Patentwesen:Europas Erfinder in Babylon

Wie Nationalismus dafür sorgt, dass die Vereinigten Staaten die Europäische Union wirtschaftlich weiter abhängen.

von Alexander Hagelüken

(SZ vom 25.07.2003) — Silvio Berlusconi tut es, Romani Prodi tut es und Gerhard Schröder auch. So verschieden die drei Politiker sind, in diesem Punkt handeln sie alle gleich. Jeder wiederholt in seinen Reden zu Europa stets das Mantra, die Europäische Union müsse bald zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Erde werden. Bis zum Jahr 2010 sollen mal eben so die Vereinigten Staaten überflügelt werden, hatten Europas Regierungschefs Anfang des Jahrtausends beschlossen.

Selbstkritisch räumten die Staatenlenker damals ein, dass in der US-Ökonomie vieles besser läuft: Mehr Erfindungen, mehr Wirtschaftskraft, mehr Arbeitsplätze. Sie wollten Hürden beseitigen, damit Europa aufschließt: Weniger Regulierung, weniger Wettbewerbshemmnisse, weniger Innovationsbarrieren.

Teurer Übersetzungszwang

Das Potential hat die EU: Mit der Osterweiterung stoßen zehn Staaten mit ökonomischen Aufholchancen zur Union, bevölkerungsmäßig wird der Kontinent der mit Abstand größte Wirtschaftsraum sein.

Mit dem selbstverordneten marktwirtschaftlichen Fitnessprogramm allerdings hapert es. Der europäische Riese fesselt sich durch teure Sozialsysteme, hohe Staatsanteile und überregulierte Arbeitsmärkte. Und immer wieder versanden Initiativen, den Binnenmarkt auszubauen. Allein die Barrieren für grenzüberschreitende unternehmerische Aktivitäten in Europa vermindern das Handelsvolumen um jährlich 150 Milliarden Euro, schätzt die Kommission.

Anfang März hatte die Europäische Union das Gefühl, mal eine richtig gute Nachricht präsentieren zu können. Die Mitgliedsstaaten einigten sich nach jahrelangem Gezerre auf ein EU-weites Patent, das Erfindungen fördern soll. Wer seine Idee einmal schützen lässt, wäre in der gesamten Union vor Nachahmung gesichert.

Beim heutigen Bündelpatent wählt der Erfinder, wo seine Kreation geschützt wird. Die Anmeldung schon für acht Länder kostet nach Angaben der Bundesregierung 50.000 Euro. Damit bezahlen Erfinder in den USA oder Japan für ihre Patente ein Fünftel so viel wie ihre europäischen Konkurrenten, beziffert die EU.

Jetzt wird alles anders, kündigten die Justiz- und Wirtschaftsminister im März an: Das neue EU-Patent werde den Wettbewerbsnachteil für die Betriebe von Madrid bis Malmö reduzieren, weil es nur halb so viel koste wie die heutige Regelung.

Die Industrie zeigte sich schon damals wenig begeistert. Auch das EU-Patent bleibe teuer, weil der Erfinder die Patentansprüche in alle Amtssprachen übersetzen lassen muss. Unnötige Bürokratie, schimpfte die Wirtschaft. Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein zuckte mit den Achseln, wie er dies immer in solchen Fällen tut: Eine bessere Lösung sei eben in Europa nicht kompromissfähig.

Die Industrie tröstete sich damit, dass für die Übersetzung in alle Sprachen eine Frist von zwei Jahren ausgemacht zu sein schien. So könnte ein Betrieb die Übersetzungen erst in Auftrag geben, wenn sich sein Patent absehbar wirtschaftlich lohnt. Nach SZ-Informationen ist nun selbst diese Mindestvoraussetzung umstritten. Während die Bundesrepublik auf der Zwei-Jahresfrist besteht, verlangen Spanien und andere Südländer eine Übersetzung in sechs Wochen. Damit ist die gefeierte Einigung vom März hinfällig.

Setzt sich der Süden durch, müssten Erfinder ihre Ansprüche sofort in 20 Sprachen übersetzen lassen - allein diese Übung kostet viele tausend Euro. Der Pluralitätszwang zu Portugiesisch und Estnisch ist überflüssig, weil es längst eine akzeptierte Erfindersprache gibt: Drei Viertel aller Schutzrechte beim Europäischen Patentamt werden auf Englisch erteilt.

Doch der südeuropäische Nationalstolz droht eine einfache Lösung zu verhindern - nur ein Beispiel, warum Europa hinter den Vereinigten Staaten zurückbleibt. Silvio Berlusconi redet von Wettbewerbsfähigkeit, José María Aznar macht es und José Durão Barroso auch. Sie müssten nur endlich etwas für dieses Ziel tun.

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