Panamakanal:Endlich Platz für die großen Schiffe

10 000 Arbeiter haben geschaufelt und gebaggert - nun soll mit dem neuen Panamakanal eine neue Ära des Welthandels beginnen.

Von Boris Herrmann

Das Schiff, auf das sie in Panama so sehnsüchtig warten, hat vor knapp zwei Wochen den Hafen von Piräus in der Ägäis verlassen. Es gehört einer chinesischen Reederei, wurde ursprünglich auf den griechischen Namen Andronikos ("Der Sieger") getauft und quert derzeit unter der Flagge der Marshallinseln den Atlantik. Schon deshalb steht es beispielhaft für die kleineren und größeren Absurditäten des modernen, maritimen Welthandels. Die Andronikos, 300 Meter lang, 48 Meter breit, hat ihrem Namen Mitte April alle Ehre gemacht, da gewann sie einen prestigeträchtigen Losentscheid: Die Lizenz für die offizielle Eröffnungsfahrt durch den vergrößerten Panamakanal - am Sonntag soll es nach neunjähriger Bauzeit so weit sein. Nicht nur in Mittelamerika sprechen Beobachter von der "Einweihung eines Jahrhundertbauwerks". Die chinesische Reederei Cosco sah jedenfalls Anlass genug, ihre vom Losglück gesegnete Andronikos zur Feier des Tages in Cosco Shipping Panama umzubenennen.

Für die neue Fahrrinne haben 10 000 Arbeiter geschaufelt und gebaggert, zwischenzeitlich traten sie in hartnäckige Streiks. Das immer wieder verzögerte Großprojekt hat mindestens 5,25 Milliarden Dollar gekostet, es wird aber mit dem spanischen Baukonzern Sacyr noch um Zusatzkosten in Milliardenhöhe gestritten. Aus Sicht Panamas hat es sich trotzdem allemal gelohnt. Und wer die Kanalzone einmal besucht hat, der versteht, weshalb dieser Ausbau wohl alternativlos war. Sogar die relativ kompakten Frachter der sogenannten Panamax-Klasse (bis 4500 Container) haben den alten Kanal weniger durchfahren als sie sich durch ihn hindurchgepresst haben. Das Schleusen war Zentimeterarbeit. Es sah aus, als ob sich Elefanten durch einen Fuchsbau zwängten. Die modernen Containerschiffe der Post-Panamax-Generation aber sind noch dreimal größer. Die Cosco Shipping Panama (bis 14 000 Container) hätte in die bisherigen Schleusen nicht ansatzweise hineingepasst. Für den guten alten Panamakanal ging es schlichtweg darum, nicht den Anschluss an die Gegenwart zu verlieren.

"Jetzt werden wir der Welt das wahre Gesicht Panamas zeigen"

Am Sonntag soll also eine neue Ära in der Geschichte des Welthandels beginnen, zumindest aber in der Geschichte von Panama. Staatspräsident Juan Carlos Varela wird die Schleusentore mit Pauken und Trompeten für den Schiffsverkehr freigeben. Über einhundert Großfrachter warten angeblich schon auf die Durchfahrt. "Jetzt werden wir der Welt das wahre Gesicht Panamas zeigen", verkündete Jorge Quijano, der Chef der staatlichen Kanalbehörde. Da steckte reichlich Groll zwischen den Zeilen. Zuletzt konnte man ja durchaus zu der Meinung gelangen, die eigentliche Bestimmung dieses Landes bestünde darin, Politikern, Oligarchen und Prominenten aus aller Welt beim Verstecken ihrer steuerpflichtigen Einkünfte zu helfen. In Panama wurden die gleichnamigen Papers aber keineswegs als heilsame Enthüllung, sondern eher als international orchestrierte Attacke wahrgenommen. Und als ein noch nicht zu bemessender Imageschaden. Image ist aber fast alles für eine wachstumswillige Volkswirtschaft, die vor allem auf Dienstleistungen wie der Schleuserei, dem Tourismus oder dem Banken- und Briefkastenfirmengewerbe basiert.

Panama ist in vielerlei Hinsicht ein geteiltes Land - nicht zuletzt im eigentlichen Wortsinne. Beim Kanalbau vor 102 Jahren wurde es praktisch quer durchschnitten. Bis 1962 gab es keine Brücke, inzwischen sind es immerhin zwei. Mit der verbreiterten Fahrrinne wird die Kluft noch ein Stückchen größer. Deren Eröffnung wird trotz allem als nationaler Triumph gefeiert. "Der erste Kanal war amerikanisch. Der zweite Kanal ist panamaisch", stand dieser Tage in einem Leitartikel der Zeitung La Estrella de Panamá, der die Stimmung ganz gut wiedergibt. Auch die Amerikaner tragen dem Rechnung. Nicht etwa Barack Obama führt die Festdelegation aus Washington an, sondern Jill Biden, die Frau von Vizepräsident Joe Biden.

Die Transitgebühren machen sechs Prozent des Staatshaushalts aus

Als der Panamakanal, die vielleicht beste Abkürzung der Welt, im August 1914 erstmals eröffnet wurde, erfüllte sich ein uralter Menschheitstraum. Es war die Vereinigung zweier Weltmeere, die der Schöpfer aus bislang unerfindlichen Gründen getrennt hatte. Zwischen Atlantik und Pazifik lagen auf dem Seeweg plötzlich bloß noch 82 Kilometer. Etwa 15 000 weniger als zuvor, da ging die Reise zwingend rund um das berüchtigte Kap Hoorn, den Albtraum aller Kapitäne. Zwei bis drei Monate dauerte das. Groß gefeiert wurde trotzdem nicht an jenem 14. August 1914 in Panama-Stadt, als der US-amerikanische Dampfer SS Ancón erstmals durch den Kanal schipperte. Kurz zuvor war in Europa der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Das Eröffnungsfest wurde sechs Jahre später nachgeholt, selbstverständlich war auch US-Präsident Woodrow Wilson dabei.

Panamakanal: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Damals galt der Panamakanal als das achte moderne Weltwunder - und als der letzte Beweis des Aufstiegs der USA zur globalen Supermacht. Der französische Unternehmer Ferdinand de Lesseps war Ende des 19. Jahrhunderts noch kläglich an dem Vorhaben gescheitert, eine Wasserstraße durch den Isthmus von Panama zu graben. Lesseps hatte als Bauherr des Suez-Kanals auf diesem Gebiet einen exzellenten Leumund, bis er sich im mittelamerikanischen Dschungel versuchte. Dort wurden seine Arbeiter massenweise von Typhus und Cholera, Gelbfieber und Malaria hinweggerafft. 22 000 Tote forderte dieses Desaster, das obendrein eine der größten Firmenpleiten der damaligen Zeit bedeutete.

Angetrieben vom abenteuerlustigen Präsidenten Theodore Roosevelt brachten die Amerikaner Anfang des 20. Jahrhunderts das halb fertige Projekt zu Ende - auf ihre Weise. Weil das Gebiet damals noch zu Kolumbien gehörte, Bogotá sich aber den Plänen Roosevelts widersetzte, unterstützten die USA ganz pragmatisch die panamaische Separationsbewegung, was 1903 zur Unabhängigkeit Panamas führte. Gewissermaßen als Gegenleistung wurde der neue Staat aber sogleich von Washington aus unterjocht - dazu gehörte auch die vollständige Kontrolle über die künftige Kanalzone. Der Abzug der Amerikaner Anfang 2000 gilt in Panama als die zweite Geburtsstunde der Nation.

Die Hoheit über den Kanal ist für das kleine Land mit dem großen Patriotismus nicht nur von emotionaler Bedeutung. Die Transitgebühren machen schon jetzt rund sechs Prozent des Staatshaushaltes aus, zuletzt lagen die Einnahmen bei etwa einer Milliarde Dollar pro Jahr. Das wird sich nach Kalkulation der Regierung in den kommenden Jahren schrittweise verdreifachen. Mancher unabhängige Beobachter rechnet etwas konservativer. Die neuen Schleusenkammern sind 427 Meter lang, 55 Meter breit und 35 Meter tief. Die Schiffe wachsen aber unaufhörlich. Für die größten Frachter der Welt, die bis zu 20 000 Container transportieren, ist der neue Panamakanal schon jetzt wieder zu klein.

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