Paradise Papers:Stirb langsam, Steuerflucht

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Beispiel für eine Steueroase mitten in Europa: die als Kronbesitz der britischen Krone direkt unterstellte Kanalinsel Jersey (Foto: REUTERS)

Brüssel würde gerne härter gegen Steueroasen vorgehen. Doch eine Regel verhindert schnelle Erfolge.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel, Ralf Wiegand und Jan Willmroth

Wäre die Sache nicht so ernst, könnte man glatt darüber lachen. Pierre Moscovici muss jedenfalls regelmäßig schmunzeln, wenn er anfängt, von der CCCTB zu reden. Der EU-Steuerkommissar sagt dann in wunderbar französisch gefärbtem Englisch: si-si-si-ti-bi. Manchmal verhaspelt er sich und vergisst ein si, aber das macht nichts. Denn in Brüssel wissen ohnehin alle, was gemeint ist: wieder ein Gesetzesentwurf, der von den EU-Staaten blockiert wird. Moscovicis Vorschlag, die Steuern auf Konzerngewinne europaweit einheitlich zu berechnen, hängt fest. So wie viele andere Initiativen der Kommission, die dabei helfen sollen, der Steuervermeidung Grenzen zu setzen.

Jetzt, nach den Enthüllungen der Paradise Papers, ist jenes Momentum wieder da, das auch schon andere Leaks erzeugten: Die EU muss nun beweisen, dass sie den Kampf gegen Steueroasen ernst nimmt - gerade auch in der eigenen Gemeinschaft. Doch wie schon nach den Lux Leaks und den Panama Papers könnte sich bald Ernüchterung einstellen. Denn in der EU gibt es ein grundsätzliches Problem. Steuergesetze können nur einstimmig beschlossen werden. Ist ein Mitgliedsland dagegen, ist das Vorhaben gescheitert.

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der in der Lux-Leaks-Affäre selbst unter gewaltigen Druck geraten war, ist dieses Prinzip ein Dorn im Auge. Doch um diese eiserne Regel zu ändern, bräuchte es wiederum einen einstimmigen Beschluss aller EU-Staaten. Dies gilt derzeit als nicht durchsetzbar. Es gibt zwar das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit von mindestens neun Ländern; doch auch das ist bisher gescheitert. Seit fast fünf Jahren läuft nun zum Beispiel der Versuch, eine Steuer auf Finanztransaktionen einzuführen. Bislang ohne Erfolg. In Brüssel fällt den Beamten dazu nur noch ein Filmtitel ein: "Stirb langsam".

Wie aussichtslos es ist, die EU-Kollegen von einem gemeinsamen Steuervorhaben zu überzeugen, musste zuletzt Emmanuel Macron erfahren. Frankreichs Präsident brachte bei seiner viel beachteten Europa-Rede nicht nur die si-si-si-ti-bi ins Spiel, sondern auch eine neue Steuer für Internetkonzerne wie Apple, Google und Facebook. Beim jüngsten EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs wurde das Vorhaben aber schnell abgeräumt. Allen voran Irland sträubte sich. Eine der Begründungen: Es brauche "gleiche globale Wettbewerbsbedingungen im Einklang mit der derzeit laufenden Arbeit im Rahmen der OECD".

Auch beim Finanzminister-Treffen diese Woche wurde dieses Credo heruntergespult. Gesetze auf EU-Ebene seien schön und gut, aber nötig sei ein globaler Ansatz der G 20 im Einklang mit den OECD-Regeln zur Gewinnkürzung und -verlagerung. Auch dafür gibt es ein Akronym: Beps.

Nun ist es nicht so, dass auf EU-Ebene überhaupt nichts passiert ist. Der automatische Informationsaustausch der nationalen Steuerbehörden wurde beschlossen. Und im Dezember wollen die EU-Staaten einem weiteren Plan der Kommission zustimmen: der schwarzen Liste der Steueroasen. Auf dieser sollen all jene Länder landen, die sich im internationalen Kampf gegen die Steuervermeidung "nicht kooperativ" verhalten. Fest steht: EU-Mitglieder werden nicht dazu zählen, obwohl Staaten wie Irland und die Niederlande Konzernen mit sogenannten Tax Rulings helfen, ihre Steuerlast drastisch zu drücken.

Deutschland sperrt sich

Doch nicht nur kleine EU-Staaten blockieren den Kampf gegen Steuervermeidung. Auch Deutschland bremst, etwa beim "Country-by-Country-Reporting". Dieses verpflichtet multinationale Unternehmen, den Behörden 2017 erstmals Daten zu Umsatz, Gewinn und Steuerzahlungen aufgeschlüsselt nach Ländern vorzulegen. Das soll den Finanzbehörden ermöglichen, Firmen dort zu besteuern, wo der Gewinn erwirtschaftet wird. Das Reporting wird in einer abgeschwächten Form zwar auf OECD-Ebene eingeführt. In der EU dringt die Kommission aber auf ein viel weiter gehendes Gesetz: Konzerne sollen detaillierte Länderberichte dazu veröffentlichen. Deutschland sperrt sich gegen eine solche Veröffentlichung, weil es sich um sensible Firmendaten handle.

Zögerlich hatte sich Deutschland auch zu einer grenzüberschreitenden Anzeigepflicht für Steuervermeidungsmodelle geäußert. Ein entsprechender Vorschlag wird schon länger auf EU-Ebene diskutiert. Die deutschen Länderfinanzminister stimmten am Donnerstag dafür, im Sommer einen eigenen Gesetzesentwurf dazu vorzulegen.

Die Paradise Papers verdeutlichen, wie schwierig es für die Politik ist, global agierende Konzerne zu fassen. Das gilt nicht nur auf G-20- oder EU-Ebene, sondern auch in Deutschland. So kümmern sich etwa Anbieter aus Steueroasen nicht um die strengen Verbote für Glücksspiele hierzulande - und nichts geschieht dagegen. Echtgeld-Spiele im Internet sind mit Ausnahme von Lotterien und Sportwetten illegal. Trotzdem werden aus Deutschland jährlich um die 30 Milliarden Euro an virtuellen Pokertischen und in Automatenspielen eingesetzt. Die Finanzaufsicht Bafin sieht sich aber nicht in der Pflicht, obwohl deutsche Banken im großen Stil an dem Geschäft beteiligt sind. Die Bundesländer, die weitgehend für die Glücksspielgesetze verantwortlich sind, kommen den illegalen Anbietern im Ausland kaum bei und streiten über die richtige Regulierung dieses Marktes.

Und dann gibt es da den Fall des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU). Sein Name taucht auf der Personalliste einer niederländischen Briefkastenfirma auf, die ihn als Direktor eines Museums auf Föhr bezahlt, das von einem CDU-Großspender gestiftet wurde. Davon war nichts bekannt. Kritiker sehen diesen Fall als Beispiel dafür, wie wichtig Karenzzeitregeln für den Übergang von Politikern in die Wirtschaft sind. Schleswig-Holstein hat eine solche Regel, sie wurde aber erst nach Carstensens Regierungszeit eingeführt. Die Organisation Lobbycontrol fordert solche Regeln für alle Bundesländer.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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