Personalentwicklung bei der Allianz:Manager - ab in die Schule

Von wegen Meeting und Powerpoint-Präsentation: Die Allianz schickt Nachwuchsmanager zwei Tage in soziale Brennpunkte - das soll ihre Kompetenz im Umgang mit Menschen verbessern. Und das Konzernimage.

Kristina Läsker

Federico weiß nicht so genau, was die Allianz eigentlich ist. "Keine Ahnung", murmelt der 11-Jährige verlegen. Dann grinst der kleine dicke Schüler so breit, dass seine Zahnspange blitzt: "In der Werbung haben sie gesagt, das sind die, die immer helfen."

Allianz-Verwaltung

Wer bei der Allianz aus- und eingeht, kann damit rechnen, in soziale Brennpunkte geschickt zu werden.

(Foto: Foto: dpa)

Womit Federico an diesem Donnerstag Recht hat. In seiner Schule im Münchner Stadtteil Haidhausen sind heute sieben Nachwuchsmanager des Finanzkonzerns zu Besuch. Statt in Meetings zu wetzen oder Powerpoint-Bilder für den Vorstand vorzubereiten, engagieren sie sich zwei Tage lang an der Förderschule in der Kirchenstraße als ehrenamtliche Helfer.

Gemeinsam mit einigen Schülern sollen sie eine Rückzugsecke bauen: Ein Berg aus Fichtenholz liegt auf dem Boden, er soll zu einer "Wohlfühlinsel" verbaut werden, die den Schülern ein wenig Gemütlichkeit in den kargen Betreuungsraum bringt.

Die Rückzugsecke zimmern die sieben Manager während ihrer Arbeitszeit, das ist Teil der Personalentwicklung. Die Allianz will den Führungskräften in spe damit "soziale und kommunikative Kompetenz" vermitteln - und ihr Image als fürsorgliches Unternehmen aufpolieren: Als erster der 30 Konzerne im Deutschen Aktienindex (Dax) schickt der Versicherer alle angehenden Führungskräfte in Deutschland zu einem zweitägigen Einsatz in soziale Brennpunkte.

Die Allianz folgt einem Trend aus den Vereinigten Staaten: Was in amerikanischen Firmen wie Microsoft oder dem Chipbauer AMD selbstverständlich ist, hält langsam in deutschen Firmen wie Siemens oder Henkel Einzug. Ob Hausaufgabenhilfe für Ausländerkinder, Arbeit bei der Aids-Seelsorge oder das Aufräumen der Dresdner Elbauen: Beschäftigte werden zu ehrenamtlichen Arbeiten verpflichtet.

"Corporate Volunteering" heißt die Freiwilligenhilfe nach angelsächsischem Vorbild. 60 Prozent der deutschen Firmen geben an, dass sie ihre Mitarbeiter bereits bei gesellschaftlichem Engagement unterstützen. Das ergab die jüngste Studie vom Centrum für Corporate Citizenship Deutschland. Die meisten beschränken die Förderung aber auf private Aktivitäten, wenn etwa ein Mitarbeiter frei bekommt für den Einsatz bei der freiwilligen Feuerwehr.

Manager - ab in die Schule

Eine elektrische Säge kreischt, Staub rieselt durch die Luft, Schüler wuseln um die Holzbalken am Boden, und Federico hat sich einen von drei Akkuschraubern gesichert. Stolz hält er ihn gen Decke, ganz so, als wäre er der Terminator persönlich und würde ein Maschinengewehr tragen. Begeistert versenkt er eine Schraube in einen Balken.

"Du musst den Akkuschrauber ganz gerade ansetzen", mahnt Bianca Brendel. Die 29-Jährige nimmt einen Metallwinkel und macht es vor: "Schau mal, so." Brendel trägt Jeans, Turnschuhe und Schlabber-Pulli statt Hosenanzug. Seit zwei Monaten arbeitet Brendel als Vorstandsassistentin von Allianz-Finanzchef Helmut Perlet. Nach dem Studium der Wirtschaftsmathemathik war sie zunächst bei einer Wirtschaftsprüfung, dann wechselte sie ins Rechnungswesen der Allianz und von da aus ins Vorstandsbüro.

Schlägereien gehören dazu

Wie die anderen Allianzler gehört sie zu den etwa 200 Beschäftigten, die der Konzern in diesem Jahr mit mehrtägigen Trainings auf die Führung von Mitarbeitern vorbereitet. "Ich komme hier mit einer anderen Welt in Kontakt", sagt Bianca Brendel. "Ich habe zwar ab und an mit Kindern zu tun, aber nicht aus diesem sozialen Milieu." Nicht viele Top-Manager dürften regelmäßig Zeit mit Lernbehinderten verbringen. "Nicht nur wir, auch die Kinder lassen sich auf uns ein - das berührt mich schon", sagt Brendel.

Das friedliches Miteinander zwischen Schülern und Managern ist nicht selbstverständlich. "Unsere Schule ist ein sozialer Brennpunkt", erzählt Schulleiter Reinhard Reithmeier, der vorbeischaut, als die ersten Seitenwände der Rückzugsecke stehen. "Schlägereien und kleinere Diebstähle gehören zum Alltag", sagt er.

Etwa 150 lernbehinderte Kinder von der 5. bis zu 9. Klasse besuchen die Förderschule - der weiße hohe Bau liegt nur ein paar Kilometer vom Hauptsitz der Allianz entfernt. Nachmittags betreut die Jugendsozialhilfe bis zu 20 Schüler in einem schäbigen Betreungsraum. Hier blättert die Farbe von der Wand, bisher fehlte jegliche Gmütlichkeit.

Viele Kinder können schlecht deutsch, weil zuhause eine andere Sprache gesprochen wird. 80 Prozent haben einen Migrationshintergrund. "Wir haben Kinder aus mehr als 25 Ländern", sagt Reithmeier. Der 62-Jährige findet den Seitenwechsel der Manager gut: "Ich lass hier alle rein, die helfen." Es klingelt zur Pause, die Tür geht auf, und die Kinder stürmen herein: "Ich will auch, ich will auch, bitte." Federico hält den Bohrer fest. "Musst du früher kommen."

Manager - ab in die Schule

Beim Vortreffen hatte eine Vertreterin der Jugendsozialarbeit von der neuen Armut erzählt, die sich im Stadtteil Haidhausen zwischen aufwändig sanierten Häusern versteckt, und die die Akademiker meist nur aus den Medien kennen. Immer mehr Schulen in Haidhausen böten morgens ein Frühstück an, weil die Schüler zuhause nicht mehr genug zu essen bekämen, hatte die Sozialarbeiterin berichtet.

Das ging Markus Dilling länger nicht aus dem Kopf: "Das hat mich schon schockiert." Wie Bianca Brendel arbeitet der 33-Jährige als Vorstandsassistent, doch an diesem Tag tackert er mit dem 13-jährigen Kroaten Andrija graue Teppichquadrate auf Spanplatten. Darauf sollen die Schüler in der Rückzugsecke einmal toben und sitzen. Dilling freut sich, dass er den Schülern helfen kann. " Ich habe tiefere Einblicke bekommen". Er sei sich seiner eigenen "privilegierten Situation" bewusst geworden, sagt der Kaufmann.

Das Kennenlernen bleibt allerdings oberflächlich: "Unser Einsatz dürfte ruhig länger sein, dann käme man auch mit den Schülern besser ins Gespräch", sagt Brendel. Zwei Tage seien ein kurzer Zeitraum, sagt auch Uwe Schell, Berater für Führungskräfte-Entwicklung bei der Allianz. "Man muss sehen, was bei dem vielbeschäftigten Managernachwuchs machbar ist."

Die Allianz hilft da, wo die Stadt München der Schule bisher nicht geholfen hat. Im Dezember 2006 hatte die Jugendsozialarbeit beim Schulreferat neue Farbe für die abblätternden Wände im Betreungsraum beantragt - und einen Ersatz für den schäbigen Linolium-Boden. Geschehen ist seither nichts.

Den Bau der Wohlfühlinsel hätte die Stadt nie finanziert, beklagt Betreuerin Kirsten Brunner-Döring. 5000 Euro hat das Projekt gekostet. Das Geld ist eine Spende von der Förderorganisation Aktion Mensch, und die Allianz-Manager haben umsonst gearbeitet: "Ohne den Einsatz von Ehrenamtlichen hätten wir das nicht geschafft", sagt Brunner-Döring.

Als die Rückzugsecke nach zwei Tagen steht und zum Spielen einlädt, sind Manager und Kinder zufrieden: "Voll cool", sagt Frederico und strahlt die Helfer an. "Kommt ihr Montag wieder?"

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