Pipers Welt:Marshallplan

Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Bundesregierung will die Zusammenarbeit mit Afrika grundlegend erneuern. Minister Müller ist auf dem richtigen Weg, nur drückt er sich irreführend aus.

Von Nikolaus Piper

Wann immer es darum geht, viel Geld unter die Leute zu bringen, fällt über kurz oder lang das Stichwort "Marshallplan". Im Laufe des vergangenen Viertelhunderts wurde schon nach Marshallplänen für Ostdeutschland, für Europa, für Griechenland und für die gesamte Dritte Welt gerufen. Jetzt schlägt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) einen europäischen Marshallplan für Afrika vor. Dieser soll dem Kontinent nachhaltiges Wachstum bescheren und - unausgesprochen - die Massenflucht junger Afrikaner nach Europa stoppen.

Es wäre nicht schlecht, an dieser Stelle kurz innezuhalten. Ja, Europa muss Afrika beistehen, in seinem ureigenen Interesse. Aber ist "Marshallplan" der richtige Begriff dafür? Angesichts des spektakulären Wiederaufstiegs Westdeutschlands und Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg schwebt über dem amerikanischen Hilfsprogramm, das diesen Erfolg möglich machte, bis heute eine Art Heiligenschein. Wer aber nur auf diesen Heiligenschein schaut, der kommt schnell auf falsche historische Analogien und landet dort, wo er eigentlich gar nicht hinwill.

Zur Erinnerung: Am 5. Juni 1947 hielt der damalige Außenminister der Vereinigten Staaten, George Marshall, vor Studenten der Harvard University eine große Rede über die Lage in Europa zwei Jahre nach Kriegsende. Marshall kündigt dabei ein sensationelles Hilfsprogramm an. In den Jahren 1948 bis 1942 bekam Europa daraufhin zwölf Milliarden Dollar, was in heutiger Kaufkraft ungefähr 120 Milliarden Dollar entspricht. Das war ungewöhnlich großzügig, nach den Maßstäben der Zeit, aber auch nach heutigen. Nun hat Afrika - und hier fangen die Schwierigkeiten an - zwischen 1960 und 2014 insgesamt 835 Milliarden Dollar an staatlicher Entwicklungshilfe bekommen, so jedenfalls die Rechnung der Weltbank. Das entspricht ganz grob zwischen sechs und sieben Marshallplänen. Geholfen hat es nichts. Viele Experten, in Afrika und außerhalb, glauben sogar, dass das Geld häufig geschadet hat. Und jetzt ein weiterer Marshallplan?

Am Anfang aller Fehlschlüsse bei dem Thema liegt ein Missverständnis. Anders, als es sich im kollektiven Bewusstsein der Welt festgesetzt hat, haben die Amerikaner die Europäer zwischen 1948 und 1952 nicht einfach mit Geld zugeschüttet. Ihre Hilfe bestand überwiegend aus Waren und Krediten. Westdeutschland erhielt Lebensmittel, Baumwolle für die Textilindustrie, Ausrüstungen für den Bergbau. Notwendig war dies deshalb, weil die Europäer die Waren nicht kaufen konnten. Ihre Währungen waren von Krieg und Diktatur ruiniert, und über Dollars verfügten sie nicht. Die notwendigen Fabriken dazu aber gab es. Sie mochten bombardiert worden sein und viele Mitarbeiter verloren haben. Das nötige Wissen, die Patente und Teile der Belegschaft waren aber noch da. Marshalls Plan startete einfach Vorhandenes neu.

Die USA zwangen die Europäer zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit

Nur in diesem Kontext hat das Konzept des Marshallplanes überhaupt Sinn. Fehlt er, dann reduziert sich alles auf die sinnlose Forderung nach sehr viel Geld. In Afrika jedoch geht es darum, erst einmal eine eigenständige afrikanische Industrie aufzubauen. Und das funktioniert mit Entwicklungshilfe nicht, wie das vergangene halbe Jahrhundert gezeigt hat. Afrikanische Unternehmer müssen sicher investieren können, ohne Furcht davor, dass subventionierte Waren aus dem Norden die eigenen Produkte aus dem Markt werfen, dass korrupte Politiker den Gewinn einstecken oder marodierende Soldaten einen erschießen.

Man kann Marshalls Konzept nicht kopieren, aber man kann daraus lernen. Mit seinem Hilfsprogramm wehrte US-Präsident Harry Truman seinerzeit nicht nur den Stalinismus ab. Er zwang die Europäer zusammenzuarbeiten, er verpflichtete sie zum Freihandel und er begann mit der wirtschaftlichen Rehabilitation Westdeutschlands. Die Organisation zur Abwicklung des Marshallplanes (OEEC) in Paris war der Grundstein des europäischen Einigkeitsprozesses. Dabei handelten Truman und Marshall durchaus im Eigeninteresse. Sie wussten, dass ihnen ohne ein prosperierendes Europa die Handelspartner ausgehen würden. Er wolle "das moderne System der Arbeitsteilung (retten), auf dem unser Wirtschaftssystem aufgebaut ist", sagte Marshall bei seiner Harvard-Rede (ein kleiner Gruß an den derzeitigen Amtsinhaber im Weißen Haus).

Heute in Afrika geht es, wie damals in Europa, darum, alle Beteiligten zur wirtschaftlichen Vernunft zu zwingen. Afrika muss, wenn es eine Chance haben will, in das System der globalen Arbeitsteilung eingebunden werden. Minister Müller ist zuzugestehen, dass er seine Pläne durchaus in diesem modernen Sinne sieht, als "Marshallplan mit Afrika und nicht für Afrika". Er will zum Beispiel die "Kreativität des afrikanischen Unternehmertums von den existierenden Fesseln befreien". Problematischer ist, dass die Öffentlichkeit in Deutschland, einschließlich vieler Hilfsorganisationen, gegenüber Afrika noch in Geber-Nehmer-Kategorien denkt: der Kontinent als Opfer, dem man zu Hilfe eilen muss. Das Denken nährt sich aus schlechtem Gewissen, und dieses ist wohlbegründet in der Geschichte des europäischen Kolonialismus. Nur hilft es den Afrikanern wenig, wenn die Europäer aus lauter schlechtem Gewissen das Falsche tun. Die "Entwicklungshilfe-Industrie" korrumpiere Afrika nur, sagte der kenianische Ökonom James Shikwati einmal.

Afrika steht vor historischen Umbrüchen. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln. Die bisherige Entwicklungshilfe taugt nicht mehr. Minister Müller sucht richtigerweise nach Alternativen. Nur, warum nennt er sein Konzept "Marshallplan"? Damit verleitet er viele, im alten Denken zu verharren.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

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