Pipers Welt:Bloß nichts verlieren

Begrenzte Verluste durch Verkauf zu realisieren, kann sinnvoller sein, als auf bessere Zeiten zu wetten.

Von Nikolaus Piper

Ökonomen versuchen gelegentlich, auch Phänomene mit ihren Methoden zu analysieren, die scheinbar weit weg von Wirtschaft im engeren Sinne liegen. Erstaunlich oft funktioniert das auch. Zum Beispiel beim Populismus. Warum stimmten die Bürger des Vereinigten Königreichs mehrheitlich für den Brexit, nur um hinterher kreuzunglücklich mit dem Ergebnis zu sein? Warum ist knapp die Hälfte der Amerikaner bereit, einen Mann ins Weiße Haus zu schicken, dessen Wahlkampf aus Sottisen und Ausfällen gegen Gott und die Welt besteht?

Warum wählen so viele Deutsche die AfD, eine Chaostruppe, die am rechten Rand erheblich ausfranst? Und warum gehen die Gegner der Freihandelsabkommen TTIP und CETA mit ihrer Ablehnung so weit, dass sie in Sachen Ratifizierung sogar eine größere EU-Krise riskieren?

Eine Antwort findet man bei dem Wirtschaftspsychologen Daniel Kahneman, Träger des Wirtschaftsnobelpreises von 2002. Kahneman entwickelte zusammen mit Amos Tversky 1979 das Theorem von der "Verlustaversion". In Experimenten hatten sie festgestellt, dass bei den meisten Menschen der Schmerz über einen Verlust größer ist als die Freude über einen Gewinn. Deshalb verhalten sie sich, wenn es um mehr Geld geht, relativ rational, fangen jedoch bei drohenden Verlusten an zu zocken.

Pipers Welt: Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Nikolaus Piper bewundert die Italiener, die trotz ihres dysfunktionalen Staates erfolgreich wirtschaften.

Stellt man jemanden vor die Wahl: Entweder du bekommst 500 Euro sicher oder 1000 Euro mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit, entscheidet er sich für das sichere Geld. Hat der Betreffende jedoch zwischen 500 Euro sicherem und 1000 Euro wahrscheinlichem Verlust zu wählen, nimmt er sich in der Regel die riskante Variante. Verlustaversion bringt Anleger dazu, fallende Aktien viel zu lange zu halten. Statt durch Verkauf der Papiere begrenzte Verluste zu realisieren, wetten sie auf bessere Zeiten und riskieren so noch viel größere Verluste.

Den Link von Verlustangst zu Zockerei gibt es auch in der Politik. James Surowiecki, Finanz-Kolumnist des New Yorker, ging das Programm von Donald Trump unter diesem Aspekt durch und fand lauter Aussagen über Verluste, drohende ebenso wie angeblich eingetretene: Hillary Clinton "will euch eure Waffen wegnehmen", sagt er. Oder: Durch "Freihandel verlieren wir unsere Jobs". Schließlich ganz groß: "Wir verlieren unser Land". Bei so viel Verlusten ist manch einer bereit, einem Hasardeur die Macht anzuvertrauen. In Großbritannien kämpften die Brexiteers mit dem Slogan: "Take back Control" ("Holt euch die verlorene Kontrolle über das Land zurück.). Die AfD setzt auf das Unbehagen über den Verlust der alten bundesrepublikanischen Gemütlichkeit, die Anti-TTIP-Kampagne auf die Furcht vor dem Kontrollverlust des Staates in der Umweltpolitik.

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Prozent der Briten trauen ihrer Regierung nach dem Brexit-Votum nicht zu, mit der EU die besten Konditionen für den Austritt zu verhandeln. Das ergab eine Umfrage für die BBC. Trotz der Turbulenzen auf den Finanzmärkten nach dem Votum würden aber nur fünf Prozent der Brexit-Befürworter ihre Stimmabgabe korrigieren, hätten sie die Gelegenheit dazu.

Alle Kämpfer auf dem Feld der Verlustangst verschweigen die Kosten ihres Programms: Was bedeutet es konkret - raus aus dem Euro, kein TTIP, versiegelte Grenzen? Die Briten wollten die Kontrolle über ihre Politik zurück, jetzt werden sie weniger Kontrolle haben, sofern sie weiter die Vorzüge des Binnenmarktes wollen. Sie werden von Brüssel reguliert, können aber nicht mitreden. Das konnte man vorher wissen, aber man wollte es nicht. Es ist wie mit Aktien. Angst vor Verlusten, tatsächlichen oder eingebildeten, kann sehr teuer werden.

An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.

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