Opel-Werk Rüsselsheim:Ein Stich ins Herz

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Das Werk in Rüsselsheim gilt als Kern von Opel, nun hat General Motors die Schließung der Fabrik angedroht - seitdem verstehen die Arbeiter die Welt nicht mehr.

Von Harald Schwarz

Es herrscht Abbruchstimmung. Zumindest am Bahnhof in Rüsselsheim. Arbeiter machen das alte Empfangsgebäude platt. Mit ratternden Presslufthämmern zertrümmern sie das Fundament des Hauses. Ein roter Kran überragt den Platz. Irgendwie erinnert er an einen großen Galgen.

Das Stammwerk von Opel. Viele Rüsselsheimer können sich kaum vorstellen, dass es verschwinden könnte. (Foto: Foto: dpa)

Unter ihm steht Adam Opel, der Gründer der gleichnamigen Autofirma mit dem Blitz im Emblem. Die etwa drei Meter hohe, grünlich verwitterte Statue des Pioniers aus dem 19. Jahrhundert flankieren ein paar ungepflegte Pflanzen, jede Menge wucherndes Unkraut und ein paar weggeworfene leere Bierdosen. Tristesse pur.

Einen Steinwurf entfernt von der Adam-Figur beginnt am Bahnhofsplatz das riesige Opel-Areal mit einem lang gestreckten Bau aus roten Backsteinen und dem alten Hauptportal, das auch Tor 1 heißt.

Freundlich trotz Sorgen

Der Mann am Empfang ist überaus freundlich zu Gästen, obwohl ihn Sorgen plagen: "Hier weiß keiner, wie es weitergeht, ob die Fabrik wirklich geschlossen wird. Klar ist aber jetzt schon, dass wir alle in ein paar Wochen weniger Geld haben werden."

Beim Betreten des Areals wird schnell deutlich, dass sich vieles an dieser Stelle des Opel-Geländes ruckzuck abreißen lässt. Hier und da gibt es noch ein paar Büros; dort drüben wird ein Prüfstand betrieben. Ansonsten bestimmen leere Fabrikgebäude als stumme Zeugen einer längst vergangenen Zeit die Szene.

Nicht weit entfernt von Tor 1 hat Klaus Franz seinen Schreibtisch. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats und des Europäischen Arbeitnehmerforums der Opel-Muttergesellschaft General Motors (GM) warnt den Besucher vor einem Trugschluss.

Radikaler Stimmungswandel

Was er bisher gesehen habe, sei das alte Opel. Das moderne neue Werk befindet sich weiter westwärts. Die Drohung von GM in Detroit, eine Fabrik in Europa zu schließen und die Eigenständigkeit von Opel abzuschaffen, schlug gleichwohl in Rüsselsheim wie ein Blitz ein und löste einen radikalen Stimmungswandel aus.

Klaus Franz sagt: "Die Belegschaft in Rüsselsheim zeichnet die tolle Loyalität zum Unternehmen und zur Marke aus. Doch jetzt bröckelt diese Loyalität ab. Wir sind eigentlich eine verschworene Gemeinschaft. Nun muss ich erleben, wie Menschen resignieren und den Kopf in den Sand stecken."

Verstehen könne er dies aber schon, denn es sei "eine Provokation", ein Werk gegen ein anderes auszuspielen.

GM hat tatsächlich schweres Geschütz aufgefahren, als der US-Konzern ankündigte, die Saab-Fabrik im schwedischen Trollhättan oder den Standort Rüsselsheim dichtmachen zu wollen. Seither liegen die Nerven blank.

Einige "Opler", wie sie sich selbst gerne nennen, bestätigen die Einschätzung des Chefs im Gesamtbetriebsrat. "Die Stimmung ist im Keller", sagt ein Arbeiter. Viele sähen ihre Existenz gefährdet.

Zweite Zigarette in Serie

Während der Mitt-Dreißiger das sagt, zündet er sich die zweite Zigarette in Serie an. Ein anderer Arbeiter, der am Band sein Geld verdient, schimpft: "Die da oben, stopfen sich die Taschen voll. Hier im Werk hat jeder Zweite hohe Schulden, die er bedienen muss. Wie soll das gehen, wenn hier Schluss ist?"

Es würden wohl Tausende dann zum Sozialfall in Rüsselsheim und Umgebung. Andere Arbeitsplätze sind rar. Selbst ein Angestellter aus der Entwicklungsabteilung ist wütend: "So einfach geht das nicht, ein Autowerk zu schließen. Schlimm genug, dass sie uns die Eigenständigkeit rauben wollen, denn damit verlieren wir unsere Identität."

Deftige Bemerkungen

Es fallen auch deftige Bemerkungen. Bei manchen ist etwa die Rede von den "imperialistischen Amerikanern" und den "rabiaten Jobkillern" von GM.

Klaus Franz ist da besonnener als seine Leute von der Basis, obwohl auch er klare Worte in harten Verhandlungen finden kann. Seine Marschroute im Gerangel mit den Managern beschreibt er so: "Wir brauchen eine Beschäftigungssicherung bis mindestens 2010 und einen Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen.

Danach können wir darüber reden, was uns unser Arbeitsplatz wert ist. Wir hier in Rüsselsheim sind das Herz der Marke Opel. Nimmt man die Fabrik weg, kann man auch die Marke vergessen." Zugleich sei sein Ziel, auch dem Standort Trollhättan gerecht zu werden. Für ihn sei das "keine Entweder-Oder-Frage".

Das Herz von Opel schlägt seit 2002 - vom alten Hauptportal am Bahnhof gesehen - ein paar Kilometer weiter Richtung Mainz-Bischofsheim. Für 750 Millionen Euro entstand dort das nach Lesart der Firma modernste Autowerk der Welt mit einer Jahreskapazität von 270.000 Wagen.

Von dieser Zahl ist Opel jedoch derzeit weit entfernt. Die Kapazität in Rüsselsheim sei derzeit zu 65 Prozent ausgelastet, sagen manche. Andere reden von 50 Prozent. Sicher ist nur: Der Vectra ist nicht der große Verkaufsschlager, den der Vorstand in ihm gesehen hat.

Modernste Maschinen und Roboter

Im neuen Werk stehen modernste Maschinen und Roboter. Gesteuert von Automaten können dort bis zu 700 Roboterarme vorgefertigte Karosserieteile greifen, messen und schweißen. Im Presswerk bebt der Hallenboden, wenn die Pressen mit der Wucht von 6500 Tonnen auf die Rohbleche donnern.

"Wer das erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass GM das alles plattmachen will", sagt ein Mann aus dem Presswerk. Er glaube auch "nicht an den Super-Gau", also den größten anzunehmenden Unfall für Opel. "Ich denke, die wollen uns nur auspressen wie die Zitronen, uns Geld wegnehmen, Leistungen streichen und die Arbeitszeit verlängern."

20.000 Beschäftigte zählt Opel in Rüsselsheim. Die Hälfte arbeitet im Internationalen Entwicklungszentrum. Weitere 6000 Leute sind in der Produktion aktiv. 4000 gehören zur Firmenzentrale. Tiefe Einschnitte werden befürchtet. Und das, obwohl schon Opfer gebracht wurden. Mit dem Start des neuen Werks gingen 4500 Jobs verloren.

An den Autos liegt es nicht

Trotzdem schreibt GM in Europa rote Zahlen. Sind die Autos schuld? Klaus Franz glaubt das nicht. "An unseren Produkten liegt es inzwischen nicht mehr, dass Verluste eingefahren werden. Das haben uns Vergleiche mit Konkurrenzfahrzeugen gezeigt", sagt er.

Aber der Markt laufe derzeit eben nicht so gut. "Und für Opel ist es besonders schwierig, weil unsere Klientel diejenige ist, die am meisten von Arbeitsplatzverlusten bedroht ist."

Natürlich fahren die meisten hier einen Opel. "Damit ist es endgültig vorbei, wenn ich rausgeschmissen werde. Dann ist Opel für mich gestorben", sagt ein Arbeiter aus der Endmontage. Als wollte er seine Aussage mit einer Geste würzen, wirft er seine Zigarette auf den Parkplatz und tritt sie aus.

© SZ vom 02.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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