Peer Steinbrück im Interview:"Jeden Tag brennt es an einer anderen Ecke"

Die deutsche Wirtschaft pilgert in der Krise zu Peer Steinbrück. Der Finanzminister will helfen, doch fürchtet falsche Anreize.

G.Bohsem, S. Höll, C. Hulverscheidt

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ist in der Wirtschaftskrise gefragter denn je. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht er über seine neuen Nöte.

Finanzminister Peer Steinbrück SPD dpa

Seit November 2005 Bundesminister der Finanzen: Peer Steinbrück

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Minister, wie viele Unternehmen will die SPD vor der Bundestagswahl eigentlich noch retten?

Peer Steinbrück: Die Frage unterstellt, dass es Spaß macht, Firmen zu retten.

SZ: Es passt ins Wahlkampfkonzept.

Steinbrück: Nicht die Bohne! Wir reden über die Frage, wie wir Industriekapazitäten erhalten und welche Erschütterungen eine Pleite über die betroffene Firma hinaus auslösen könnte.

SZ: Und welcher Regie folgen Sie?

Steinbrück: Es gibt kein Drehbuch. Das sind Fall-zu-Fall-Entscheidungen. Das kann gegebenenfalls zu Ungerechtigkeiten führen, ja. Aber politische Passivität würden Sie auch hinterfragen.

SZ: Aber die Regierung hat doch Kriterien aufgestellt. Ist das Unternehmen systemrelevant? Ist es nach dem 1. Juli 2008 in Schwierigkeiten geraten oder vorher, um zwei zu nennen. Der Karstadt-Mutterkonzern Arcandor erfüllt keins, und trotzdem sagt die SPD, wir helfen denen.

Steinbrück: Der Begriff systemrelevant gilt nur für den Bankensektor, weil es sich hierbei um das Arteriensystem handelt, das die Volkswirtschaft mit Kapital versorgt. Hinzu kommt, dass bei den Banken ein Dominoeffekt ausgelöst werden kann, der so in der Realwirtschaft nicht vorkommt.

SZ: Arcandor ist aber keine Bank.

Steinbrück: Richtig, aber das Unternehmen bestreitet, vor Juli 2008 in Schwierigkeiten gewesen zu sein. Natürlich müssen wir das prüfen. Das geschieht. Ich habe mich bislang nicht festgelegt. Mich hat gestört, dass andere Politiker öffentliche Markierungen gesetzt haben, bevor das Für und Wider in den Gremien abgewogen werden konnte.

SZ: SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zum Beispiel.

Steinbrück: Nein, er hat sich zu Arcandor ähnlich geäußert wie ich.

SZ: Er hat gesagt, es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Männer-Arbeitsplätze bei Opel wichtiger seien als Frauen-Arbeitsplätze bei Arcandor.

Steinbrück: Er hat das gesagt, weil Unionsfraktionschef Volker Kauder oder auch sein Kollege Laurenz Meyer Garantien für den Konzern ausgeschlossen haben, ohne den in der Koalition vereinbarten Prüfungsweg zu beachten.

SZ: Es kann doch nicht im Ernst Kriterium der Regierung sein, dass genauso viele Frauen-Arbeitsplätze gerettet werden müssen wie Männer-Arbeitsplätze.

Steinbrück: Das ist auch nicht das Kriterium, sondern der Hinweis, dass es sich hierbei um 50 000 Arbeitsplätze handelt. Eine Arcandor-Pleite hätte vermutlich größere Auswirkungen als eine Opel-Pleite. Das ist doch eine politische Abwägung wert, oder nicht?

SZ: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die SPD zu große Hoffnungen bei den Beschäftigten weckt?

Steinbrück: Die Politik läuft ständig Gefahr, vollmundiger aufzutreten als sie tatsächlich handeln kann. Wir haben es aber mit der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit zu tun. Da können sie von der SPD nicht verlangen, über diese Fälle in ordnungspolitischer Prinzipientreue einfach hinwegzugehen. Die reale Welt ist nicht digital - eins oder null.

SZ: Es ist ein Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, dass Missmanagement bestraft wird. Das hebeln Sie aus.

Steinbrück: Wir haben keinen Scheinwerfer, der uns den Weg ausleuchtet. Wir fahren auf Sicht. Im Übrigen muss man gelegentlich auch mal sagen, was es bedeutet, ein Unternehmen mit 30000 Beschäftigten Pleite gehen zu lassen. Wie viel Steuereinnahmen verliert der Staat, wie viele Sozialbeiträge? Was zahlt er für die Arbeitslosigkeit? Im Fall von Opel kämen da allein im ersten Jahr zwei bis drei Milliarden Euro zusammen.

SZ: Einverstanden. Dennoch senden Sie das Signal an die Wirtschaft, das Missmanagement nicht schlimm ist, solange man genügend Arbeitsplätze stellt.

Steinbrück: Was ist die Alternative? Soll die Politik sich zurückhalten? Was glauben Sie, wie schnell die Menschen das Vertrauen verlören und wie schnell die öffentliche Meinung genau das fordern würde, was Sie jetzt kritisieren?

SZ: Das Koordinatensystem der Marktwirtschaft wird verschoben.

Steinbrück: Das kann ich für mich und für die SPD nicht bestätigen. Bei Arcandor allerdings haben Sie recht. Da geht es auch um fragwürdige Management-Entscheidungen in der Vergangenheit.

SZ: Also doch keine Staatshilfe?

Steinbrück: Noch einmal: Hier geht es um Krisenmanagement. Jeden Tag brennt es an einer anderen Ecke. Da habe ich keine Zeit, mir über die ordnungspolitischen Leitbilder der nächsten Jahre Gedanken zu machen. Aber in der Tat könnten die Rettungsaktionen Veränderungen hervorrufen. Es kann sein, dass eine allgemeine Konsumentenmentalität einzieht, auch ins Management. Der Staat, der zuvor verdammt wurde, könnte künftig als allseits bereiter Retter vergöttert und missbraucht werden.

"Das wird mein Kirchhof."

SZ: Diese Haltung könnte die ganze Bevölkerung erfassen. Und das, obwohl die nächste Regierung zu harten Einschnitten gezwungen sein dürfte.

Finanzminister Peer Steinbrück SPD dpa
(Foto: Foto: dpa)

Steinbrück: Dieses Szenario halte ich für nicht abwegig. Die kommenden Jahre werden durch erheblich schärfere Verteilungskonflikte geprägt sein. Ich gebe gerne zu, dass alle Parteien darauf noch nicht ausreichend vorbereitet sind.

SZ: Werden wir denn im Wahlkampf die Antworten auf die Frage hören, wie diese Verteilungskämpfe zu lösen sind?

Steinbrück: Na klar!!! (lacht) Um den Preis des politischen Selbstmordes. Aber im Ernst, die SPD vollführt da einen erheblich harmloseren Spagat als Union und FDP mit ihren aberwitzigen Steuersenkungs-Versprechen. Obwohl ich eigentlich hoffe, dass sie so weitermachen.

SZ: Warum?

Steinbrück: Das wird mein Kirchhof.

SZ: Sie spielen auf den Steuerprofessor Paul Kirchhof an, der der Union 2005 den Wahlkampf vermasselt hat.

Steinbrück: Ich spüre bei Veranstaltungen, dass die Menschen sehr viel realistischer sind, als Union und FDP annehmen, und einen Sinn für Proportionen haben. Sie wissen, dass knackige Entlastungsversprechen in Kombi mit Beteuerungen vom Sparen und Mehrausgaben für Bildung auf keinen Nenner gehen.

SZ: Wie wollen Sie eigentlich wieder von dem riesigen Schuldenberg runterkommen, den Sie gerade auftürmen.

Steinbrück: So wie in den ersten drei Jahren dieser Legislaturperiode.

SZ: So viel Glück mit der Konjunktur werden Sie nicht haben, und die Mehrwertsteuer können Sie kein zweites Mal anheben.

Steinbrück: Wir haben belegt, dass es möglich ist, in drei Jahren ein strukturelles Defizit von 55 Milliarden Euro auf rund zehn Milliarden Euro zu senken.

SZ: Diesmal wird es aber mehr sein.

Steinbrück: Das stimmt leider. Ich werde voraussichtlich einen Haushalt für 2010 vorlegen, der eine Neuverschuldung von über 90 Milliarden Euro ausweist. Erst 2013 können wir realistisch damit rechnen auf das erwähnte Niveau von 2005 zurückzukehren.

SZ: Ein unkalkulierbares Risiko ist der Banken-Rettungsschirm. Immerhin: Sie werden Eigentümer einer Bank ...

Steinbrück: ... Sie meinen die Hypo Real Estate.

SZ: Genau. Am Dienstag findet die Hauptversammlung statt, bei der Sie die Eigentümer mit einer Kapitalerhöhung aus dem Unternehmen drängen wollen.

Steinbrück: Das ist notwendig, um die staatlichen Garantien von beinahe 100 Milliarden Euro zu sichern.

SZ: Es ist aber eine Art Enteignung.

Steinbrück: Na und? In Deutschland muss sich anscheinend jeder die Zähne putzen, der die Worte Verstaatlichung oder Enteignung in den Mund nimmt. Andere Länder sind pragmatischer. Schauen Sie mal in die USA oder nach Großbritannien, was dort mit der Royal Bank of Scotland passiert ist, immerhin eine der größten Banken der Welt: enteignet, verstaatlicht! Dabei gilt London doch als Eldorado wirtschaftlicher Liberalität.

SZ: Es gibt eine Eigentumsgarantie im Grundgesetz.

Steinbrück: Das stimmt, aber der Witz ist doch, dass die HRE-Aktionäre längst enteignet wären, wenn wir den Konzern nicht gerettet hätten. Den gäbe es doch gar nicht mehr. Das heißt, sie hätten nicht die 1,39 Euro pro Aktie bekommen, die wir jetzt zahlen, sondern gar nichts.

SZ: Wie fühlt man sich denn nun als Bank-Besitzer?

Steinbrück: Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Erst recht, wenn man sieht, dass der politische Gegner eine notwendige Rettungsaktion allein dazu verwendet, einem etwas ans Zeug zu flicken.

SZ: Das entbindet Sie aber doch nicht von der Pflicht, den Abgeordneten notwendige Informationen zu liefern.

Steinbrück: Sie wissen doch genau, wie viele hundert Fragen wir längst schriftlich beantwortet haben. Selbst wenn es noch einmal so viele wären: Die Opposition würde aus purem Wahlkampf-Kalkül immer behaupten, das reiche nicht aus.

SZ: Würden Sie sagen, dass Sie beim Thema HRE alles richtig gemacht haben?

Steinbrück: Ich kann keinen schweren Fehler entdecken, und alle, die uns begleitet haben, auch nicht.

SZ: Manche sagen, dass Sie es waren, der die HRE erst richtig in Schieflage gebracht hat. Schließlich haben Sie öffentlich davon gesprochen, der Konzern müsse abgewickelt werden.

Steinbrück: Diesen Begriff habe nicht ich erfunden. Das war eine Formulierung der Bankenaufsicht. Mir daraus einen Strick zu drehen und zu sagen, das Finanzloch habe sich dadurch in drei Tagen um 20 Milliarden Euro erhöht, ist grotesk. Die Probleme der Hypo Real Estate hat nicht der Bundesfinanzminister verursacht, sondern ein unfähiges Management. Alles andere ist Politik-Ritual, das allerdings erhebliche Ressourcen bindet.

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