Pharma:Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer

Lesezeit: 3 min

Die Firmen Biogen und Eisai melden positive Ergebnisse einer Medikamentenstudie.

Von Kathrin Werner, New York

Die Patientin wiederholte immer wieder den gleichen Satz: "Ich habe mich sozusagen selbst verloren." Ihr Fall war der erste, den Alois Alzheimer genauer untersuchte, nach ihrem Tod mikroskopierte er ihr Gehirn. 1906 war das. Seither hat die Medizin viel gelernt über das Gehirn und seine Krankheiten. Doch eine Heilung für Alzheimer hat sie nicht gefunden, selbst die Ursachen sind unklar, der Frust in den Pharmakonzernen ist groß.

Entsprechend aufgeregt ist die Pharmabranche deshalb über diese Nachricht: Die amerikanische Biotechfirma Biogen und der japanische Partner Eisai haben in einer Studie für ein experimentelles Alzheimer-Medikament namens BAN 2401 positive Ergebnisse erzielt. Patienten, die die höchste Dosis des Präparats erhielten, zeigten eine "statistisch signifikante" Verlangsamung des Krankheitsverlaufs nach 18 Monaten Behandlung. "Die Aussicht, Menschen, die an dieser schrecklichen Krankheit leiden, sinnvolle, krankheitsmodifizierende Therapien anbieten zu können, ist gleichzeitig aufregend und lässt einen demütig werden", sagte Alfred Sandrock, Biogens Medizinvorstand. Die Studie mache Hoffnung, dass Alzheimer und ähnliche neuronale Krankheiten "möglicherweise nicht so hartnäckig sind, wie es einst schien".

Die Nachricht ließ den Aktienkurs von Biogen um 20 Prozent steigen. Das Unternehmen selbst ist allerdings eher vorsichtig: Es gebe keine Garantie, dass die nächste Studienphase ebenfalls erfolgreich ist und das Medikament zugelassen wird. Detaillierte Daten will Biogen demnächst präsentieren. Noch ist zum Beispiel nicht bekannt, bei wie vielen der Testpatienten die höchste Dosis des Präparats überhaupt eingesetzt wurde. Weder Aktionäre noch Patienten sollten sich also Hoffnung auf schnelle Resultate machen.

Wenn das Vergessen überhand nimmt: Ein Mittel gegen Alzheimer gibt es bislang noch nicht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Alzheimer ist eine Volkskrankheit. Sie ist die häufigste Form von Demenz. Weltweit sind rund 50 Millionen Menschen erkrankt, in Deutschland gut 1,7 Millionen. Frauen trifft es häufiger als Männer. Sofern kein Durchbruch in der Medizin gelingt, wird nach Schätzungen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft die Zahl der Kranken bis 2050 auf rund drei Millionen steigen - was auch daran liegt, dass die Menschen immer älter werden. In den USA ist Alzheimer die sechshäufigste Todesursache. Laut der Alzheimer's Association werden die Kosten der Pflege für Alzheimer-Patienten in den USA, derzeit 277 Milliarden Dollar pro Jahr, bis 2050 auf 1,1 Billionen Dollar steigen, was die Krankenkassen beziehungsweise das staatliche Gesundheitsprogramm Medicare ruinieren würde.

Der Markt für die Pharmaindustrie ist also riesig und wächst immer weiter. Doch die Forschung an Präparaten gegen Alzheimer hat sich als Milliardengrab entpuppt. Über Jahre hinweg testeten die Konzerne immer neue Ansätze, einer nach dem anderen scheiterte. Zwar lernten die Wissenschaftler mehr über die Krankheit, eine Heilung schien aber immer weiter in die Ferne zu rücken. Bei Pfizer war der Frust darüber so groß, dass das US-Unternehmen sich komplett aus der Forschung und Entwicklung zurückzog. Die erste Hälfte dieses Jahres war ganz besonders von Rückschlägen geprägt. Im Februar stoppte Merck zwei klinische Studien an Patienten mit milder und früher Demenz, sie zeigten keine Wirkung. Im Mai gab Johnson & Johnson die Arbeit an einem Wirkstoff auf, die Nebenwirkungen waren zu heftig. Im Juni scheiterten der britische Konzern Astra Zeneca und seine US-Partnerfirma Eli Lilly. Ein unabhängiges Prüfungskomitee war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Wirkstoff keine Erfolgsaussicht habe.

Die meisten Firmen haben auf Wirkstoffe gesetzt, die das Eiweißfragment Beta-Amyloid unschädlich machen oder entfernen. Diese Proteine gelten als Merkmal der Alzheimer-Krankheit, seit man in den Gehirnen von Patienten Beta-Amyloid-Klumpen gefunden hat. Von dem Eiweiß Amyloid trennt sich im Gehirn ein kleines Stück ab, das sich dann verklebt und Nervenzellen abtötet. Warum das so ist, ist unklar. Es galt aber als Durchbruch, als es der Alzheimerforschung vor Jahrzehnten erstmals gelang, Beta-Amyloid mit Antikörpern zu entfernen beziehungsweise die Entstehung zu verhindern.

Doch kurz darauf stellte sich heraus, dass das Vergessen bei den Studienpatienten trotzdem weiter voranschritt. Seither stellen Industrie und Wissenschaft alles in Frage: Ist Amyloid-Beta überhaupt der Verursacher? Und wenn ja, der Alleinschuldige? Gibt es noch ein anderes oder mehrere andere Proteine, die gemeinsam mit Amyloid-Beta die Krankheit auslösen? Welche Rolle spielen Entzündungen? Wie früh im Krankheitsverlauf muss man die Proteinablagerungen entfernen, um zu positiven Ergebnissen zu kommen? Und dann gibt es noch ein anderes, großes Problem: Wenn man früh mit der Therapie anfangen will, also noch bevor allzu viele Nervenzellen absterben, braucht man eine bezahlbare, zuverlässige Frühdiagnose - doch die fehlt noch.

Biogens Ergebnisse geben nun den Wissenschaftlern recht, die an den Ansatz glauben, Alzheimer durch den Kampf gegen Amyloid-Beta zu besiegen - und damit nahezu der gesamten Pharmaindustrie. Unter anderem der Schweizer Konzern Roche mit seinem deutschen Partner Morphosys forschen und investieren weiter. Gerade haben sie Patienten für eine neue Studie aufgenommen mit einem Präparat, das 2014 eigentlich als gescheitert galt. Auch Biogen hatte mit BAN 2401 erst für schlechte Nachrichten gesorgt. Mitte Dezember hatte die Firma mitgeteilt, dass nach einer ersten Auswertung die Studie ihr Zwölfmonatsziel verfehlt habe, BAN 2401 schnitt nicht besser ab als das Placebo in der Kontrollgruppe. Biogen testete allerdings weiter, an insgesamt 856 Patienten mit Alzheimer im Frühstadium. Nach 18 Monaten kam nun die Erfolgsmeldung. Geduld ist unerlässlich in der Alzheimer-Forschung - auch 112 Jahre nach der Entdeckung der Krankheit durch den deutschen Arzt Alois Alzheimer.

© SZ vom 12.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: