Pipers Welt:Amerikas Privileg

Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Der Dollar gibt den Vereinigten Staaten mehr Macht als jede andere Währung. Was aber wird aus der Macht, wenn das Land sich abschottet?

Von Nikolaus Piper

Seit in Washington von Tweet zu Tweet die Werte umgewertet werden, stellen sich viele Fragen plötzlich ganz neu. Zum Beispiel die nach dem Dollar und seiner Rolle in der Welt. Die Währung war immer Ausdruck amerikanischer Macht (The Mighty Buck sagt der Volksmund), umgekehrt wirkten die Macht von Wirtschaft und Militär der Vereinigten Staaten wie eine Garantie für den Dollar. Und da sollte es keine Folgen haben, wenn der neue Präsident die Vereinigten Staaten einfach von Freihandel auf Protektionismus umpolt?

Martin Hüfner, Analyst der Finanzfirma Assenagon und früher Chefvolkswirt der Hypo-Vereinsbank, hat dazu Interessantes beobachtet: Nach der Wahl von Donald Trump schossen zwar die Aktienkurse nach oben, die Anleihezinsen stiegen, der Dollar jedoch blieb vergleichsweise träge. Für einen Euro musste man zuletzt 1,08 Dollar zahlen, ungefähr so viel wie kurz vor der Wahl im November. Der Mangel an Kursausschlägen ist jedoch kein Zeichen von Stabilität, meint Hüfner, sondern dafür, dass zwei gegensätzliche Kräfte am Wechselkurs zerren, die eine nach oben, die andere nach unten. Beide Kräfte - und das ist der Punkt - befinden sich auch im Kopf des Präsidenten: "Er tut alles, um den Dollar stark zu machen, will ihn aber gar nicht stark haben."

Die Folgen dieses Widerspruchs im Kopf waren in dieser Woche zu besichtigen. Peter Navarro, oberster Handelsberater Trumps, warf den Deutschen vor, mithilfe des billigen Euros andere Länder, darunter die USA, auszubeuten. Der Euro sei "krass unterbewertet", was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Dollar krass überbewertet ist. Eine Regierung jedoch, die "America great" machen will und gleichzeitig den Dollar herunterredet, verspricht nicht unbedingt Stabilität.

Vielleicht ist die Sache mit dem Dollar aber noch viel fundamentaler. An dieser Stelle sollte man in das Jahr 1960 zurückblicken und sich mit einem Mann namens Valéry Giscard d'Estaing befassen, der damals französischer Finanzminister war (später wurde er als Staatspräsident und Freund Helmut Schmidts berühmt). Giscard beklagte, dass sich die Amerikaner, weil der Dollar Leitwährung war, im Ausland viel billiger verschulden könnten als andere. Dies sei ein "exorbitantes Privileg". Giscards hingeworfener Begriff hat sich über die Jahre zu einem Fachterminus entwickelt. Wer beschreiben will, warum Amerikas Kreditwürdigkeit bisher auch miserable Politik in Washington ohne erkennbare Schäden aushält, spricht vom "Exorbitanten Privileg": Letztlich können die USA immer mit eigenem Geld zahlen.

Diesen exorbitanten Vorteil kann man auch messen. Benn Steil, Ökonom beim Council on Foreign Relations in New York, rechnet so: Die USA haben - Privatwirtschaft und Staat zusammen - gegenüber dem Ausland Schulden von netto 7,5 Billionen Dollar; gleichzeitig verdienen sie an Kapitalanlagen im Ausland netto 167 Milliarden Dollar. Amerika lebt auf Pump und verdient auch noch daran, in der Tat ein ungewöhnliches Privileg.

Die USA profitierten bisher davon, dass Ausländer auf hohe Renditen verzichteten

Aber woher kommt diese außerordentliche Macht des Dollars? Zu Giscards Zeiten war die Antwort einfach. Damals galt noch die Währungsordnung von Bretton Woods, deren Leitwährung der Dollar war; wer Handel treiben wollte, brauchte den Mighty Buck. Diese Ordnung gibt es schon lange nicht mehr. Die großen Währungen werden frei gehandelt, Länder mit soliden Finanzen wie Deutschland können sich ohne Probleme in ihrer eigenen Währung international verschulden. Zwar wird Erdöl noch meist in Dollar abgerechnet, aber das ist Konvention, nicht Zwang.

Das exorbitante Privileg kommt heute daher, dass die Ausländer freiwillig den USA Geld leihen, amerikanische Staatsanleihen und amerikanische Aktien kaufen und dabei, wenn es sein muss, sehr niedrige oder gar keine Renditen akzeptieren. Die USA sind eben immer noch die größte Volkswirtschaft der Welt und sie gelten als sicherer Hafen für Geld, der Finanzmarkt ist tief und liquide (man wird also seine Papiere auch wieder los, wenn man möchte), das Rechtssystem schützt Gläubiger und das Land ist offen.

Aber wie mag es um diesen sicheren Hafen bestellt sein, wenn in Washington erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ein Präsident regiert, der den Protektionismus zum Programm erhoben hat, der versucht, das Leistungsbilanzdefizit der USA dadurch zu senken, dass er deren wichtigste Handelspartner, China, Mexiko, Deutschland, beschimpft? Wenn man nicht mehr weiß, ob man durch die US-Einreisekontrolle kommt, weil man möglicherweise den falschen Pass hat. Und wenn der Präsident Fragen von Journalisten nicht beantwortet, weil ihm deren Berichterstattung nicht gefällt. Letzteres stört vielleicht die Nationalbank von China nicht, die immer noch einer der größten Gläubiger der Regierung in Washington ist. Umso mehr werden die Leute in Beijing nervös, wenn von Sanktionen und Strafzöllen die Rede ist.

Immer wieder einmal gab es Gelegenheiten, bei denen das exorbitante Privileg der USA in Gefahr schien. Zum Beispiel 2011 und 2013, als die Republikaner im Kongress kurz davor standen, im Haushaltsstreit mit Präsident Barack Obama den Staatsbankrott riskierten. Damals wunderte sich Barry Eichengreen, Ökonom und Währungsspezialist von der University of California in Berkeley, dass der Dollar so wenig auf das Drama in Washington reagierte. In einem Interview mit der Deutschen Welle gab er selbst die Erklärung dafür. Sie bestehe "aus einem Wort: Ungläubigkeit. Niemand in Europa, niemand in Asien glaubt, dass US-Politiker verrückt sind."

Was aber, wenn die Europäer und Asiaten plötzlich ihre Meinung über amerikanische Politiker ändern?

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