Pharmafirmen gefilzt:EU-Kommission in Aufruhr

Böser Verdacht: Haben Pharmakonzerne den Verkauf von billigeren Nachahmerarzneien behindert? Die EU-Kommission ist alarmiert.

Sibylle Haas

Die EU-Kommission in Brüssel hat eine Reihe von Pharmakonzernen in Europa gefilzt. Die betroffenen Firmen werden verdächtigt, den Verkauf von billigen Nachahmerpräparaten zu behindern, um eigene Umsatzrückgänge zu bremsen. Geprüft werde, ob die Firmen alleine oder gemeinsam Maßnahmen getroffen haben, um den Markteintritt einer bestimmten Nachahmerarznei zu verzögern, teilte die Brüsseler Kartellbehörde am Freitag mit.

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Haben sich Pharmaunternehmen abgesprochen, um eigene Umsatzrückgänge zu bremsen?

(Foto: ddp)

Die Kommission bestätigte, dass es bereits am Dienstag erste Razzien gegeben habe. Die Untersuchungen seien aber noch am Anfang. Namen wurden nicht genannt. Allerdings bestätigte der schwedisch-britische Pharmakonzern Astra-Zeneca, dass er zu den betroffenen Unternehmen gehört. Man werde mit den Behörden zusammenarbeiten, kündigte eine Unternehmenssprecherin an. Es gehe um das umsatzstarke Medikament gegen Sodbrennen, Nexium. Der Patentschutz von Nexium endet derzeit auf den wichtigsten Märkten.

Nach einer Marktstudie der Beratungsgesellschaft Accenture laufen allein bei Astra-Zeneca seit 2008 Patente von Arzneimitteln ab, mit denen etwa die Hälfte des Konzernumsatzes erzielt wird. Das kann sich verheerend auswirken, wenn neue Medikamente die dadurch verursachten Umsatzausfälle nicht ausgleichen können. Problematisch ist auch, dass viele Konzerne bei der Entwicklung neuer Produkte im Hintertreffen sind. Das aber ist bei vielen Großen der Fall, da sie in den vergangenen Jahren ihre Forschung zurückgefahren haben.

Allein im nächsten Jahr werden laut Accenture 40 Prozent der weltweiten Pharmaprodukte "reife" Medikamente sein. Das sind Arzneien, deren Patentschutz bereits beendet ist oder in den nächsten zwei Jahren ausläuft. 2007 gab es nur 15 Prozent derartiger "reifer" Arzneien. Endet der Patentschutz, können Konkurrenten Nachahmerprodukte zu deutlich niedrigeren Preisen anbieten. Allein 20 der 50 weltweit bestverkauften Medikamente stehen 2011 kurz vor dem Verlust ihres Patentschutzes: Zu den weltweit bekanntesten Arzneien gehört der Cholesterinsenker Lipitor von Pfizer. Das Produkt zählt mit einem Umsatz von 12,4 Milliarden Dollar zu den umsatzstärksten auf der Welt. Auch bei dem Blutverdünner Plavix (Umsatz 9,3 Milliarden Dollar) von Bristol-Myers Squibb und Sanofi-Aventis endet der Patentschutz nächstes Jahr. Das Asthma- Medikament Advair von Glaxo Smith Kline verliert seinen Schutz in den USA bereits in diesem Jahr und in Europa im Jahr 2013. Auch ein deutsches Unternehmen steht in dieser Riege: Das Prostata- Mittel Flomax von Boehringer Ingelheim ist in den USA bereits seit Anfang 2010 nicht mehr vor Nachahmern sicher.

Boehringer Ingelheim ist nach eigenen Angaben nicht von den Untersuchungen betroffen. Die Konzerne Bayer, Glaxo Smith Kline, Sanofi-Aventis und Pfizer äußerten sich ähnlich. In der Vergangenheit hatte die EU-Kommission schon öfter Pharmakonzerne überprüft. Dabei ging es auch um den Verdacht, dass Hersteller von Nachahmerarzneien dafür bezahlt wurden, dass sie den Marktstart ihrer Produkte verzögerten.

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