Pipers Welt:Der Angriff der Interessen

Deutschland geht es gut wie lange nicht mehr. Nun wird kräftig gestreikt. Ist das Grund zur Sorge? Die Frage lässt sich mit dem amerikanischen Ökonomen Mancur Olson beantworten.

Von Nikolaus Piper

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte diese Woche eine interessante Übersicht zu den Arbeitskosten in Europa. Danach kostete 2014 eine Arbeitsstunde in Deutschland 31,80 Euro, 1,6 Prozent mehr als im Jahr davor. Der Anstieg war etwas höher als im EU-Durchschnitt. So ist das Bild seit 2011. In Deutschland, dem Kritiker gelegentlich "Lohndumping" unterstellen, steigt der Preis der Arbeit schneller als in den vergleichbaren EU-Staaten, nicht viel, aber über die Jahre doch spürbar. In der Industrie, die besonders dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist, liegt Deutschland mit 37 Euro an vierter Stelle.

Die Statistik lässt sich auf zweierlei Weise lesen. Die beruhigende Version geht so: Die Verteuerung der Arbeit mag etwas zu hoch sein, aber der Effekt hält sich in Grenzen. Schließlich haben deutsche Arbeitnehmer Nachholbedarf, der Überschuss in der Leistungsbilanz steigt und für Europa wäre es ohnehin besser, wenn es die Deutschen mit der Wettbewerbsfähigkeit nicht übertrieben.

Und nun die weniger beruhigende Perspektive. Um die zu gewinnen, sollte man ein Buch aus dem Jahre 1982 zur Hand nehmen. Der Titel heißt "Aufstieg und Niedergang von Nationen", Autor ist Mancur Olson, ein amerikanischer Ökonom und Kandidat für den Nobelpreis, der 1998 mit nur 66 Jahren gestorben ist. Olson beschreibt eindrucksvoll und mit vielen Beispielen belegt, wie erfolgreiche Gesellschaften erstarren, wenn sie zum Opfer von Interessengruppen werden. Olsons These, stark vereinfacht: Je länger es einer Volkswirtschaft gut geht, desto anfälliger wird sie für den Angriff organisierter Interessen. Partikularinteressen sind nun einmal leichter zu mobilisieren als die der Allgemeinheit.

Pipers Welt: Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Das heutige Deutschland erinnert auf fast unheimliche Weise an die Warnungen Olsons: Dem Land geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Das ist zum Teil Glück, zum Teil aber auch der Ertrag früherer Politik, der maßvollen Lohnpolitik den rot-grünen Reformen der Agenda 2010. Doch jetzt schlagen die Interessengruppen zu. Die Piloten, die auf empörende Weise dabei sind, die Lufthansa kaputt zu streiken (der Konflikt ist nur aufgeschoben, nicht gelöst). Die Lokführer, die die Bahn aus reinem Organisationsinteresse in einen beispiellosen Streik stürzen. Das Bedrohliche dabei sind ja nicht die Streiks selbst (Deutschland hat immer noch vergleichsweise wenig Streiktage), es ist der Konkurrenzkampf verschiedener Gewerkschaften auf dem Rücken von Kunden und Steuerzahlern. Das treibt die Kosten und lässt für die Zukunft Böses befürchten, wie Beispiele besonders aus den USA und Italien zeigen.

Auch der Streik der Erzieherinnen an Kitas hat es in sich. Dort geht es, folgt man den Zahlen von Verdi, um ein Lohnplus von 15 Prozent. Man könnte auch noch die Rente mit 63, das Betreuungsgeld und den Mindestlohn zu den zweifelhaften Erfolgen von Interessengruppen rechnen. Wie viele Jobs der Mindestlohn kosten wird, lässt sich heute noch nicht sagen, eines jedoch ist klar. So wie er umgesetzt wurde, gerieten die Hauptleidtragenden des Gesetzes - kleine und kleinste mittelständische Unternehmen - unter einen Generalverdacht als Gesetzesbrecher. Es wäre ein Wunder, wenn dies ohne Folgen bliebe.

31, 80

Euro kostet eine Arbeitsstunde in Deutschland, im Durchschnitt der EU sind es 24,40 Euro. Das teuerste Land der EU ist Dänemark mit 42 Euro, das billigste Bulgarien mit weniger als einem Zehntel: 3,80 Euro. Deutschland steht mit seinen Kosten in der Statistik an achter Stelle; betrachtet man allerdings nur die Industrie, rücken die Deutschen auf Platz vier vor.

Es ist also nicht der Anstieg der Lohnkosten selbst, der so besorgt macht, es sind seine Begleitumstände. Mancur Olson glaubte, es bedürfe gelegentlich einer Wirtschaftskatastrophe, um die Sklerose einer Gesellschaft zu verhindern. Warum versuchen die Deutschen nicht, ihn zu widerlegen?

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Nikolaus Piper und Thomas Fricke im Wechsel.

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