Peter Ramsauer im Gespräch:"Interessant wie Beethoven-Sonate"

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Kann sich keinen schöneren Job vorstellen: Verkehrsminister Ramsauer über Stuttgart 21, seine Warnungen vor einem übereilten Bahn-Börsengang - und den Begriff "Saftladen".

Daniela Kuhr

Etwas mehr als ein Jahr ist Peter Ramsauer, 56, jetzt Bundesverkehrsminister - und damit so etwas Ähnliches wie der Eigentümer der Deutschen Bahn. Er schimpft, wenn im Sommer in den Zügen die Klimaanlagen ausfallen. Er strahlt, wenn er neben Bahn-Chef Rüdiger Grube den ersten ICE in London präsentieren darf. Und er lässt sich Zeit, wenn es um den Börsengang des Staatskonzerns geht. "Ich glaube nicht, dass Privatisierungen das Allheilmittel sind, für das viele sie halten", sagt der CSU-Politiker im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) warnt vor einem übereilten Börsengang der Deutschen Bahn. (Foto: dapd)

Es ist leicht, von Peter Ramsauer den Eindruck eines polternden Bayern zu bekommen. Mit seiner tiefen Stimme und dem markanten Tonfall klingt er selbst dann aufgebracht, wenn er es gar nicht will. Erwähnt er zudem noch seine Ausbildung zum Müllermeister, ist das Bild vom volksnahen, zupackenden CSU-Politiker perfekt. Doch er hat auch eine andere Seite. Was Ramsauer deutlich seltener erwähnt, ist sein Betriebswirtschaftsstudium, den Doktortitel und sein Schuljahr am renommierten Eton College in England. Unter anderem aus Verärgerung über einen CSU-kritischen Sozialkundelehrer gründete er als 15-Jähriger in seiner Schule die "Basisgruppe Schwarzer Peter". 1973 trat Ramsauer in die CSU ein, 1990 kam er in den Bundestag und übernahm 2005 von Michael Glos das Amt des CSU-Landesgruppenvorsitzenden.

SZ: Herr Ramsauer, wie oft haben Sie im vergangenen Jahr gedacht: "Was ist die Bahn eigentlich für ein Saftladen"?

Peter Ramsauer: Nie, kein einziges Mal.

SZ: Auch nicht, als einem ICE bei voller Fahrt eine Tür rausflog?

Ramsauer: So etwas darf natürlich nicht passieren. Es würde mir nicht im Traum einfallen, die Bahn deshalb als Saftladen zu bezeichnen. Im Gegenteil, sie ist ein großartiges Unternehmen, das jeden Tag 7,3 Millionen Menschen transportiert - in den allermeisten Fällen reibungslos.

SZ: Es gab Probleme mit Achsen, mit Schnee, mit Hitze, eigentlich ist alles passiert, was nur passieren kann - bis auf einen Terroranschlag.

Ramsauer: Gott sei Dank, an so etwas will ich ja gar nicht denken.

SZ: Aber die jüngsten Vorfälle im Luftfrachtverkehr zwingen Sie doch dazu. Nichts wäre leichter, als eine Bombe an Bord eines Zuges zu schmuggeln.

Ramsauer: Wir tun alles dafür, damit das nicht passiert. Da befinde ich mich auch in enger Abstimmung mit dem Bundesinnenminister. Aber Sicherheitskontrollen wie im Flugzeug kann es bei der Bahn nicht geben. Das würde den Bahnverkehr zum Erliegen bringen, und das kann niemand wollen. Unser Ziel muss es sein, für größtmögliche Sicherheit zu sorgen, ohne die Mobilität über Gebühr einzuschränken.

SZ: Ist es nicht ohnehin eine Illusion zu glauben, die Politik müsse nur die richtigen Maßnahmen ergreifen, und dann sei man sicher?

Ramsauer: Tatsache ist: Wer am öffentlichen Verkehr teilnimmt, egal ob er sich ins Flugzeug setzt, in die Bahn oder ins Auto, geht immer ein gewisses Risiko ein. Und dabei rede ich nicht nur von Terroranschlägen, sondern auch von der Gefahr eines Unfalls. Wenn Mobilität möglich bleiben soll, kann es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben. Und schon gar nicht auf politischen Knopfdruck. Ziel muss sein, einen verantwortbaren Mittelweg zu finden.

SZ: Und wie oft haben Sie in Ihrem ersten Amtsjahr gedacht "Bin ich froh, dass ich nicht Bahn-Chef Grube bin"?

Ramsauer: Wieso sollte ich das gedacht haben?

SZ: Weil immer er es ist, der den Kopf hinhalten muss. Beispiel Stuttgart 21, da ducken Sie sich ganz schön weg.

Ramsauer: Das stimmt nicht. Ich habe immer deutlich gesagt, dass ich voll und ganz hinter dem Projekt stehe. Mir ist nicht klar, wieso die Gegner nicht auch erkennen, welche Chancen für sie und ihre Stadt damit verbunden sind. Wo jetzt rostige Schienen die Innenstadt durchqueren, könnte bald eine neue Fläche in der Größe von 150 Fußballfeldern sein. Dort können Wohn- und Grünanlagen entstehen. Andere Städte würden sich darum reißen. Zumal es in Stuttgart deutlich leiser wird als jetzt, wo die Züge überirdisch fahren.

SZ: Aber es stimmt ja, dass der Bau sehr viel Geld kostet. Sie haben in den vergangenen Monaten sämtliche Projekte des Bundesverkehrswegeplans überprüfen und neu bewerten lassen. Sind da nicht sehr viel dringlichere dabei?

Ramsauer: Das Problem liegt woanders. Beinahe jedes Verkehrsprojekt ist im Lauf der Jahre mit Kostensteigerungen verbunden. Die Vielzahl der teurer werdenden Projekte führt gewissermaßen zu einer gegenseitigen Kannibalisierung. Wenn ich jetzt das Geld aus der Strecke Wendlingen - Ulm woanders einsetze, dann würde es dort im Zeitverlauf ähnliche Einwände geben.

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SZ: Aber was hat die Überprüfung des Verkehrswegeplans nun erbracht? Viele erwarten ja, dass einige Projekte hintangestellt werden, weil sie viel zu teuer sind und sich nicht lohnen.

Ramsauer: Wir haben uns intensiv mit allen Projekten auseinandergesetzt. Details gibt es noch in dieser Woche.

SZ: Sie können zwar gelegentlich ganz gut poltern, gelten aber trotzdem als durchaus feinsinniger Mensch, der auch leidenschaftlich Klavier spielt. Sind Sie überhaupt geeignet für den Job des Verkehrsministers?

Ramsauer: Ich könnte mir keinen schöneren Beruf vorstellen. Und was das Poltern anbelangt: Da dachte ich eigentlich, das hätte ich im vergangenen Jahr gewaltig zurückgefahren.

SZ: Aber im Ernst, wie viel Spaß macht es Ihnen, sich mit dem Bundesverkehrswegeplan zu befassen?

Ramsauer: Genauso viel, wie den Aufbau einer Beethoven-Sonate zu studieren. Und das meine ich nicht ironisch. Beides birgt so viele Geheimnisse und Interpretationsmöglichkeiten, dass es spannend ist, sich damit zu befassen.

SZ: Weniger spannend finden Sie offenbar, sich mit dem Einfluss der Bahn auf das Schienennetz zu befassen. Die Konkurrenten der Bahn und Ihr Koalitionspartner FDP fordern, diesen Einfluss zu begrenzen. Man hat nicht den Eindruck, dass Sie das ernsthaft angehen.

Ramsauer: Ich glaube, dass das damit verfolgte Ziel auch anders zu erreichen ist. Was bezwecken die Konkurrenten denn mit ihrer Forderung? Sie haben die Sorge, dass die Bahn bei ihnen für die Benutzung der Infrastruktur abkassiert und die Gewinne aus dem Netz dann nutzt, um beispielsweise einen Zukauf wie den des Transportunternehmens Arriva zu finanzieren. Diese Sorge kann ich nachvollziehen. Aber das lässt sich auch verhindern, indem die Bahn sich verpflichtet, ihre Gewinne verstärkt ins Netz zu investieren. Dann halte ich weitere Zwangsmaßnahmen für überflüssig.

SZ: Was soll das heißen? Im Koalitionsvertrag steht, dass eine stärkere Trennung von Netz und Betrieb geprüft wird. Hat sich das damit erledigt?

Ramsauer: Nein, die Prüfung ist im Gang. Aber ich habe mit Bahn-Chef Grube vereinbart, dass die Bahn künftig deutlich mehr von ihrem Gewinn ins Netz investieren wird. Wir brauchen ein qualitativ hochwertiges Schienennetz. Andernfalls hat niemand Verständnis für irgendwelche Zukäufe der Bahn im Ausland.

SZ: Also, da kommen Sie der Bahn aber sehr weit entgegen. Ist das förderlich für den Wettbewerb? Ihren Koalitionspartner FDP wird es jedenfalls nicht erfreuen.

Ramsauer: Man muss aufpassen, dass man hier nicht eine ideologisch motivierte Diskussion führt. Wenn die Selbstverpflichtung funktioniert, sehe ich keinen Grund, die Trennung von Netz und Betrieb weiter zu forcieren. Übrigens: Auf deutschen Gleisen hat die Bahn mittlerweile rund 320 Konkurrenten. Deutschland ist beim Wettbewerb fortschrittlicher als viele andere EU-Länder.

SZ: Und wer soll Ihre Absprache mit Herrn Grube kontrollieren?

Ramsauer: Unter anderem der Aufsichtsrat. Aber Herr Grube wird das auch aus eigenem Interesse machen, denn nur so kann er verhindern, dass wir doch noch zwangsweise eingreifen, um den Einfluss auf das Netz zu begrenzen. Zudem haben wir strengere Zielvorgaben vereinbart für die 2,5 Milliarden Euro, die der Bund der Bahn jährlich für die Modernisierung der Infrastruktur zuschießt.

SZ: Wie sehen die aus?

Ramsauer: Bislang musste die Bahn das Geld ins bestehende Netz so investieren, dass sie die mängelbedingten Fahrzeitverzögerungen im Laufe eines Jahres um acht Minuten Fahrtzeit verringert. Diese Qualitätsvorgabe wurde durch Nachverhandlungen deutlich erhöht. Jetzt ist sie verpflichtet, bis 2013 die Verzögerungen um insgesamt 200 Minuten zu reduzieren. Außerdem muss die Bahn künftig weitere Qualitätskennzahlen für Bahnhöfe einhalten. Bahnsteige und deren Zugänge müssen technisch und optisch in gutem Zustand und barrierefrei sein.

SZ: Die Qualität der Infrastruktur ist das eine, die Qualität der Züge das andere. Da hat es einige Probleme gegeben.

Ramsauer: Bahn und Hersteller haben die Probleme weitgehend gelöst. Es dauert jetzt nur leider noch einige Zeit, bis die neuen Achsen eingebaut sind. Im kommenden Jahr möchte ich zudem ins Allgemeine Eisenbahngesetz eine Regelung aufnehmen, die klarstellt, welche Pflichten die Hersteller von Zügen genau haben. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das soll mit der Bahnindustrie, nicht gegen sie erfolgen.

SZ: Apropos Bahnindustrie. Ihr französischer Amtskollege Dominique Bussereau setzt sich massiv dafür ein, dass weiterhin nur Züge von Alstom durch den Eurotunnel fahren dürfen, und keine ICEs von Siemens. Wie finden Sie das?

Ramsauer: Dahinter steht die Überlegung der Franzosen, eine Art Airbus auf Schienen zu formen. So, wie sich beim Airbus verschiedene europäische Flugzeughersteller zusammengeschlossen haben, so wollen die Franzosen jetzt auch einen Zusammenschluss in der europäischen Bahnindustrie. Aber für ein solches Vorhaben ist die Zeit nicht reif. Ein Unternehmen wie Siemens zum Beispiel hat das nicht nötig. Ich schätze Bussereau sehr und bin daher überzeugt, dass er das einsehen wird.

SZ: Gab es in dem ersten Jahr Ihrer Amtszeit mal einen Moment, wo Sie sagten: Super, jetzt kann ich bei der Bahn wirklich etwas bewegen?

Ramsauer: Offen gesagt, glaube ich, dass ich einiges bewegt habe.

SZ: Was denn zum Beispiel?

Ramsauer: Zum einen arbeiten Ministerium und die Führungsspitze des Konzerns inzwischen sehr vertrauensvoll und eng miteinander zusammen. Das war früher offensichtlich anders. Ein Punkt aber, der mir besonders wichtig war, ist der personelle Neuanfang. Nachdem bereits fast der gesamte Vorstand ausgewechselt worden war, habe ich mich dafür starkgemacht, dass auch im Aufsichtsrat neue Leute sitzen.

SZ: Stimmt, Sie haben einen alten Bekannten von sich, den früheren Degussa-Chef Utz-Hellmuth Felcht, zum Aufsichtsratsvorsitzenden gemacht.

Ramsauer: Wie klingt denn das? Ich habe Herrn Felcht zum ersten Mal getroffen, als er Chef der SKW Trostberg AG in meinem Wahlkreis war und das Unternehmen in sehr schwierigen wirtschaftlichen Zeiten führen musste. Seither kenne ich ihn natürlich. Aber was erwarten Sie denn? Soll ich auf den Posten etwa jemanden setzen, den ich nicht kenne?

SZ: Na ja, Herr Felcht ist ehemaliger Chemiemanager. Alles, was ihn bis dahin mit der Bahn verband, war seine Modelleisenbahn daheim.

Ramsauer: Es ist doch kein Nachteil, wenn bei der Bahn jemand sitzt, der keinerlei verkehrspolitische Betriebsblindheit mitbringt. Ich habe Herrn Felcht stets als zuverlässigen, exzellenten Wirtschaftskenner und Kapitalmarktexperten erlebt.

SZ: Eigentlich haben Sie es ja richtig gut, dass Sie gerade jetzt Verkehrsminister sind. Der Börsengang, mit dem Sie sich schnell unbeliebt machen würden, ist von der Bildfläche verschwunden. Ist er überhaupt noch ein Thema für Sie?

Ramsauer: Auf jeden Fall. Er steht ja im Koalitionsvertrag. Die Frage ist nur, zu welchem Zeitpunkt. Dazu wird in dieser Legislaturperiode die Zeit wahrscheinlich nicht reif werden.

SZ: Die Bahn fährt aber einen sehr internationalen Kurs, will nach London und Marseille, betreibt Regionalverkehr im Ausland, vom Güterverkehr ganz zu schweigen. Das ist nur zu rechtfertigen, wenn sie bald in private Hände kommt.

Ramsauer: Voraussetzung für eine Teilprivatisierung ist, dass ein angemessener Preis erzielt werden kann. Das ist momentan nicht der Fall. Erstens wegen des Marktumfelds und zweitens, weil die Bahn hierzulande noch jede Menge Probleme hat, die sie erst in den Griff bekommen muss. Auch hier bin ich mit Bahn-Chef Grube übrigens einer Meinung.

SZ: Man hat nicht den Eindruck, dass Sie ein Anhänger der Privatisierung sind.

Ramsauer: Ich glaube nicht, dass Privatisierungen das Allheilmittel sind, für das viele sie halten. Sie stoßen dort an ihre Grenzen, wo kaufmännische Ziele mit öffentlichen Erwartungen in Konflikt geraten. Das ist in der Vergangenheit auch bei der Bahn passiert. Dieser Fehler darf sich bei einem zweiten Anlauf an die Börse nicht wiederholen. Das ist die Lehre, die wir aus den vergangenen Jahren ziehen müssen.

Steckbrief: Es ist leicht, von Peter Ramsauer den Eindruck eines polternden Bayern zu bekommen. Mit seiner tiefen Stimme und dem markanten Tonfall klingt er selbst dann aufgebracht, wenn er es gar nicht will. Erwähnt er zudem noch seine Ausbildung zum Müllermeister, ist das Bild vom volksnahen, zupackenden CSU-Politiker perfekt. Doch er hat auch eine andere Seite. Was Ramsauer deutlich seltener erwähnt, ist sein Betriebswirtschaftsstudium, den Doktortitel und sein Schuljahr am renommierten Eton College in England.

Geboren wurde er am 10. Februar 1954 in München. Unter anderem aus Verärgerung über einen CSU-kritischen Sozialkundelehrer gründete er als 15-Jähriger in seiner Schule die "Basisgruppe Schwarzer Peter". 1973 trat Ramsauer in die CSU ein, kam 1990 in den Bundestag und übernahm 2005 von Michael Glos das Amt des CSU-Landesgruppenvorsitzenden.

Mit seinen abweichenden politischen Meinungen beispielsweise beim Gesundheitsfonds oder in der Steuerpolitik stellte er in der großen Koalition das Verhältnis zur SPD immer wieder auf die Probe. Diplomatie sei nicht gerade seine Stärke, sagt Ramsauer selbst über sich. Die Tagesschau charakterisierte ihn einmal als "Feingeist und Haudegen in einer Person". Nach der Bundestagswahl 2009 wurde Ramsauer Bundesverkehrsminister.

© SZ vom 08.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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