Parmalat und das "System Parma":Die Sümpfe im Schlaraffenland

Firma, Banken, Zeitung, Fußballclub, Justiz - die Staatsanwälte enttarnen in der Stadt des Schinkens und der Milch den Untergrund der Wirtschaft.

Von Christiane Kohl

Schinken, viele Hunderte von Schinken flimmern über den Bildschirm, der im Foyer des großen Festsaals steht. Drinnen leuchten bunte Fresken von der Decke, auf denen man wohlgenährte Bauern mit goldgelben Getreidebündeln sieht.

Parmalat und das "System Parma": Spieler des AC Parma beim Jubel.

Spieler des AC Parma beim Jubel.

(Foto: Foto: ap)

Lorbeergirlanden schmücken die alten Kassettentüren, mächtiger Stuckzierat klebt an den Wänden. Doch Bürgermeister Elvio Ubaldi durchlebt vermutlich gerade einen der schwierigsten Momente seiner Amtszeit.

Tränenerstickt

Mit tränenerstickter Stimme beschwört der Lokalpolitiker einen "neuen Rinascimento", eine Wiedergeburt für die Stadt, die von Milch und Schinken lebt: "Parma ist sehr, sehr stark", spricht er sich und den anwesenden Honoratioren Mut zu. "Wir haben genügend Kraft, um alle Schwierigkeiten zu meistern", doch es solle sich bloß niemand vormachen "dass man einfach nur abzuwarten braucht, bis die Sache vorbei ist".

Die Sache muss der Bürgermeister gar nicht näher spezifizieren. Jeder weiß, dass es um den Zusammenbruch des Milchfabrikanten Parmalat geht, der die norditalienische Stadt in diesen Tagen bis ins Mark erschüttert. Nicht dass Ubaldi Angst um den Verlust von Arbeitsplätzen hätte - darum muss man sich in diesem Schlaraffenland der Lebensmittelindustrie nicht sorgen.

Mit 2,7 Prozent hat Parma eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten in Europa. Doch der Skandal bedroht die Grundfesten des Zusammenlebens in der Stadt, jenes enge personelle Geflecht zwischen Industrie, Banken und Politik, in dessen Mittelpunkt der Parmalat-Chef Calisto Tanzi stand.

Täglich neue Abgründe

Ein fein gesponnenes Netz aus Beziehungen und gegenseitigen Verbindlichkeiten überzieht die Stadt. Da ist ein Firmen-Manager zugleich der Präsident der Sparkasse, welche die Kredite an sein Unternehmen vergibt.

Der Club der Industrie dirigiert die örtliche Tageszeitung, und selbst der oberste Staatsanwalt lässt sich zuweilen von einem Finanz-Manager bezahlen. Als Spinne im Netz aber fungierte viele Jahre lang Calisto Tanzi, 65, der Mann, der die Milchküche Parmalat gründete und der jetzt als der mutmaßliche Pate im bisher größten Finanzskandal Europas dasteht.

"Er war ein Heiliger", hört man immer wieder Bewohner sagen. Doch zugleich kontrollierte der Unternehmer offenbar alle maßgeblichen Bereiche in der Stadt. Ob es um Fußball, Geldgeschäfte oder die Verbreitung von Informationen ging - Tanzi oder einer seiner Anverwandten hielt die Fäden fest in der Hand.

Viele Jahre lang lief das "System Parma" wie geschmiert. Seit die Ermittler in dem Skandal um den Milch-Multi jedoch täglich neue Abgründe entdecken, sitzt plötzlich die halbe Stadt auf der Anklagebank. Und deshalb sieht Bürgermeister Ubaldi im Rathaus jetzt das Gemeinwesen in Gefahr.

Radikale Forderung

"Wir müssen die Kraft zur Selbstreinigung haben", redet er seinen Zuhörern ins Gewissen und erhebt auch gleich eine höchst radikal klingende Forderung: "Alle, die der Wahrheitsfindung im Weg stehen, sollten zurücktreten".

Namen nennt der Bürgermeister nicht. Doch man braucht in dem wuchtigen alten Rathausbau nur aus dem Fenster zu schauen: schräg gegenüber, in einem hübschen barocken Palazzo, residiert die Cassa di Risparmio di Parma e Piacenza, kurz Cariparma genannt. Wichtigster Mann in dem Geldinstitut ist Luciano Silingardi.

Keine Konsequenzen

Der stets elegant gekleidete Manager war jahrelang Präsident des Bankhauses, mittlerweile steht er einer Stiftung vor, die als Miteigentümer des Geldhauses firmiert. Ein Untersuchungsbericht der italienischen Staatsbank bescheinigte der Cariparma schon Ende der Neunzigerjahre, dass sie "über jede Vorsichtsgrenzen hinaus" risikoreiche Finanzierungen vergebe. Konsequenzen wurden daraus aber offensichtlich nicht gezogen.

Noch bis vor kurzem beriet Silingardi, gleichsam im Nebenerwerb, seinen alten Freund Calisto Tanzi, den Parmalat-Padrone, in Steuerfragen und saß in einem Aufsichtsgremium von Parmalat. Anfang Dezember des vergangenen Jahres zog er sich plötzlich aus dem Engagement bei Parmalat zurück: Zuvor hatte ihn Tanzi, wie Silingardi der römischen Zeitung La Repubblica verriet, den Bankier und Spezi über ein Finanzloch von 600 Millionen Euro informiert.

Aus heutiger Sicht sind das nachgerade "peanuts", denn mittlerweile wird bei Parmalat eine Summe von etwa 13,5 Milliarden Euro vermisst. Silingardi aber wurde unterdessen von der Staatsanwaltschaft verhört: Seit Anfang Dezember will er keinen Kontakt mehr mit Tanzi gehabt haben.

Smarter Manager

Hingegen firmiert Franco Gorreri, 51, noch immer als Angestellter von Parmalat. Der smarte Manager mit dem Drei-Tage-Bart ist der Verantwortliche für die Finanzen im Inlandsgeschäft der Milchküche. Doch dieser Posten scheint ihn nie recht ausgefüllt zu haben, denn seit 1992 ist Gorreri zugleich Präsident der Banca Monte Parma, des zweiten lokalen Geldinstituts.

Den Job bei der Bank haben ihm die Sozialisten verschafft. Einst war Gorreri Bürgermeister in Collecchio, dem Ort in der Nähe, in dem die Zentrale der Milchfirma steht. Dort soll der legendäre Sozialistenchef und zeitweilige italienische Ministerpräsident Bettino Craxi, der später wegen mehrfacher Korruptionsvergehen verurteilt wurde, auf Gorreri aufmerksam geworden sein, wie ein örtlicher Industrieller erzählt: Craxi habe den Mann als Bankchef empfohlen, und so sei es dann geschehen.

Selbst suspendiert

Wenn in dem Geldinstitut über Parmalat-Kredite beraten wurde, ist Gorreri bislang stets "aus dem Zimmer gegangen", wie eine Banksprecherin erklärt. Mittlerweile hat er sich selbst vorübergehend suspendiert - Gorreri will sein Amt bei der Bank ruhen lassen, bis die Vorwürfe gegen ihn ausgeräumt seien.

Täglich bekommt die Bank derzeit Besuch von der italienischen Finanzpolizei. Während die Ermittler anfangs, vor ein paar Wochen, jeweils mit großen Kartons zurückkehrten, sieht man sie in diesen Tagen nur noch mit dicken braunen Umschlägen ins Gerichtsgebäude treten - irgendetwas Neues aber scheinen sie beinahe jeden Tag zu finden.

Im Gericht wird das Material Fausto Tonna vorgelegt, dem einstigen Finanzchef von Parmalat, der heute in Untersuchungshaft sitzt und jeweils von Beamten der Justizvollzugsanstalt vorgeführt wird. Er ist der Mann, der jetzt die Einzelheiten über das mannigfaltige Beziehungsgeflecht offenbart.

Wertvolle Hinweise

In endlosen Vernehmungen hat er den Staatsanwälten schon wertvolle Hinweise über Herkunft und Verbleib von Parmalat-Geldern gegeben - seine Verhörprotokolle zeigen wie in einer Röntgenaufnahme die Kontaktnetze in der Stadt. Da geht es um den örtlichen Fußballclub AC Parma wie um die Banken, und seine Erklärungen lösen immer neue Ermittlungen aus.

Auch die Bank-Manager Silingardi und Gorreri haben mittlerweile einen so genannten avviso di garanzia bekommen, einen amtlichen Bescheid, der nach italienischen Gepflogenheiten einem Verdächtigen anzeigt, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat.

Der gute Kontakt

Riesige Summen scheinen die örtlichen Banken allerdings nicht an Parmalat vergeben zu haben. Bei der Banca Monte Parma ist von etwa 34 Millionen Euro die Rede, die teils als Firmengelder, teils in die Privatkasse der Tanzis geflossen sein sollen.

Die Kollegen von Cariparma sollen Parmalat zwischen 120 und 150 Millionen Euro geliehen haben. Schon der gute Kontakt aber zählte für Parmalat. "Es ist doch klar, dass die engen Verflechtungen mit den örtlichen Banken auch vertrauensbildend für andere Geldinstitute wirkten", sagt Franco Rosi, der Präsident des Parmenser Industrieverbandes.

Der Unternehmer Rosi, der eine Schinkenfabrik besitzt, ist für schonungslose Aufklärung. Dass die Besitzverhältnisse in der örtlichen Zeitung, der Gazzetta di Parma, dabei ein Hindernis sein könnten, findet er allerdings nicht. Seit 50 Jahren gehört das Blatt, das 1735 gegründet wurde und zu den ältesten Zeitungen in Italien zählt, dem örtlichen Industrieverband.

Spontaner Kurswechsel

Zunächst hatte die Zeitung, wie Einwohner berichten, nur recht spärlich über die Vorfälle berichtet, die das ganze Land und den Kontinent aufregten, doch dann wurde offenbar ein Kurswechsel vollzogen.

"Sie haben als erste die Rücktritte gefordert", sagt der Unternehmer Rosi. Die Forderung der Journalisten war offenbar auch in eigener Sache gemeint, denn als Herausgeber der Gazetta firmierte noch bis vor wenigen Tagen niemand anderer als Stefano Tanzi, der Sohn des Parmalat-Bosses.

Auch im Rathaus war es bald kein Geheimnis mehr, dass mit Parmalat etwas nicht stimmte: "Wir wussten, dass es Liquiditätsschwierigkeiten gab", sagt der Bürgermeister Ubaldi, "denn die Milchlieferanten wurden sehr spät bezahlt".

Indes haben verschiedene Banken noch bis Mitte Dezember vorigen Jahres, also bis kurz vor dem Zusammenbruch, an ihre ahnungslosen Kunden Parmalat-Anleihen verkauft, ohne diese auch nur vor den Risiken zu warnen. "Das ist doch nichts anders als kriminell", sagt Mara Colla, die Präsidentin des Verbraucherschutzverbandes.

Frustrierte Anleger

Im Collas-Büro in der Innenstadt von Parma kommen jetzt täglich Leute vorbei, die Rat suchen. "Manche können ihr Anliegen gar nicht vorbringen", sagt die Beraterin, "weil sie einfach nur weinen müssen.".

Da ist zum Beispiel der 64-jährige Rentner, der im Rollstuhl sitzt. "Ich hatte ein bisschen Geld aus der Gehaltsabfindung", sagt der Mann, der seinen Namen nicht veröffentlicht haben möchte. 23.000 Euro hatte er in Parmalat-Obligationen investiert, wie er erzählt, sechs Prozent Zinsen sollten sie bringen. "Ich dachte, bei Parmalat wäre das Geld sicher", sagt der Rentner.

Eine Frau hatte noch am 3. Dezember vorigen Jahres Obligationen von Parmalat gekauft, im Wert von 20.000 Euro. Kurz vor Jahresende erhielt sie dann Post von der Bank.

Der Brief enthielt eine eine völlige Herabstufung ihrer Wertpapiere auf den Stichtag 11. Dezember. Die Frau kann sich nicht vorstellen, dass "die Bank etwas im guten Glauben verkauft hat, was sie acht Tage später für wertlos erklärt".

Schöner Schein

Die Staatsanwaltschaft in Mailand hat eigenes eine Internetseite für die Geschädigten eingerichtet. Wie es heißt, sind schon viele hundert Anzeigen eingegangen. Zwischen 80.000 und 90.000 Italiener sollen nach inoffiziellen Schätzungen Wertpapiere von Parmalat besitzen.

Ein Großteil von ihnen, glaubt die Verbraucherschützerin Colla, lebt in Parma und Umgebung: "Die haben doch die Fabrik gesehen und dachten, das sei alles gesund.". Tatsächlich gelten die Produktionsstätten von Parmalat als hochprofitabel. In den Betriebsgebäuden, die im Parmenser Vorort Collecchio liegen, blitzen Metall- und Kupferrohre, beste Maschinen wurden angeschafft, die meisten Arbeitsprozesse laufen längst automatisiert ab.

Und so mag es vielleicht zu erklären sein, dass sich selbst engste Mitarbeiter des Unternehmens von dem schönen Schein täuschen ließen. Etwa Angelo Ugolotti, der für den Firmenchef Calisto Tanzi eine Art Mädchen für alles war.

Seit 30 Jahren arbeitete Ugolotti, 52, in der Firma. Zuletzt saß er als eine Art Privat-Sekretär im Büro des großen Finanz-Managers Tonna. Ugolotti habe die persönlichen Dinge für den Firmenboss Tanzi erledigt, berichten seine Anwälte: beispielsweise private Rechnungen oder Knöllchen bezahlt.

Unter anderem Namen

Irgendwann habe ihm der Firmenchef eröffnet, dass man ein, zwei Unternehmen unter seinem, Ugolottis, Namen führen wolle. Ugolotti, sagt sein Anwalt Paolo Ricci Messori, habe sich daraufhin "sehr geschmeichelt gefühlt". Er unterschrieb und hatte offenbar keine Ahnung gehabt, was das nun juristisch und faktisch zu bedeuten hatte.

Tatsächlich musste der willige Helfer als Strohmann für an die 30 Firmen herhalten, die genaue Zahl ist immer noch nicht bekannt. Vornehmlich Firmen, die in Steuerparadiesen residierten, Reiseunternehmen auf den Malediven waren auch dabei. Ugolotti fuhr sogar einmal in Urlaub dorthin, doch soll er nicht einmal ein Skonto auf seine Rechnung bekommen haben, wie die Anwälte berichten.

Spenden an Berlusconi

Indes haben seine Firmen großzügig spendiert, ohne dass es der Strohmann wusste. Parmalat-Boss Tanzi nutzte die Unternehmensadressen im letzten italienischen Wahlkampf, um Großspenden an die Partei von Silvio Berlusconi, Forza Italia zu verteilen.

Insgesamt flossen rund 200.000 Euro, Ugolotti war damit, ohne es zu wissen, der zweitwichtigste Spender für Berlusconi in Italien - dabei ist der Mann doch ganz und gar kein Anhänger des Medienfürsten, sondern für die oppositionellen Linksdemokraten im Gemeinderat seines Heimatortes Traversetolo engagiert.

Pikante Einzelheiten

Immer neue Details kommen durch die Arbeit der Staatswaltschaft heraus, dabei kann man noch von Glück sagen, dass sie überhaupt tätig wurde. Denn auch der oberste Chef der Anklagebehörde in Parma, Giovanni Panebianco, ist gut bekannt in dem örtlichen Beziehungsnetz. Seit einiger Zeit läuft ein Verfahren gegen ihn wegen Bestechlichkeit.

Ihm wird vorgeworfen, 40.000 Euro eingesteckt zu haben - für eine Empfehlung, die er dem Cariparma-Manager Silingardi gab. Panebianco wollte die Ermittlungen zunächst vereiteln. Dies allerdings ist ihm nicht gelungen.

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