Plan zur Stabilisierung der EU:Gemeinsame Arbeitslosenversicherung einfach gestrichen

Zwar haben die Staats- und Regierungschefs versprochen, mehr gegen Arbeitslosigkeit und soziale Unterschiede zwischen Nord- und Südeuropa zu unternehmen. Doch in der Strategie, die EU-Sozialkommissar László Andor am Mittwoch dazu vorstellen will, tauchen wichtige Instrumente plötzlich nicht mehr auf.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Es ist noch kein Jahr her, da warb Bundeskanzlerin Angela Merkel für folgenden Plan: Die europäischen Länder, vor allem die der Euro-Zone, sollten sich vertraglich verpflichten, endlich lang aufgeschobene strukturelle Reformen anzupacken. Und dort, wo dies zunächst vielen Menschen den Job kosten könnte, sollte ein finanzieller "Solidaritätsmechanismus" greifen. Umgangssprachlich übersetzt bedeutet das: Die Euro-Länder sollten eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung bekommen, die Härtefälle beim Reformieren ausgleicht.

Wenig überraschende Forderungen

In dem Plan, den EU-Sozialkommissar László Andor an diesem Mittwoch vorstellt, ist diese Idee für absehbare Zeit ersatzlos gestrichen. Andor schlägt keine Reformverträge nebst Arbeitslosenversicherung vor, um die sozialen Ungleichgewichte in Europa abzubauen. Stattdessen haben ihm seine Beamten ein paar wenig überraschende Forderungen aufgeschrieben, wie aus dem Entwurf des Planes "Strengthening the social dimension of the economic and monetary union" hervorgeht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die europäischen Länder sollten enger zusammenarbeiten, wobei freilich nationale Kompetenzen zu beachten seien. Mit anderen Worten: Jedes Land ist für seine Arbeitslosen selbst verantwortlich.

Andor empfiehlt, eine Art Frühwarnsystem einzuführen, um rechtzeitig soziale Verwerfungen und steigende Arbeitslosigkeit zu erkennen. Aus den europäischen Fördertöpfen, etwa dem Sozialfonds, soll es mehr Geld für Arbeitslose, besonders junge Leute geben. Auch sollten vorhandene Barrieren abgebaut werden, um Arbeitslosen zu ermöglichen, in anderen Ländern einen Job zu finden.

Kurzfristige Ausgleichszahlungen

Ganz am Ende seines Plans findet sich dann unter der Rubrik "langfristige Maßnahmen" der Hinweis, dass es in der Währungsunion sinnvoll sein könnte, einen gemeinsamen "Stabilitätsmechanismus" einzurichten, damit die Euro-Länder flexibel und schnell in Krisen reagieren könnten. Dazu sei es aber nötig, den EU-Vertrag zu ändern.

Interessant ist, dass die EU-Kommission noch in einem Entwurf im März 2013 offensiv für eine Arbeitslosenversicherung wirbt. In Punkt sechs schlagen die Beamten eine Arbeitslosenversicherung vor, welche wirtschaftlichen Niedergang in Krisenländern abmildern soll. Dieses hätte kurzfristige Ausgleichszahlungen beinhaltet und zu einem Ausgleich der Konjunkturzyklen geführt.

Da nur eine Finanzierung der Veränderung kurzfristiger Arbeitslosigkeit ging, wären über die mittlere Frist keine Transferzahlungen damit verbunden. Die Maßnahmen hätten antizyklisch gewirkt und dem jeweiligen Land geholfen, die Krise schneller zu überwinden und dem Arbeitsmarkt neue Impulse einzuhauchen.

Die Beamten argumentieren mit "alarmierenden Unterschieden" in den Arbeitslosenzahlen in der Euro-Zone. Seit 2008 entwickeln sich die Südländer zum Armenhaus der Währungsunion. Im Jahr 2011 betrug der Unterschied zwischen Nord und Süd in den Arbeitslosenzahlen 7,5 Prozentpunkte.

Frühwarnsystem

Ein Jahr später, 2012, waren es schon 10,2 Prozentpunkte. Im Süden waren 17,3 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ohne Job, im Norden nur 7,2 Prozent. Außerhalb der Währungsunion beträgt dieser Unterschied lediglich einen Prozentpunkt. Die Beamten schlagen zudem Alarm, dass die Länder in der Währungsunion "nur begrenzte Möglichkeiten" haben, national auf die Ungleichgewichte zu reagieren.

Umso überraschender ist, dass sowohl die Arbeitslosenversicherung als auch die Zahlen nebst Analyse im neuen Entwurf ersatzlos gestrichen sind. Stattdessen werden auch in einer Krise Strukturreformen als sinnvoll und notwendig beschrieben, um Wachstumsimpulse zu setzen.

Im alten Entwurf fordern die Beamten zudem, dass das geplante Frühwarnsystem dazu dienen soll, soziale Ungleichgewichte in Europa aufzudecken. Sie schreiben von einem "Frühwarnsystem für Beschäftigung und soziale Ungleichgewichte". Im neuen Entwurf dagegen soll das Frühwarnsystem die "Beschäftigung und soziale Entwicklungen" erfassen. Der Begriff "sozialer Ungleichgewichte" taucht diesbezüglich nicht mehr auf, was eine Bekämpfung derselben freilich nicht ersetzen kann.

Im EU-Parlament stößt der abgeschwächte Vorschlag schon vorab auf Kritik. Ein Vorschlag nach dem anderen stirbt oder werde "bis zur Unkenntlichkeit verwässert", sagte der Grüne Wirtschaftsexperte Sven Giegold. Der Vorschlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung könne "wie kein anderer Vorschlag das Auf und Ab der Konjunktur glätten, ohne zu einer Transferunion zu führen. Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone könnte so insgesamt sinken". Diese Chance werde leichtfertig vertan.

Der CDU geht selbst die abgespeckte Version zu weit: Die Wettbewerbsfähigkeit könne nicht durch Angleichung der Sozialsysteme gestärkt werden, sagte Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. "Die Kommission hat immer noch keine klare Kante."

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