Online-Händler Amazon:Überraschung in Seattle

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Man war es ja schon gewohnt: Der Online-Händler Amazon wuchs zwar enorm, aber Gewinn? Fehlanzeige. Das hat sich nun geändert, und der Grund dafür ist ein Geschäftsfeld, das viele gar nicht mit dem Konzern aus Seattle verbinden.

Von Michael Kläsgen und  Helmut Martin-Jung, München

Für jemanden, der dafür bekannt ist, ohne Rücksicht auf Verluste immer größer werden zu wollen, ist es bemerkenswert, wenn er plötzlich Gewinn macht. Bei Jeff Bezos ("Wachsen, wachsen, wachsen") und seiner Firma Amazon ist das jetzt so, und damit hat er alle überrascht. Der größte Versandhändler der Welt schaffte im zweiten Quartal einen Umsatzsprung von 20 Prozent auf 23,3 Milliarden Dollar. Zwischen April und Juni verdiente das Unternehmen aus Seattle 92 Millionen Dollar. Im Quartal davor hatte Amazon noch 57 Millionen Dollar Verlust gemacht, im Vorjahresquartal sogar 126 Millionen Dollar. Noch am Vortag hatten Analysten damit gerechnet, dass es weitergehen würde mit den roten Zahlen. Die Anleger jubilierten: Nach der unerwarteten Nachricht schoss der Kurs zeitweise um 17 Prozent nach oben.

Der Überraschungscoup geht vor allem auf eine Sparte zurück, von der die meisten privaten Kunden des Online-Händlers gar nichts ahnen: Der Konzern ist Marktführer bei Cloud-Diensten. Wer immer mehr Rechenleistung benötigt oder große Mengen Daten speichern muss, der braucht sich nicht mehr für viel Geld ein Rechenzentrum einzurichten, das meist kaum ausgelastet ist. Man mietet diese Leistung an, und zwar nach Bedarf. Wird der Monatsabschluss fällig, bucht der IT-Leiter etwas mehr Rechenpower, kommt die Saure-Gurken-Zeit, schraubt er alles aufs nötige Minimum herunter. Und das lässt sich mit ein paar Klicks am Computer steuern.

"Bezahle nur, was du wirklich brauchst", dieses Argument ist so schlagkräftig, dass auch mehr und mehr der traditionell zurückhaltenden deutschen Firmen IT-Aufgaben an Cloud-Dienste auslagern. Und Amazon ist in diesem Wachstumsmarkt besonders erfolgreich. Im zweiten Quartal wuchs das Cloud-Geschäft im Jahresvergleich um 81 Prozent. Es ist eine von vielen Ideen Bezos', Amazon ständig neu zu erfinden. Beileibe nicht alle davon haben Erfolg. Das eigene Smartphone etwa war ein grandioser Misserfolg.

Mode gehört zwar schon wie CDs oder Unterhaltungselektronik seit langem zum Sortiment des US-Versenders. Über die Jahre hat sich Amazon aber in dem Bereich zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten etwa für den Berliner Online-Modehändler Zalando entwickelt, auch wenn sich die Zahlen beider Unternehmen kaum vergleichen lassen. Die Amerikaner sehen sich bereits als zweitgrößten Schuhanbieter in Deutschland hinter Deichmann. Das mag übertrieben sein, zeigt aber die Ambitionen von Amazon.

In London eröffnete der Versandhändler dazu ein riesiges Fotostudio. Darin sollen jedes Jahr mehr als eine halbe Million Mode-Fotos geschossen werden. "Unser Ziel ist es, Amazon zum besten Ort für den Online-Einkauf von Fashion zu machen", sagte Sergio Bucher, der Chef von Amazon Fashion EU selbstbewusst. Es ist ein aussichtsreiches Vorhaben, gehört doch Mode zu den am stärksten wachsenden Produktkategorien. Und damit liegt es genau auf der Linie des Konzerns. Für diesen gilt nach wie vor Bezos' Firmenmotto: wachsen, wachsen, wachsen.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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