Oracle:Verfolger im Nacken

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Software des US-Konzerns Oracle ist technologisches Rückgrat vieler Konzerne. Doch die müssen sich wandeln, um zu bestehen. Kann der Technologie-Dinosaurier da noch mithalten?

Von Helmut Martin-Jung

Der Mann im anthrazitfarbenen Pulli entert die Bühne der IT-Konferenz in der betont federnden Gangart älterer Herren, die zeigen wollen, wie fit sie noch sind. Der Vollbart ist exakt gestutzt, aus dem V-Ausschnitt lugt gebräunte Haut, so tigert Larry Ellison hin und her und spielt seine Rolle brillant. Seine Rolle, das ist Larry Ellison, gespielt von ihm selbst. Der Mann ist 71, gehört zu den zehn reichsten Menschen der Welt, arbeiten müsste einer wie er eigentlich schon lange nicht mehr.

Also kann er doch jetzt mal sagen, was Sache ist. Sie warten schließlich darauf, die 60 000 IT-Experten, die an insgesamt vier Tagen nach San Francisco kommen, auch um Orientierung zu erhalten. Denn in gewisser Weise bricht ihre Welt gerade auseinander. Die neue digitale Welt verlangt nach neuen Lösungen. Die Kunden der Konzerne erwarten, dass in ihren Geschäftsbeziehungen alles so einfach läuft, wie sie es von ihren Smartphones her kennen, sie wollen auch komplexe Dienstleistungen online buchen.

Die alte Software erfüllt die Bedürfnisse der jungen Generation nicht mehr

Die Firmen wiederum wollen, dass ihre Mitarbeiter stets die Daten abrufen können, die sie für ihre Arbeit brauchen, in Echtzeit und auch auf mobilen Geräten. Doch die meisten IT-Experten, die zur Oracle Open World kommen, dem jährlichen Familientreffen der Oracle-Anwender, Mitarbeiter und Partnerfirmen, betreuen in ihren Unternehmen noch Hard- und Software vom alten Schlag. Dicke Server, die auf dem Firmengelände stehen, mit Software, die zwar läuft. Die aber nicht dafür gemacht ist, die Bedürfnisse der Always-on-Generation zu erfüllen.

Oracle ist nach Microsoft der größte Software-Hersteller der Welt. Endverbraucher, Fluggäste etwa oder Bankkunden, kommen damit nicht direkt in Berührung. Die Systeme arbeiten vielmehr im Maschinenraum von Konzernen, sie sind das technologische Rückgrat geschäftskritischer Prozesse. Und allein deshalb ist klar: An solchen Systemen ändern ihre Betreiber nur dann etwas, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt.

Doch mehr und mehr wird deutlich: Sie werden etwas ändern müssen.

Ein altertümlicher Doppeldecker, verfolgt von modernen Jägern - ganz so einfach ist die Geschichte nicht bei Oracle. Der Software-Konzern investiert massiv in seine Transformation. (Foto: Josh Edelson/AFP)

Larry Ellison, Mitgründer und graue Eminenz von Oracle, redet bei seinen zwei Auftritten auf der Konferenz quasi von nichts anderem. In einem Jahre dauernden Kraftakt habe seine Firma alle ihre Programme fit gemacht für die Cloud, sagt Ellison, während er mit dem Mikro in der Hand wie ein Entertainer auf der Bühne des Moscone Center hin- und herläuft. Und keiner von den Konkurrenten könne ein derart umfassendes Angebot machen. Schon gar nicht Amazon, wird er nicht müde zu betonen.

Amazon kann mittlerweile mit seinen Rechendienstleistungen die Verluste ausgleichen, die die Handelssparte noch immer einfährt. Vor allem ist Amazon stark, wenn es um pure Speicher- und Rechenkapazitäten in der Cloud geht. Doch die Cloud, das ist mittlerweile Allgemeinwissen unter IT-Profis, ist weit mehr als ein Ort, an dem Daten günstiger gespeichert und miteinander verrechnet werden können. Cloud-Software ist auch darauf ausgelegt, den Endkunden schneller und besser anzubieten, was diese sich wünschen. Und darauf, die Arbeitsweise, oft auch das Geschäftsmodell von Firmen zu verändern.

"Unsere Hauptkonkurrenten sind nicht mehr IBM oder SAP", sagt Ellison folgerichtig, "sondern Salesforce, Workday und Amazon." Aber kann Oracle, eine Firma, die mit und in der alten IT-Welt groß geworden ist, kann die mithalten mit Start-ups, die nie etwas anderes gemacht haben als Cloud, die nicht jede Menge an Altlasten mit sich herumschleppen müssen?

Software der jungen Herausforderer Salesforce oder Workday kauft man nicht. Und es stehen auch keine Server auf dem Firmengelände herum. Bei diesen Anbietern mietet man den Zugang zu deren Software-Paketen. Diese können von jedem internetfähigen Gerät aus abgerufen werden - alles, was es braucht, ist ein Browser und ein Internetanschluss. Updates, Sicherheitssoftware, Server-Wartung - darum kümmert sich der Cloud-Anbieter, der die Rechenzentren betreibt oder anmietet.

Das ist eine technologische Weiterentwicklung, die schon deshalb nicht aufzuhalten ist, weil sie die Kosten für IT drastisch senkt, um bis zu ein Drittel. Doch für Anbieter wie Oracle oder auch die deutsche SAP, die bisher von Lizenzgebühren für ihre Software und hochdotierten Wartungsverträgen gut lebten, kommt das daher wie ein Frontalangriff. Firmenkunden, die ohnehin alles neu überdenken müssen, sie könnten ja auf den Gedanken kommen, gleich zu einer der hippen Cloud-Unternehmen zu wechseln.

Dieser Mann braucht keinen Anzug und keine Krawatte: Larry Ellison, Gründer und graue Eminenz von Oracle, schwor die Besucher der Hausmesse Open World in San Francisco auf das neue Zeitalter des Cloud-Computing ein. Über Nacht werde das aber nicht passieren. (Foto: David Paul Morris/Bloomberg)

"In der Vergangenheit war es nicht immer die beste Erfahrung, mit Oracle Geschäfte zu machen", sagt der Analyst Tim Jennings, der für seine Firma Ovum den Oracle-Konzern schon sehr lange beobachtet, "sie wollten einem immer Lizenzen verkaufen. Das vor allem sollten sie jetzt ändern - der Supertanker muss den Kurs ändern." Bisher, sagt Jennings, machten SAP oder auch der Cloudanbieter Salesforce das besser als Oracle.

"Man kann nicht einen Fuß auf dem Dock haben und einen auf dem Schiff."

Letztlich müssen die Dinos der Branche aber alle an zwei Fronten kämpfen. Sie dürfen ihre alten Kunden nicht vernachlässigen, die noch die alten Programme einsetzen, aber sie müssen parallel dazu die neue Welt aufbauen. Und das nicht nur bei ihren Kunden, sondern auch bei sich zu Hause. Das erfordert große Anstrengungen der 140 000 Oracle-Mitarbeiter. "Wir haben alles umgeworfen", sagt Vorstandschef Mark Hurd, "alle reden jetzt mit, das ändert alles." Auch die firmeninternen IT-Prozesse, das sogenannte Backoffice, habe man radikal verändert, sagt er, "wir machen viele Fortschritte, aber es ist schon eine Menge an Arbeit." Und es kostet viel Geld. Allein im vergangenen Jahr hat die Firma aus Redwood City im Silicon Valley 5,1 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung ausgegeben.

Immerhin ein Sechstel des Umsatzes im ersten Quartal 2016 entfiel bereits auf Cloud-Angebote, zum Jahresende rechnet Oracles Chef für Europa und die Asia-Pazifik-Region, Loic Le Guisquet, damit, erstmals mehr als zwei Milliarden Dollar nur mit Cloud-Produkten umzusetzen. Das Problem: Salesforce, das nur Cloud-Dienste anbietet, strebt nach einem Ziel von zehn Milliarden Dollar Umsatz - und ist nicht mehr weit davon entfernt.

Eines ist aber auch klar: Verloren haben sie noch lange nicht.

Denn noch fühlten sich viele Kunden mit der herkömmlichen Software ganz gut bedient, sagt Analyst Jennings, zum großen Sprung in die Cloud-Welt seien sie oft noch gar nicht bereit. "Die wissen schon, dass da was kommt", sagt er, "aber sie wollen nicht vorauseilen." Oracle mit seinem breiten Portfolio und einem Angebot, das von herkömmlich bis komplett in der Cloud reicht, komme da für viele Kunden gerade recht. "Transformation zur Cloud, das heißt ja nicht, dass man von heute auf morgen umsteigen muss", sagt auch Frank Obermeier, der Oracles Deutschland-Geschäft verantwortet. Neue Technologien müssten mit der bestehenden IT verheiratet werden, "da ist es nicht zwingend ein Nachteil, dass wir Expertise bei der herkömmlichen Technik haben". Auch die Vertriebsmitarbeiter müssten sich in beiden Welten auskennen.

Letztlich aber müssten sich die Firmen auch irgendwann entscheiden: "Es braucht ein Verständnis für die Dringlichkeit des Themas", sagt Reggie Bradford, der bei Oracle die Software-Entwicklung leitet, "man kann nicht dauernd einen Fuß auf dem Dock haben und einen auf dem Schiff." Die nächsten Jahre, sagt er, würden sehr viel Veränderung mit sich bringen, doch eine Lösung, die für alle passt, die gebe es nicht.

Soviel aber scheint klar zu sein: Ein Durchschnittsalter von 21 Jahren so wie heutige Unternehmenssoftware der 500 größten US-Firmen werden die neuen Cloudlösungen bestimmt nicht erreichen. Und wenig wahrscheinlich ist auch, dass künftig einer so lange durchhält wie Larry Ellison. Der ist heute noch Exekutive Chairman, also ein Aufsichtsratschef, der auch was zu sagen hat. Und er war 33 Jahre lang Chef der Firma.

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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