Pipers Welt:Radikal reden, moderat handeln

In Amerika und Deutschland herrscht bisweilen eine bizarre Dialektik von Maximalforderungen und deren Rücknahme. Für das Gemeinwesen muss das keine schlechte Nachricht sein.

Von Nikolaus Piper

Zu den Charakteristika des amerikanischen Wahlkampfs gehört eine ganz besondere Dialektik von Extremismus und Mäßigung. Vor den Vorwahlen müssen die Kandidaten möglichst rechts- oder linkspopulistisch reden, um die eigenen Leute zu mobilisieren. Dann müssen sie umschalten und sich moderat zeigen, um möglichst viele Unentschiedene aus der Mitte zu gewinnen. Der letzte republikanische Bewerber Mitt Romney ist 2012 gegenüber Barack Obama an dieser Aufgabe gescheitert. Wie es dem wilden Mann Donald Trump in diesem Jahr gehen wird, muss man sehen. Ein gemäßigter Trump scheint kaum vorstellbar.

Aber ist diese Dialektik wirklich spezifisch amerikanisch? Eine Gruppe von Forschern des Münchner Ifo-Instituts hat am Donnerstag eine kleine Studie vorgelegt, die ein sehr deutsches Licht auf das Thema wirft ("Schuldenbremsen in den deutschen Bundesländern: Worte und Taten der Landesregierungen"). Die "Schuldenbremse", also das Verbot von strukturellen Defiziten in Landeshaushalten, die 2020 in Kraft tritt, spaltet eindeutig die öffentliche Meinung: Linke Politiker und Kommentatoren sind dagegen, rechte dafür. Für traditionelle Linke ist Sparen gleichbedeutend mit Sozialabbau. Die Schuldenbremse dürfe kein "Dogma" sein, sagte zum Beispiel der hessische SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel im Landtag, als es um den Haushalt 2016 ging.

Pipers Welt: Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Das Erstaunliche ist, so die Ifo-Forscher, dass "linke" Landesregierungen (von SPD, Grünen und Linken) zwischen 2010 und 2014 mehr gespart haben als "rechte" (CDU, CSU und FDP). Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass der Staat insgesamt viel mehr Steuern eingenommen hat als erwartet. Das ist aber nicht alles. Die Ifo-Forscher vermuten, dass die Sozialdemokraten eine natürliche Neigung haben, im Amt marktwirtschaftlicher zu sein als im Wahlkampf. "Im Zuge der Finanzkrise könnte die SPD auch auf den Umschwung der öffentlichen Meinung reagiert und deshalb eine nachhaltigere Finanzpolitik verfolgt haben." Tatsächlich erwirtschaften inzwischen alle Bundesländer, mit Ausnahme Bremens und Sachsen-Anhalts, Haushaltsüberschüsse (Stand Oktober 2015).

Die Sache mit der SPD und der Schuldenbremse ist ein dankbares Thema für Politologen, Ökonomen und Statistiker. Eine der ältesten Sätze der ökonomischen Theorie der Politik ist das Theorem vom "Medianwähler", erstmals formuliert von dem amerikanischen Statistiker Harold Hotelling: Danach streben in einer Demokratie im Endeffekt alle Politiker in die Mitte, weil dort die meisten Wähler zu finden sind (der so genannte Medianwähler). Die sozialdemokratische Finanzpolitik scheint dieses Theorem nun uneingeschränkt zu bestätigen. Das ist insofern spannend, als die Gültigkeit des Theorems immer wieder in Frage gestellt wird. Der amerikanische Politik-Professor Daniel Drezner (Tufts University) hält es zum Beispiel für möglich, dass in dem extrem polarisierten politischen Klima der Vereinigten Staaten der Medianwähler verschwunden ist. An seine Stelle könnten ein linker und ein rechter Extremist gerückt sein, die sich in ihrer Radikalität gegenseitig stabilisieren.

71,4 Prozent

des Bruttoinlandsprodukts machten die Schulden Deutschlands im vergangenen Jahr aus. Das ist zwar immer noch mehr, als die EU fordert (60 Prozent), aber deutlich weniger als jene 81,0 Prozent, mit denen sich der Staat kurz nach der Finanzkrise 2010 verschuldet hatte. Der unerwartet starke Rückgang ist eine Folge der guten Konjunktur und der Politik der "schwarzen Null".

Auch in Deutschland ist die Öffentlichkeit polarisiert, unduldsam und hysterisch, spätestens seit der Flüchtlingskrise. Aber zumindest sozialdemokratische Finanzpolitiker scheinen noch an einen Medianwähler zu glauben, der im Zweifel gesunde Staatsfinanzen verlangt. Für das Gemeinwesen muss das keine schlechte Nachricht sein, besonders in Zeiten wie diesen.

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