Opel: Werk in Gleiwitz:"Niemand hat hier geweint"

In der polnischen Stadt Gleiwitz hängt viel von Opel ab: Seit Monaten steht die Stadt unter Strom. Jetzt geht es aufwärts - aber die Menschen fürchten die Härte der Russen.

Thomas Urban

Monatelang stand Gleiwitz unter Hochspannung. Jeder Bericht der deutschen Medien, jede Äußerung von Berliner Politikern zur Opel-Krise stand wenig später auf Polnisch im Internet, am nächsten Tag gab es Kommentare dazu in der oberschlesischen Regionalpresse. Nun ist es also so gekommen wie seit langem geplant: Im Gleiwitzer Opel-Werk wird der neue Astra IV gebaut.

Opel, Reuters

Opel ist der größte Arbeitgeber in der polnischen Stadt mit den knapp 200.000 Einwohnern.

(Foto: Foto: Reuters)

Gleiwitz konkurriert damit dieses Mal nicht mit den Werken in der Bundesrepublik, sondern mit Ellesmere Port in England. Dort läuft der neue Astra ebenfalls vom Band, und das nicht nur mit Rechtslenkung, sondern auch mit Linkslenkung für Europa und Übersee. Der Vorstandsvorsitzende der Adam Opel AG, Hans Demand, sagte der polnischen Presse ganz unverblümt, dass vom Erfolg des Astra die Zukunft von Gleiwitz abhängt.

In dem polnischen Opel-Werk berichtet Grzegorz Bacia von der Gewerkschaft Solidarität, dass in den vergangenen Monaten 560 von 3300 Mitarbeitern mit Übergangsgeldern von bis zu vier Monatsgehältern entlassen worden seien. Die Autoproduktion sei von drei auf zwei Schichten zurückgefahren worden. Niemand wage zu sagen, wie weit man unter dem Ergebnis des vergangenen Jahres bleibe, als 195.000 Opel von Gleiwitz aus in alle Welt geliefert worden sind.

Opel sorgt für Arbeit in Gleiwitz

Niemand kann sich vorstellen, dass hier die Bänder stillstehen könnten. Opel ist der größte Arbeitgeber in der knapp 200.000 Einwohner zählenden Stadt am Westrand des oberschlesischen Industriereviers. Noch vor zwei Jahrzehnten schien die Region zu den großen Verlierern beim Übergang zur Marktwirtschaft zu gehören. Doch schon nach wenigen Jahren hatte Gleiwitz die Krise offenbar überwunden, nicht zuletzt dank des Opel-Werks, das 1998 eröffnet wurde.

Die Häuser in der Innenstadt und die Villen aus der Gründerzeit sind prachtvoll renoviert. Der rechteckige Marktplatz erstrahlt wieder in Pastellfarben, Straßencafés geben ihm im Sommer eine Spur von südländischem Flair. Längst ist der Himmel wieder blau über Oberschlesien, da die verbliebenen Eisenhütten und Kohlekraftwerke seit der Wende vor zwei Jahrzehnten mit Filtern ausgerüstet worden sind. Allerdings zeugen heruntergekommene Plattenbauareale und Arbeiterviertel vom Ende des 19. Jahrhunderts sowie viele verwahrloste Hinterhöfe entlang der oberschlesischen Eisenbahnstrecke, dass der Aufschwung der vergangenen Jahre längst nicht alle Gleiwitzer erreicht hat.

Die Zeiten könnten wieder härter werden

Nun fürchtet man, dass die Zeiten wieder härter werden. Dabei gehört die Gleiwitzer Opel-Fabrik zu den modernsten des GM-Konzerns. Zwar sei sie nicht in dem Maße automatisiert wie Bochum, berichtet Bacia, doch die Produktivität liege deutlich höher als in anderen Opel-Werken. Er gehe davon aus, dass die deutschen und die polnischen Opelaner sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. "Wir setzen auf europäische Solidarität", sagt er. Die Solidarnosc und die IG Metall hätten stets bestens zusammengearbeitet, man kenne sich, habe sich gegenseitig besucht, auch an gemeinsamen Schulungen teilgenommen.

Ein wenig Neid auf die deutschen Kollegen

Die polnischen Gewerkschafter beneiden ihre deutschen Kollegen ein wenig. Die Bochumer können sich auf einen großen Apparat stützen; etwa 30 Personen sind für die Gewerkschaftsarbeit freigestellt, werden von Opel bezahlt. Auch ist die IG Metall nach den Worten Bacias ein einflussreicher Spieler in der Politik.

Bei fast gleich großer Belegschaft arbeiten im Gleiwitzer Opel-Werk dagegen nur drei Solidarnosc-Leute, dies entspricht genau der Quote, die das polnische Betriebsverfassungsgesetz vorsieht.

Um dieses hatte es heftigen Streit gegeben, bevor es Anfang der neunziger Jahre in Kraft trat. Denn die damalige Reformregierung stammte ja aus den Reihen der Solidarnosc; doch setzte sich in ihr nicht der Arbeitnehmerflügel durch. Vielmehr siegten die liberalen Wirtschaftsreformer um den Finanzminister Leszek Balcerowicz. Und für diesen hatte es Priorität, das Land für Investoren attraktiv zu machen.

Die Verbundenheit mit den Deutschen dokumentieren die Solidarnosc-Vertreter in ihrem Büro im Verwaltungstrakt der Fabrik. Es ist modern und funktionell eingerichtet. Doch über der Tür hängt ein Bild von Jesus dem Erlöser, links unter ihm ein Porträt des polnischen Papstes Johannes Paul II., rechts daneben sein deutscher Nachfolger Benedikt XVI. "Es hat sich bei uns ein allgemeines Gefühl der Erleichterung eingestellt, als die Deutschen die Sache in die Hand nahmen", sagt Bacia rückblickend. "Niemand hat hier geweint, dass Opel aus dem amerikanischen Mutterkonzern herausgelöst wird", sagt Bacia.

Hoffnungsträger aus Deutschland

Die USA seien früher das Traumland der Polen gewesen. Doch gerade in Gleiwitz seien alle Illusionen über die Amerikaner schnell verflogen. Die Bosse, mit denen die Gewerkschafter verhandelten, um die Löhne an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen, hätten zwar immer allen auf die Schulter geklopft, aber jegliche Lohnforderung mit dem Hinweis auf die Probleme von GM abgelehnt. Hingegen hätte die Solidarnosc mit den deutschen Werksleitern, die zu Beginn die Produktion aufgebaut hätten, nur gute Erfahrungen gemacht. Diese seien nicht nur höflich und freundlich, sondern auch kooperativ gewesen.

Der Einsatz der in Polen überaus populären Bundeskanzlerin Angela Merkel beruhigt sie. Aufmerksam verfolgt man die Berichte über Merkels Gespräche mit dem polnischen Premier Donald Tusk, der sehr gut Deutsch spricht; beide kennen sich seit Jahren und duzen sich. "Bei uns denkt niemand, die Deutschen verkaufen uns an die Russen!", sagt Bacia in Anspielung auf die vom Kreml kontrollierte Moskauer Sberbank, die zu den neuen Investoren gehört. Derartige Kommentare hatten sich allerdings in der Warschauer Presse gefunden.

Einigung auf Kosten der Polen

In patriotischen Blättern hieß es gar, neben der deutsch-russischen Erdgaspipeline durch die Ostsee sei Opel das nächste Großprojekt, in dem sich Deutsche und Russen auf Kosten der Polen einigen würden. In Kommentaren hieß es, der russische Premier Putin werbe um die Deutschen und werde deshalb die deutschen Opelwerke nicht anrühren.

"Das ist Unsinn", sagen die Solidarnosc-Leute. Für sie sei es wichtig, ob die Russen ernsthaft in die Autoproduktion einsteigen wollten. Wenn dies der Fall sei, müsse sich Gleiwitz keine Sorgen machen. Das Werk schreibe stets schwarze Zahlen und habe in den vergangenen Jahren in der konzerneigenen Konkurrenz aller GM-Fabriken stets einen Spitzenplatz eingenommen.

Doch man wisse, wie brutal die Russen mit ihren Arbeitnehmern umgingen. Vor allem fürchte man russische Lohndrückerei. "Für uns ist es ein Wechselbad der Gefühle", sagt Bacia. Im Moment könnten die Gewerkschafter kaum etwas anderes tun, als abzuwarten. Ihren Kollegen in der Gleiwitzer Fabrik rieten sie in diesen unsicheren Zeiten, sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten könnten: solide Autos bauen.

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