Pharmaindustrie:Durchatmen nach der Attacke

Wo bleibt die Empörung? Minister Rösler poltert gegen die Pharmaindustrie, doch die Konzerne bleiben ungewohnt ruhig - denn sie hatten mit Schlimmerem gerechnet.

K.-H. Büschemann u. H. Schwarz

Der Gesundheitsminister legt sich mächtig ins Zeug. Er will die Kosten im Gesundheitswesen drücken und hat einen Gegner ins Visier genommen. "Ich werde hart an die Pharma-Industrie und ihre Gewinne herangehen", sagt Philipp Rösler (FDP) und fügt an: "In Deutschland sind viele Medikamente zu teuer." Er werde die Konzerne "zu Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen zwingen".

Das klingt hart, doch die Unternehmen schweigen, ihr Verband reagiert ziemlich brav. "Wir sagen seit langem, dass etwas geschehen muss", erklärt die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), Cornelia Yzer. "Es muss gewährleistet sein, dass kranke Menschen auch künftig am medizinischen Fortschritt teilhaben können." Eine empörte Reaktion klingt anders.

Die Pharmaindustrie hat offenbar Schlimmeres erwartet. Branchenvertreter räumen in kleiner Runde ein, dass sie seit dem Start der neuen Bundesregierung mit Vorstößen zur Kostendämpfung rechnen. "Jetzt ist es eingetreten, nun müssen wir uns damit auseinandersetzen", heißt es in Firmenkreisen. Die angedrohten Einschnitte hätten "noch eine andere Dimension" haben können.

"Wir wussten, dass wir kein Heimspiel mehr haben," sagt ein Pharma-Mann in Berlin. Der neue FDP-Minister müsse sich profilieren. Die Branche hatte mit einer noch forscheren Gangart gerechnet, weil der unter wachsendem Druck des Koalitionspartners CDU/CSU stehe. Die hätten noch ganz andere Vorstellungen vom Vorgehen gegen die Pharma-Industrie und könnten sich Zwangsrabatte und Preismoratorien vorstellen. In den Plänen des Ministers gebe es sogar "gewisse marktwirtschaftliche Elemente". Röslers Idee, die Pharma-Konzerne sollten ihre Arzneipreise mit den Krankenkassen aushandeln, sei "keineswegs unmäßig", heißt es konziliant beim VFA.

Traumrendite für Bayer

Die Pillen- und Arznei-Hersteller sind beliebte Prügelknaben im Gesundheitssystem. Medikamente sind ein großer Kostenblock, und die Unternehmen verdienen nach wie vor glänzend. Wie zur Bestätigung kam am Freitag die Mitteilung des Pharma-Herstellers Ratiopharm, der bei 1,6 Milliarden Euro Umsatz einen Gewinn von 307 Millionen Euro meldete. Eine Umsatzrendite von knapp 20 Prozent ist außerhalb der Pharma-Industrie sehr selten. In anderen Branchen gelten schon zehn Prozent als extrem guter Wert.

Der Leverkusener Bayer-Konzern machte im vergangenen Jahr im Medikamentengeschäft eine Umsatzrendite von sogar 27 Prozent. Das Darmstädter Unternehmen Merck schaffte 2009 knapp 20 Prozent. "Die Margen in der Pharma-Industrie sind gut", sagt Daniel Wendorff von der Commerzbank über die Rentabilität der Hersteller. Es sei deshalb nicht erstaunlich, dass die Politiker dies im Auge haben. "Die Gedanken der Politiker sind nachvollziehbar", sagt ein Investment-Banker.

Doch die Unternehmen werden sich kaum widerstandslos ergeben. Sie behaupten, sie brauchten wegen ihres risikoreichen Geschäfts und der hohen Entwicklungskosten auch künftig die hohe Renditen. Die Entwicklung von Medikamenten ist nach wie vor sehr risikoreich. Commerzbank-Mann Wendorff sagt eine einfache Reaktion voraus, sollten die Politiker die Gewinne der Unternehmen schmälern: Die Firmen würden sich auf keinen Fall mit einer schmaleren Marge begnügen, stattdessen würden sie die Kosten drücken. "Dann werden mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagert".

Der Mittelstand bibbert

Die Unternehmensberatung Ernst & Young sieht die Pläne des Gesundheitsministers kritisch. Deren Pharma-Experte Elia Napolitano sagte der Süddeutschen Zeitung: "Es fehlt ein vielseitiges Konzept" Rösler versuche nur bei der Industrie etwas zu verändern, besser wäre es aber, alle Beteiligten im Gesundheitswesen einzubeziehen, also etwa auch Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen. "Es wird momentan zu schnell geschossen und auch nicht zielgerichtet." Die Reformpläne würden sich deshalb als "Rohrkrepierer" erweisen.

Mit den geplanten Instrumenten ließen sich die Medikamentenpreise, mit denen Deutschland in Europa "im Mittelfeld" liege, nicht steuern. Die Firmen müssten noch besser den Nutzen ihrer Medikamente erklären. Es gehe nicht nur um die Wirkung für die Patienten, sondern auch um volkswirtschaftliche Vorteile, beispielsweise, wenn ein Medikament zu geringeren Fehlzeiten am Arbeitsplatz führt.

Aus der Deckung wagt sich derweil das junge Unternehmen Axicorp, das zur indischen Biotechnologie-Gruppe Biocon gehört. Dessen Geschäftsführer Dirk Ullrich sagt, wenn die Regierung die großen forschenden Pharmaunternehmen und die mittelständischen Unternehmen gleich behandele, "dann kann es nur einen Verlierer geben: den pharmazeutischen Mittelstand!" Die 2002 gegründete Axicorp, die inzwischen über 250 Mitarbeiter beschäftigt und 2009 gut 130 Millionen Euro umsetzt, hat sich auf die Herstellung und den Vertrieb preisgünstiger Arzneimittel spezialisiert. Dieses Modell sieht Ullrich nun in Gefahr.

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