Lehre in den Wirtschaftswissenschaften:Wenig Neues in der VWL-Vorlesung

Studierende während einer Vorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Vorlesung "Mikroökonomie I" an der LMU in München

(Foto: Florian Peljak)
  • Eine Studie untersucht die Lehre in den Wirtschaftswissenschaften in Deutschland.
  • Das Ergebnis: An den meisten Unis und ganz besonders im Bachelor dominiert weiterhin die sogenannte Neoklassik - die Lehre vom rationalen Mensch und dem vollkommenen Markt.
  • Die Lehrenden argumentieren, man müsse den vorgegebenen Stoff durchkriegen.

Von Pia Ratzesberger

Vorne am Pult erklärt der Dozent die Welt, was richtig sei und was falsch, die Studenten lehnen sich zurück. Er erklärt, wie sich Menschen entscheiden, nämlich immer für den höchsten Nutzen, wann ein Markt im Gleichgewicht ist und warum er das sein sollte. Doch manche Zuhörer zweifeln. Sie zweifeln in Vorlesungen in München und Hamburg, in Heidelberg und Freiburg, im ganzen Land haben sich mittlerweile Gruppen von Studenten formiert, die tadeln, Professoren zeigten nur einen Teil der Wirtschaftswissenschaften. Und zwar den, in dem der rationale Mensch diktiert, der vollkommene Markt. Die sogenannte Neoklassik dominiere.

Manche Dozenten belächeln den Protest, andere solidarisieren sich. Nun hat die Universität Kassel in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Plurale Ökonomik zum ersten Mal mehr als 500 Ökonomen deutscher Universitäten befragt und mehr als 50 Studiengänge untersucht, finanziell unterstützt von der Hans-Böckler-Stiftung. Der Studie zufolge, die an diesem Donnerstag erscheint, räumen die meisten Lehrenden ein, dass ein Mainstream das Studium bestimme, nennen als Beispiel etwa den Homo oeconomicus, den kalten Nutzenmaximierer.

Besonders im Bachelor dominiert der Mainstream

Die Wissenschaftler wären zwar eigentlich bereit, ihre Lehre vielfältiger zu gestalten, sagen sie selbst. Doch sie geben auch zu, dass sich bisher nicht viel getan hat. Obwohl Studenten mehr Ideengeschichte fordern oder mehr Umweltökonomik, wiederholen die meisten in den Grundlagenfächern das gewohnte Programm.

Sie müssten den vorgegebenen Stoff nun einmal in einem Semester durchkriegen, argumentieren Dozenten der Umfrage zufolge. Ohnehin fehle Personal. Zudem trauten sich manche wohl nicht, von den Modulhandbücher abzuweichen. Das betreffe vor allem Lehrbeauftragte ohne feste Anstellung, vermutet Professor Frank Beckenbach von der Universität Kassel, einer der Autoren der Studie.

Modulhandbücher beschreiben die verschiedenen Teile eines Studiums, sie sollen Studiengänge seit der Hochschulreform besser vergleichbar machen. Beckenbach und seine Kollegen haben auch diese Module untersucht, die Beschreibungen grundlegender Vorlesungen wie der Mikroökonomik oder Makroökonomik.

Als besonders nah am Mainstream bezeichnen die Autoren zum Beispiel die Makroökonomik in Hannover, Bochum, Halle, Karlsruhe, Konstanz und Nürnberg. Am wenigsten orientierten sich dagegen Bayreuth, Münster oder Potsdam am alten Standard. Die Wissenschaftler haben die Vorlesungen nicht besucht, die Analyse der Beschreibungen muss sich also nicht mit dem decken, was im Hörsaal tatsächlich gesprochen wird - doch sie deckt sich zumindest mit dem, was die Ökonomen selbst sagen, nämlich dass sie gerade im Bachelor nicht viel Abseitiges wagen.

Die Motivation, es anders zu machen, ist gering

Wichtigste Methode aus Sicht der Befragten ist die Ökonometrie, also die Arbeit mit statistischen Daten. Wichtigste Nachbardisziplin ist demnach die Mathematik, danach die Psychologie. Für ungewöhnlichere Forschung, etwa für Methoden aus der Soziologie, werden Ökonomen auch nicht belohnt. In den relevanten Fachzeitschriften zum Beispiel können sie damit kaum glänzen. Die Publikation in solchen Magazinen sind entscheidend für die eigene Karriere, auch für den Ruf der Universitäten. Wie viel die Forschenden eines Instituts veröffentlichen, entscheidet bei manchen der Rankings darüber, ob eine Uni mit zu den besten im Land gehört oder nicht. Die Motivation, es anders zu machen als alle anderen, ist also gering.

Wer sich traut, hat allerdings einen Vorteil. Man hat weniger Konkurrenz. An der Universität Siegen zum Beispiel gibt es jetzt einen Masterstudiengang, der sich "Plurale Ökonomik" nennt, der mit alternativen Ansätzen wirbt - noch ein Alleinstellungsmerkmal.

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