Pfändung:Haben oder nicht haben

Zum 1. Juli steigen die Pfändungsfreigrenzen, Schuldnern bleibt künftig mehr Geld zur eigenen Verfügung. Was die Änderung für Betroffene bedeutet und was noch vor dem Monatswechsel erledigt werden muss - ein Überblick.

Von Berrit Gräber

Die Diagnose ist so simpel wie verheerend: Reicht das Einkommen einfach nicht mehr aus, um Miete, Raten, Rechnungen, Essen, Trinken und die nötigsten Ausgaben im Alltag zu bestreiten, ist man zahlungsunfähig. Überschuldet. Pleite. In dieser Sackgasse stecken aktuell mehr als 3,5 Millionen Haushalte in Deutschland, das sind etwa 4,5 bis 5 Millionen Menschen. "Betroffen sind viel mehr als man denkt, das geht quer durch die Einkommensklassen", sagt Martin Langenbahn, Schuldnerberater und Jurist der Caritas in Karlsruhe.

Schulden haben fast alle Bürger einmal. Trifft sie jedoch Arbeitslosigkeit oder Scheidung, Krankheit oder eine gescheiterte Selbständigkeit, bricht auch die solideste Finanzierung schnell zusammen. Damit Gläubiger an ihr Geld kommen, wird Schuldnern oft jahrelang das Einkommen und meist auch noch das Konto gepfändet.

Vom 1. Juli an bleibt den Betroffenen jetzt ein wenig mehr Geld zum Leben. Künftig gelten höhere Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen, die an die Entwicklung des steuerlichen Grundfreibetrags angepasst wurden. Die gesetzlichen Limits werden damit um gut 2,7 Prozent erhöht. Vom kommenden Monat an beträgt der monatlich unpfändbare Grundbetrag 1073,88 Euro (bisher: 1045,04 Euro). "Betroffene haben nun häufig 30 Euro mehr Spielraum im Monat, je nach Einkommen, das bringt finanziell wieder etwas mehr Luft", betont Langenbahn.

Doch nicht jeder Schuldner erhält das Plus automatisch. Viele müssen selbst aktiv werden und sich beim Arbeitgeber oder bei Gericht darum kümmern, dass die erhöhten Freigrenzen berücksichtigt werden. Sonst geht ihnen auf Dauer Geld verloren. Die letzte Anhebung der Pfändungslimits war vor zwei Jahren.

Auch der 52-jährige Armin Müller aus dem Landkreis Erding muss nachhaken. Seine Spielsucht hatte ihn in den Finanzkollaps getrieben. Zu den Kreditschulden für die Eigentumswohnung und das Auto kamen immer neue Schulden - bis dem Gutverdiener das Wasser plötzlich bis zum Hals stand. Seit Sommer 2013 werden von seinem Nettogehalt von 3000 Euro monatlich 337,03 Euro gepfändet. Von Juli an sind es nur noch 321,49 Euro, die ihm nach der neuen Pfändungstabelle abgezogen werden. "Auch wenn das auf den ersten Blick nicht viel erscheint, zählt doch jeder Euro, wenn einmal eine Pfändung läuft", weiß Pamela Wellmann, Entschuldungsexpertin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Je mehr unterhaltspflichtige Angehörige der Schuldner hat, im Falle von Herrn Müller sind es zwei Kinder und eine Ehefrau, desto mehr Einkommen bleibt verschont.

Gepfändete werden grundsätzlich nicht über die neuen Freibeträge informiert. Bei Lohn- und Gehaltspfändungen über den Arbeitgeber greifen die Änderungen des Gesetzgebers automatisch. Firmen sind verpflichtet, die erhöhten Schutzbeträge zu beachten, auch bei schon länger laufenden Pfändungen. In Großunternehmen klappt das auch, wie Langenbahn berichtet. Dort seien die Personalabteilungen auf dem Laufenden, gepfändete Beschäftigte müssten nicht extra vorstellig werden, damit ihnen auch tatsächlich mehr vom Verdienst bleibt. Ganz anders kann das in kleinen Betrieben aussehen. Wer wie Armin Müller in einem Familienbetrieb beschäftigt ist, sollte besser mal nachfragen, ob die neue Pfändungstabelle tatsächlich pünktlich umgesetzt werde. "Auch wenn es unangenehm ist", rät Wellmann.

Führt der Chef von Juli an noch versehentlich die alten Summen an die Gläubiger ab, sollten Betroffene sofort einhaken. "Hat der Gläubiger das Geld erst mal in der Tasche, ist es schwer zurückzuholen", warnt Verbraucherschützerin Wellmann. Dann heißt es, sich mit dem Arbeitgeber auseinanderzusetzen und zu viel Gezahltes zurückzufordern. Darauf haben gepfändete Mitarbeiter einen Anspruch. Schwieriger wird es bei Kontopfändungen, die häufig parallel mit der Lohnpfändung laufen. Das blieb Herrn Müller wenigstens erspart. "Hier müssen Betroffene unbedingt selbst aktiv werden, und zwar recht schnell", betont Wellmann. Banken sind im Gegensatz zu Arbeitgebern nicht verpflichtet, den höheren Schutzbetrag automatisch anzupassen. Das gilt für Pfändungen, bei denen die unpfändbare Summe vom Gericht oder durch einen vollstreckenden öffentlichen Gläubiger wie beispielsweise Zoll, Krankenkasse oder Abwasserverband individuell bestimmt wurde.

Gibt es einen gerichtlichen Entscheid über die Pfändungssumme, muss der Schuldner in jedem Fall selbst dafür sorgen, dass ihm künftig mehr Geld bleibt, wie Langenbahn betont. Sonst wird ihm weiterhin der alte, höhere Betrag abgezogen. "Betroffene sollten den alten Beschluss möglichst rasch vom zuständigen Vollstreckungsgericht anpassen lassen", rät Wellmann. Die Überprüfung müsse zwar extra beantragt werden, sei aber kostenfrei.

Hat ein öffentlicher Gläubiger den Freibetrag per Bescheid bestimmt, muss auch bei diesem eine Änderung beantragt und dann der Bank vorgelegt werden. Tempo ist angesagt, denn die alten Beschlüsse und Bescheide gelten so lange, bis dem Kreditinstitut eine neue Entscheidung zugeht. "Weil das alles nicht unkompliziert ist, setzen die Gläubiger genau darauf, dass der Schuldner es schlicht sein lässt", berichtet Experte Langenbahn von seinen Erfahrungen.

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