Olympische Spiele in Athen:Die Rechnung kommt später

Wie immer sollte alles schöner, besser, größer werden. Doch jetzt kämpfen die Griechen um jeden Tag Bauzeit — und merken, dass das dicke Ende erst noch kommt.

Von Christiane Schlötzer

In Athen sollte man in diesen Tagen den Blick nach oben richten, auf die Dächer der großen Hotels am zentralen Syntagmaplatz etwa, oder auf die frisch aufgepflanzten haushohen Pfähle am Rand des breiten Vassilis Sofias Boulevards.

Olympische Spiele in Athen: Drei Jahre passierte nicht viel. Jetzt wird an den olympischen Anlagen in Athen, wie an dieser gigantischen Promenade, fieberhaft gearbeitet. Foto: dpa

Drei Jahre passierte nicht viel. Jetzt wird an den olympischen Anlagen in Athen, wie an dieser gigantischen Promenade, fieberhaft gearbeitet. Foto: dpa

Antennentürme wachsen auf den feinen Herbergen Athens in den Himmel, und die neuen Stahlmasten tragen hochsensible Über-wachungskameras. Olympische Sicherheitstechnik vom Feinsten ist das, und teuer dazu.

Wie teuer, davon bekamen Bewohner eines Mietshauses im zentral gelegenen Stadtviertel Kolonaki jetzt einen kleinen Vorgeschmack.

Die staatliche Stromgesellschaft verschickte wie gewöhnlich ihre Rechnungen, und diesmal gab es eine Zusatzforderung: 17 Euro — allein für den Energieverbrauch der neuen Kamera vor dem Haus.

Athens Bürger fürchten schon lange, dass sie spätestens nach den Spielen für das olympische Fest büßen müssen. Aber schwarz auf weiß wurde ihnen bislang noch keine Rechnung präsentiert.

Die Kostenforderung für den Kamerastrom soll denn auch ein Versehen gewesen sein. Aber wer weiß? Schließlich hat die Verantwortlichen für die griechischen Spiele auf den letzten Metern vor dem Ziel eine besondere Art Lampenfieber ergriffen.

Dies äußert sich in einem hitzigen Wettstreit von Schuldzuweisungen, wer denn nun verantwortlich dafür sei, dass diese Olympischen Spiele die teuersten aller Zeiten sein werden.

Griechische Gigantomanie machte Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) für die Kostenexplosion verantwortlich.

Aber Evangelos Venizelos, bis zu den Parlamentswahlen am 7. März noch für die Spiele verantwortlicher Kulturminister, giftete zurück: "Ohne die großmannssüchtigen Griechen hätte es überhaupt nie Olympische Spiele gegeben, weder in der Antike noch in moderner Zeit."

Die unschönen Wortgefechte so kurz vor der olympischen Eröffnungsfeier am 13. August sind ein schrilles Vorspiel auf den Finanz-Tango, der nach den Spielen zu erwarten ist, wenn Sportler und Gäste Athen längst wieder verlassen haben.

Die Rechnung kommt später

Zu den Vorgaben für das dissonante Stück gehört etwa ein Bericht der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC), der die Kosten auf astronomische zehn Milliarden Euro taxiert.

Die im März abgewählte linke Pasok-Regierung hatte versprochen, weniger als die Hälfte, 4,6 Milliarden Euro, für das Großereignis auszugeben.

Die neuen konservativen Regenten haben schon erklärt, die veranschlagte Summe werde niemals reichen. Finanzminister Giorgos Alogoskoufis hat einem Parlamentsausschuss unlängst mitgeteilt, er rechne mit mindestens sechs Milliarden Euro.

"Für das kleine Griechenland eine ungeheure Herausforderung", sagt Theodosios Palaskas von der privaten Gesellschaft für wirtschaftliche und industrielle Forschung (IOBE) in Athen.

Sechs Prozent seines Bruttosozialprodukts von 2004 müsse Griechenland voraussichtlich für die Spiele aufwenden, sagt Palaskas. "In Sydney waren es nur 1,5 Prozent und in Barcelona 1,6 Prozent."

Nun liegt das Bruttosozialprodukt Australiens und Spaniens deutlich über dem Griechenlands. Aber auch wenn man dies in Relation setzt, sind die Spiele für Griechenland noch mehr als doppelt so teuer als jene in Spanien oder Australien. Palaskas sagt zu den Rekordrechnungen: "Zehn Milliarden Euro, das ist das oberste Dach."

Sucht man nach Ursachen für die Kostenexplosion, findet man spezifisch griechische und globale Gründe. Auf das griechische Konto gehen zum Beispiel Fehleinschätzungen, was den Umfang der Infrastrukturprojekte betrifft.

Athen zog neue Autobahnschneisen, erweiterte die U-Bahn und baute eine Straßenbahn — andere Olympiastädte hatten bereits ein funktionierendes Verkehrsnetz, als sie sich um die Spiele bewarben. Diese Investitionen sind aber für die Stadt schon jetzt von großem Nutzen.

Außerdem hat Griechenland nach dem Zuschlag für die Spiele 1997 mindestens drei Jahre Zeit vertan, bis die Organisation in die Gänge kam. Dann wollten viele profitieren.

Das griechische System der Vergabe öffentlicher Aufträge gilt schon unter gewöhnlichen Umständen als korruptionsanfällig. Das ist alles andere als ein Kostendämpfungsfaktor.

Die durch viele Verzögerungen entstandene Eile wirkt nun im olympischen Endspurt ebenfalls kostentreibend. Nun wird im Dreischichtbetrieb gebaut, und "drei Schichten kosten eben dreimal Geld", heißt es.

Die Rechnung kommt später

Wegen des atemberaubenden Termindrucks fehlt der Regierung jeder Hebel, die Forderungen der Firmen zu mäßigen. Einigen wurden gar Prämien versprochen, damit sie ihre Projekte rechtzeitig fertig stellen.

Es gibt auch eine globale Seite der Kostenrechnung. Hier schlagen vor allem die in höchste Höhen geschraubten Sicherheitsanforderungen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und dem Al-Qaida-Terror von Madrid und Istanbul zu Buche.

Ein großer Teil der aufwändigen Sicherheitstechnik für die Spiele kommt denn auch aus den USA. Etwa 1,2 Milliarden Euro soll das Sicherheitspaket nun kosten, ein Vielfaches des ursprünglich Geplanten.

Viel Geld haben dabei — wie bei teurer Technik häufig — Vermittler kassiert. Die Rede ist von 150 bis 200 Millionen Euro. Sicherheit für Athen ist ein großes Geschäft — nur nicht für Griechenland.

"Man hat nicht nach griechischen Lösungen gesucht, es musste das Neueste, das Modernste sein", sagt Jens Bastian, Analyst bei der griechischen Alpha Bank. "Griechenland", meint Bastian, "stößt mit den Spielen an seine Grenzen."

Das klang vor einer Weile noch ganz anders. Das Wirtschaftsinstitut IOBE hatte vorgerechnet, Griechenland werde beachtlichen Gewinn aus den Spielen ziehen. Die Studie beeindruckt durch Aufzählung des olympischen Bedarfs:

120.000 Stadionsitze, 100 Kilometer Zaun, 150.000 Uniformen, 10.000 Müllcontainer und vieles mehr. Die Kalkulation steht noch im Internet, aber Palaskas, der erst ein Jahr bei IOBE ist, kennt sie schon nicht mehr. Die Euphorie ist wie weggefegt.

Mehr als die vergangenen Träume interessiert den Ökonomen Palaskas die Zukunft. "Was machen wir nach den Spielen mit all den neuen Sportstätten, was tun wir mit einem Stadion mit 30.000 Plätzen in Kreta, was mit der Ruderanlage für einen Sport, der in Athen kaum ausgeübt wird?"

Sollten alle Anlagen unter staatlicher Verwaltung bleiben, "wird es teuer", fürchtet Palaskas, der auch Professor an der Panteion-Universität in Athen ist. Entscheidungen zur späteren Nutzung sollen erst nach dem Sommer getroffen werden.

"Die Regierung will erst die Spiele über die Bühne bringen", sagt Palaskas. Böse Zungen behaupten schon, die schönen teuren Sportstätten würden nach den Spielen wieder vergammeln, weil Geld und Interesse für die Erhaltung fehlen.

Mit der Regierung hat Premier Kostas Karamanlis im März auch das Amt des Olympiaministers selbst übernommen, denn die Spiele sind eine nationale Angelegenheit.

Die Rechnung kommt später

Daher sollten sie, hatten Konservative wie Sozialisten im Wahlkampf geschworen, vom Parteienstreit unbefleckt bleiben. Spätestens im Herbst aber dürfte der olympische Frieden vergessen sein.

Karamanlis hat seinen Wählern Steuersenkungen versprochen. Diese werden wohl eine Fata Morgana bleiben, ebenso wie die alten hoffnungsvollen Olympia-Bilanzen. Statt dessen gibt es bereits Spekulationen über eine olympische Sondersteuer oder eine Art olympischen Solidarpakt Griechenland.

Finanzminister Alogoskoufis hat schon angekündigt, dass es Griechenland schwer fallen werde, sein Budget-Defizit unter der von der EU geforderten Schwelle von drei Prozent zu halten.

Diese Marke wurde auch 2003 schon knapp überschritten. Die öffentliche Verschuldung, eine der höchsten in der Euro-Zone, könnte 2004 von 103 auf 108 Prozent des Bruttosozialprodukts steigen, sagte Alogoskoufis der griechischen Zeitung Kathimerini.

Einschränkungen bei den Ausgaben und forcierte Privatisierungen sollen harte Maßnahmen vermeiden helfen, schrieb das Blatt.

Aber es gibt noch immer Unbekannte in der großen Rechnung. So müssen die vielen Überstunden der Polizisten abgerechnet werden. Die Fahrer von Notarztwagen drohten schon mit Streik während der Spiele, sollte die Regierung ihre Forderungen nach einem Olympia-Bonus nicht erfüllen, wie er auch dem Sicherheitspersonal versprochen wurde, das 2500 Euro extra erhält.

Die Angestellten der staatlichen Krankenhäuser wollen dasselbe und feste Jobs für Teilzeitbeschäftigte. Bauminister Giorgos Souflias und Finanzminister Alogoskoufis haben schon laut darüber nachgedacht, ob es nicht besser gewesen wäre, Griechenland hätte die Olympiade nie gewagt.

Michalis Efstathiadis ist damit nicht einverstanden. Der Mann ist Computeringenieur, und sein Hobby sind gewagte architektonische Konstruktionen.

An jenem Juni-Abend, als in Athen das futuristische Dach des spanischen Architekten Santiago Calatrava über das Olympiastadion gerollt wurde, stand Efstathiadis mit einem Fernglas am Stadionrand, begeistert von der technischen Hochleistung.

"Vielleicht hätten wir lieber ein neues Stadion bauen sollen", sagt der Olympia-Fan. Womöglich wäre das sogar billiger gewesen. Etwa 200 Millionen Euro kostet Calatravas Sahnehaube aus Stahl und Fiberglas für die schon 1981 errichtete Arena. Andernorts baut man dafür tatsächlich ein ganzes Stadion.

Nun soll auf ein Calatrava-Monument im Stil einer Sonnenuhr vor dem Stadion verzichtet werden. "Wir wollen jede Extravaganz vermeiden", so der Star-Architekt. Nun möchte er nur einen Brunnen errichten, mit einer 60 Meter hohen Fontäne. Auch nicht gerade bescheiden.

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