir immer vom obersten Fünftel oder obersten Zehntel sprechen.

Also sind die Einteilungen der Bundesregierung zu grob?

Ja. Wo - in Anführungszeichen - das Leben richtig Spaß macht, in den oberen 0,1 Prozent, meinetwegen im obersten Prozent, dort wird Vermögen akkumuliert ohne Ende. Hier müsste man ansetzen.

Wie sollte die Politik hier denn ansetzen?

Das kann man über Erbschaft- und Vermögensteuer machen, die aber nicht die breite Mittelschicht trifft. Die finanziert ja eh den ganzen Sozialstaat. Mir ist das zu grob: Wenn jemand in München ein Häuschen geerbt und noch ein bisschen Vermögen hat, dann ist er ja schon bald bei einer Million. Zahlen von vor zwei Jahren zufolge gehören Sie ja mit einem Einkommen von 6000 Euro schon zu den obersten fünf Prozent. 10.000 und mehr Euro im Monat haben nur ganz, ganz wenige. 0,1 oder 0,5 Prozent.

Also geht die Schere nur an den Extremen auseinander?

Unten bleibt es eher konstant. Beim Bruttoeinkommen ist die Ungleichheit deutlich höher als beim Nettoeinkommen. Das Sozialsystem verkleinert ja Ungleichheit schon relativ dramatisch. Mein Hauptproblem ist, dass die soziale Duchlässigkeit nicht mehr gewährleistet ist wie in den sechziger und siebziger Jahren.

Das Statistische Bundesamt hat vor einigen Tagen Zahlen veröffentlicht, nach denen der Anteil der von Armut bedrohten Deutschen auf mehr als 15 Prozent gestiegen ist. Das spricht Ihrer Meinung nach also nicht dafür, dass immer mehr Menschen abgehängt werden?

Um nackte Armut geht es da nicht, sondern um die Gefahr, arm zu werden. Ich halte von bundesweit erhobenen Armutsquoten gar nichts. Wir haben unterschiedliche Kaufkraft. Man kann nicht die Messlatte von München auf Mecklenburg-Vorpommern übertragen. Das sagt nichts aus. Wer auf dem Land von Hartz IV recht gut leben kann, weil Mieten und Dienstleistungen billig sind, kann davon in München nicht leben. Punkt. Ich halte auch den bundeseinheitlichen Hartz-IV-Satz für Quatsch. Der müsste regional nach der Kaufkraft differenziert werden. Aber das ist den Behörden offenbar zu mühsam.

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