Polen:In der Schuld-Falle

500000 Menschen haben durch Kredite in Schweizer Franken Verluste erlitten. Die Banken sollen nun dafür zahlen, weil die Politik es will.

Von Florian Hassel, Warschau

Zwei Mal im Jahr warten Wirtschaftsfachleute auf den neuen Bericht der polnischen Nationalbank zur Finanzmarktstabilität. Mit mehr als 100 Seiten, etlichen Tabellen und reichem Zahlenmaterial ist der Bericht gleichsam das Fieberthermometer der Wirtschaft. Gibt es irgendwo Grund für Alarm? Droht Gefahr für Banken oder Staatshaushalt?

Zuletzt war es am 23. Juli so weit. Die Wächter von Währung und Wirtschaft gaben Entwarnung für Polen, dessen Wirtschaft seit Jahren wächst: Keine grundlegenden Risiken in Sicht - auch nicht durch Kredite, die gut eine halbe Million Polen in Schweizer Franken aufnahmen, um sich eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen. Gleichwohl sind die Kredite zu einem Lieblingsthema der Politiker aller Lager im polnischen Wahlkampf geworden - zum Leidwesen westlicher Banken.

Die Franken-Kredite entsprechen mit 140 Milliarden Zloty (umgerechnet 33 Milliarden Euro) etwa acht Prozent der polnischen Wirtschaftsleistung. Das wäre Grund genug, sich Sorgen zu machen, hätten die Polen massenhaft Probleme, die Kredite zurückzuzahlen. So wie das zuvor in Ungarn der Fall war. Dort lautete ein Fünftel aller Kredite auf Franken, dort konnten Millionen Ungarn ihre Kredite nach dem Absturz von Währung und Wirtschaft nicht mehr bedienen. 2014 wurden 42 Prozent der Fremdwährungskredite in Ungarn nicht mehr rechtzeitig zurückgezahlt - Budapest zwang die Banken, großteils Töchter von Geldhäusern aus Österreich, Deutschland oder Frankreich, im November 2014 per Gesetz, die Kredite von Franken auf die ungarische Währung, den Forint, umzuschreiben und jährliche Verluste in Millionenhöhe zu akzeptieren.

Mit Schweizer Franken in die Kreditklemme

Verzweiflung in Ungarn: Millionen Immobilienkäufer haben Kredite in Schweizer Franken aufgenommen, um eine Wohnung oder ein Haus zu finanzieren.

(Foto: Bela Szandelszky/AP)

In Polen aber, beruhigte die Nationalbank, verdienen in Franken verschuldete Polen besser als der Durchschnitt und hätten seit der Aufnahme der Kredite - typischerweise 2007 und 2008 - von "substantiellem Lohnzuwachs" profitiert. Zudem reichten die Banken nicht nur den zuletzt im Januar gestiegenen Frankenkurs an die Kunden weiter, sondern auch gesunkene Zinssätze der Schweizer Nationalbank. Die Folge: Nur gut drei Prozent der Franken-Kredite werde in Polen nicht fristgerecht zurückgezahlt. Anders als in Ungarn seien der hohe Frankenkurs und die Frankenkredite "kein Risiko für die Stabilität des polnischen Finanzsystems".

Bedroht aber ist - aus ihrer Sicht - die Stabilität der regierenden Koalition. Seit im Frühjahr 2015 ein paar hundert in Franken verschuldete Polen in Krakau oder Warschau eine Umwandlung ihrer Kredite zu Lasten der Banken forderten, witterte Polens Opposition ein Wahlkampfthema. Im Präsidentschaftswahlkampf sicherte sich Andrzej Duda von der rechtsnationalen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) mit populistischen Versprechen den Sieg: von einer Senkung des Rentenalters über höheres Kindergeld bis zur Umschreibung der Franken-Kredite. Duda gewann die Wahl, seit Anfang August residiert er im Palast des Präsidenten. Für die Parlamentswahl am 25. Oktober gilt seine Partei ebenfalls als hoher Favorit.

42 Prozent

der ungarischen Kredite, die auf fremde Währungen lauten, waren im vergangenen Jahr notleidend. In Polen sind es gerade einmal 3,1 Prozent.

Da wollte auch die Regierung nicht mehr zurückstehen - und entwarf ein Gesetz, das die Banken verpflichten sollte, auf Franken lautende Kredite rückwirkend auf Zloty umzuschreiben - zum Kurs, der am Tag der Unterschrift unter den Kreditvertrag galt, eine noch deutlich radikalere Lösung als in Ungarn. Die Hälfte des dadurch entstehenden Verlustes sollten die Banken tragen - einer Schätzung der polnischen Finanzaufsicht zufolge umgerechnet 2,24 Milliarden Euro.

Die Bankiers drohen mit einer Klage vor internationalen Schiedsgerichten

Die Banken protestierten - vergeblich. Als der Gesetzentwurf am 6. August im Sejm, der unteren Kammer des polnischen Parlaments, zur Abstimmung kam, wurde er in letzter Sekunde und mit den Stimmen von Opposition und kleinerer Regierungspartei (Polnische Bauernpartei) noch verschärft: Jetzt sollen die Banken gar neun Zehntel der Verluste tragen, knapp fünf Milliarden Euro. Die Aktienkurse betroffener Banken stürzten an diesem Tag um bis zu ein Zehntel ab - und ließen in Frankfurt, Wien oder Norwalk/ Connecticut die Alarmglocken schrillen.

Polen: Proteste in Serbien: Für viele kam nach der Aufwertung der Schweizer Franken das böse Erwachen.

Proteste in Serbien: Für viele kam nach der Aufwertung der Schweizer Franken das böse Erwachen.

(Foto: Marko Drobnjakovic/AP)

Etwa 60 Prozent des polnischen Finanzsektors wird von ausländischen Banken kontrolliert: etwa von der Raiffeisen Bank International (RBI) aus Wien, Deutscher Bank und Commerzbank oder von GE Capital, der Finanztochter des amerikanischen Elektrokonzerns General Electric. In Briefen an die polnische Regierung und das Parlament warnten Commerzbank-Chef Martin Blessing, RBI-Chef Karl Sevelda und GE Capital-Direktor Keith Sherin, das Gesetz verstoße gegen Handelsschutzabkommen mit Deutschland, Österreich und den USA , gegen EU-Recht und Polens Verfassung. Sollte das Gesetz in Kraft treten, warnten die Bankiers, würden sie Polen vor internationalen Schiedsgerichten verklagen.

Bevor das Gesetz aber in Kraft treten kann, muss sowohl der Senat, die obere Parlamentskammer, zustimmen wie Polens Präsident. Der Finanzausschuss des Senats empfahl am Donnerstag dieser Woche dem Senat, das Gesetz zwar nicht in der verschärften 90-Prozent-Variante anzunehmen, sondern in der ursprünglich geplanten 50-Prozent-Variante. Doch auch diese verstößt den betroffenen Banken zufolge gegen Polens internationale Verpflichtungen. Bis feststeht, wie der Streit ausgeht, wird es wohl noch etliche Monate dauern: Zwar stimmt der Senat bereits in der kommenden Woche über das Gesetz ab, doch Änderungen muss dann wieder das Unterhaus zustimmen. Schließlich muss Polens neuer Präsident Andrzej Duda das Gesetz unterschreiben - oder es ablehnen. Eine Entscheidung über das Franken-Gesetz erwartet in Warschau niemand vor dem 26. Oktober - wenn mit einem neuen Parlament auch eine neue Regierung gewählt ist.

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