Olympische "Protz"-Spiele:"Die wüten wie die Verrückten"

Peking will 2008 die besten, modernsten, teuersten Spiele aller Zeiten präsentieren - dafür zahlen viele Chinesen schon jetzt einen hohen Preis.

Von Markus Balser

Ganz in Rot tanzt der Tai-Chi-Mann hoch oben über dem Platz des Himmlischen Friedens. Fünf geschwungene Linien für fünf olympische Ringe formen das Maskottchen der Spiele, das die Pekinger begeistern soll.

Olympische "Protz"-Spiele: Auch diese Arbeiter wollen vielleicht den Bau-Geschwindigkeits-Preis gewinnen.

Auch diese Arbeiter wollen vielleicht den Bau-Geschwindigkeits-Preis gewinnen.

(Foto: Foto: dpa)

Es klebt in Taxen und auf Fahrrädern, wandelt sich in TV-Spots vom Tai-Chi-Turner, Chinas ureigenster Ertüchtigungsform, zum Sprinter oder Schwimmer und soll die Verbindung herstellen, zwischen dem neuen und dem alten China.

Seit kurzem kündet es auch auf einer Olympiauhr im Zentrum Pekings von der neuen Zeitrechnung der Stadt. Doch das Volk bleibt auf Distanz und hat vor allem Augen für die Relikte des alten Reiches.

"Der Osten ist rot", tönt die Nationalhymne aus den knisternden Lautsprechern vor dem Mao-Mausoleum gegenüber. Während die Olympiauhr unbemerkt tickt, schauen tausende Touristen ergriffen auf Chinas Fahne mit den fünf gelben Sternen, die im allmorgendlichen Ritual gen Himmel gezogen wird.

"Die besten Spiele aller Zeiten"

"New Beijing, Great Olympics", heißt der offizielle Slogan der Regierung. Wie kein Ereignis zuvor werden die Olympischen Spiele im Sommer 2008 als Rückkehr des Landes auf die Weltbühne betrachtet.

Spiele der Hochtechnologie, Grüne Spiele, vor allem Spiele für die Menschen hat Chinas Führung dem Volk versprochen- und will die Fünfzehn-Millionen-Kapitale nach einer generalstabsmäßigen Planung in neuem Licht präsentieren. 35 Milliarden Dollar wird es sich die Regierung kosten lassen, der Welt "die besten Spiele aller Zeiten" zu präsentieren, wie Staats- und Parteichef Hu Jintao verspricht.

Ein zu hoher Anspruch? Nein, sagt Liu Jingmin, Bürgermeister von Peking und Mitglied des Olympischen Organisationskomitees Bocog. "Das treibt uns an", sagt Liu.

Die Olympischen Spiele sollen den wirtschaftlichen und sozialen Wandel des ganzen Landes forcieren. Liu erzählt von bequemen Wohnblocks und glücklichen Bewohnern, von neuen U-Bahnlinien und modernen zehnspurigen Straßen. "Peking erfindet sich neu", erklärt der Bürgermeister stolz.

Wer dem Fortschritt zum Opfer fällt

Seine Stimme verleiht Wörtern wie Wachstum einen poetischen Klang. Karge Unterkünfte gehörten in Peking bald der Vergangenheit an, so Liu. Spätestens im Jahr 2008, so das Ziel der Bezirksregierung, wird Peking eine "fortschrittliche asiatische Metropole" sein.

Im Februar des vergangenen Jahres hat Li Jinghua erfahren, was so viel Fortschritt bedeutet. "Chai", Abriss, stand im schlichten Räumungsbescheid der Bezirksregierung. Nur zehn Tage später holten die Behörden die Habseligkeiten der 40-Jährigen, ihrer Eltern und des kranken Großvaters aus dem Haus im Zentrum der Stadt und machten es dem Erdboden gleich.

Einspruchsmöglichkeiten? Keine. Die Entschädigung lehnte die Familie ab. Sie hätte gerade für eine Wohnung in tristen Vorstadtsilos gereicht. Nun hausen drei Generationen kaum hundert Meter weiter in einer winzigen Zwölf-Quadratmeter-Wohnung und kämpfen unermüdlich um ein neues Zuhause im alten Viertel. Jeden Tag ruft Lis Vater im Büro des Bürgermeisters an - 928 mal bisher. Durchgekommen ist er noch nie.

Pekings Gesicht wird erbarmungslos zwangsgeliftet. Die Stadt verliere mit der Modernisierung ihre Seele, klagt die wachsende Zahl der Kritiker, meist Akademiker, Künstler und Bewohner der historischen Viertel. "Berufliche Existenzen verschwinden - der kleine Laden oder das Restaurant", sagt eine Pekinger Kunstprofessorin. "Es kann ihnen gar nicht schnell genug gehen. Sie wüten wie die Verrückten."

Von den insgesamt etwa 4000 traditionellen Gassen, die noch vor 20 Jahren die Innenstadt prägten, existieren heute nur noch ein paar hundert. Mehr als 100.000 Haushalte wurden vertrieben und umgesiedelt. Dass es den Behörden dabei allein um bessere Lebensumstände für die Bewohner geht, mag kaum jemand glauben.

"Die wüten wie die Verrückten"

Vor allem korrupte Beamte, die oft gleichzeitig Bau- und Immobiliengesellschaften verwalteten und teuren Baugrund in bester Lage zu vergeben hätten, profitierten von der Umsiedelung, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Olympische "Protz"-Spiele: Pekinger Arbeiter vor einem Staionsposter.

Pekinger Arbeiter vor einem Staionsposter.

(Foto: Foto: dpa)

Penibel aufgearbeitet wird Pekings Geschichte nun im Norden der Stadt. Der Olympiapark für die Spiele des Volkes liegt zwischen der vierten und fünften Ringstraße. Für die Anlage haben sich die Planer etwas einfallen lassen.

Inspiriert von der chinesischen Geschichte bilden die Architekten eine Zeitachse der wichtigsten Dynastien ab. Jedes Stadion steht für eine andere Epoche. Die Achse beginnt im Norden mit dem Zeitalter der fünf Kaiser. Das Nationalstadion wird weiter südlich gebaut, auf Höhe der Tang-Dynastie, einer Blütezeit der chinesischen Kultur.

Schließlich endet sie ganz im Süden mit der Gründung der Volksrepublik China - in einer riesigen Baugrube. Das Gelände wird von Polizisten bewacht und von Mauern umgeben. Ohne Genehmigung durch den Bürgermeister kommt niemand rein.

Projektmanager Fu Chengping hat seine eigene strenge Zeitachse fest im Blick. 600 Wanderarbeiter aus den ärmsten Provinzen des Landes arbeiten auf seiner Baustelle im Dreischichtbetrieb, sieben Tage pro Woche, 52 Wochen pro Jahr - und verdienen dabei wohl kaum mehr als 150 Euro pro Monat, den üblichen Lohn für einfache Arbeiter in Peking.

Bis März 2007 soll Pekings modernste Schwimmhalle fertig sein. "Schließlich wollen wir den Baugeschwindigkeitspreis der Bezirksregierung gewinnen", sagt Fu mit einem verlegenen Lächeln. "Wir stehen im Wettbewerb mit allen anderen Baustellen."

"Pekinger Protzspiele"

Was nach den Spielen aus den teuren und modernen Arenen werden soll? Herr Fu zuckt mit den Schultern.

Denn ein Land der Freizeitsportler ist China nicht. Zwar hilft die Stadtregierung mit einigen öffentlichen Sportparks nach. Doch die meisten Arbeiter müssen zu hart schuften und die wenigen Neureichen halten es eher mit dem Grundsatz Man, man lai - immer schön langsam.

Das Internationale Olympischen Komitee (IOC) hatte die Stadt schon im vorigen Jahr gewarnt, sie könne sich mit den "teuersten Spielen aller Zeiten" übernehmen. Langsam regt sich nun auch in China Protest gegen die Ausgaben.

Medien kritisieren offen den "Fieberwahn" bei der Planung der "Pekinger Protzspiele". Fast drei Milliarden Euro sind allein für 18 neue Stadien in der Hauptstadt veranschlagt. Die übrigen Infrastrukturprojekte wie die U-Bahn sollen insgesamt gut 30 Milliarden Euro kosten.

"Die wüten wie die Verrückten"

Olympische "Protz"-Spiele: Der Jubel war groß, als Peking den Zuschlag für die Spiele bekam. Jetzt folgt bei Vielen die Ernüchterung.

Der Jubel war groß, als Peking den Zuschlag für die Spiele bekam. Jetzt folgt bei Vielen die Ernüchterung.

(Foto: Foto: AP)

Wenigstens einige Millionen Euro sparen

Zum Vergleich: Athen war für insgesamt zehn Milliarden Euro auf olympisches Niveau gebracht worden. Mittlerweile signalisiert auch die Stadtregierung Einsehen.

Das Organisationskomitee will die Pläne überdenken und kostengünstiger gestalten, wenigstens um einige hundert Millionen Euro.

Wohl auch, um auf die wirtschaftspolitische Linie der Regierung einzuschwenken, die seit diesem Jahr auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie setzt und eine Überhitzung der chinesischen Volkswirtschaft verhindern will.

Gespart werden soll vor allem am Bau des Nationalstadions, dem Herzstück der Pekinger Olympia-Architektur. Die "Vogelnest" genannte Konstruktion der Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron soll ohne das geplante Schiebedach auskommen. Doch ein Großteil der Investitionen soll nicht gekürzt werden.

"Effektivitätsgewinne weit über 2008 hinaus"

Die große Chance der Spiele liege gerade in den wirtschaftlichen Möglichkeiten, verteidigt sich Wang Qishan, Direktor der Pekinger Entwicklungs- und Reformkommission. Wang glaubt, dass die Spiele bis 2008 Investitionen von insgesamt 180 Milliarden US-Dollar auslösen könnten. Und anders als Athen werde Peking nicht draufzahlen, glaubt Wang.

Fred Hu, China-Chefvolkswirt der Investmentbank Goldman Sachs sagt jedenfalls voraus: "Die Olympischen Spiele im Entwicklungsland China werden das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent jährlich erhöhen. Die Effektivitätsgewinne aber werden weit über 2008 hinausreichen."

Auch am sportlichen Erfolg wird nicht gespart. Der Staatsrat, die höchste Ministerriege, hat eine "Goldmedaillenstrategie" verabschiedet. Das "Projekt 119" beispielsweise läuft auf vollen Touren.

So viele der 301 Goldmedaillen sind in den olympischen Kernsportarten Schwimmen, Turnen und Leichtathletik abzuräumen, weshalb die Regierung inzwischen auch mit Hilfe von Sponsoren Unsummen in die Ausbildung der Sportler steckt.

Höchste Aufmerksamkeit genießen dabei westlichen Sportarten wie Hockey oder Fußball, denn die sind für Sponsoren besonders interessant. Und so wundern sich Urlauber am Strand von Rio de Janeiro über junge chinesische Beachvolleyballer, die dort ein siebenmonatiges Trainingscamp absolvieren.

Der Durchbruch, das Wort wird wie ein Mantra gebraucht, werde überdies auch in Randsportarten angepeilt. "Der Drache kann jeden überrunden", titelt die Zeitung Peking-Nachrichten selbstbewusst.

Werden es tatsächlich die Spiele des Volkes? Li Fengli, Generalsekretär des Olympischen Komitees in Qingdao nickt heftig. In der gut 600 Kilometer südöstlich von Peking gelegenen Küstenmetropole werden 2008 die Segelwettbewerbe ausgetragen. Bislang gab es hier zwar keine Segler.

Aber auch das Problem hat China in den Griff bekommen. Um nicht ohne eigenes Team antreten zu müssen, wurden Olympioniken per Zeitungsanzeigen gesucht. Wer Interesse am Segelsport hat, solle sich am Hafen melden. Liu Zhen meldete sich.

Der 15-Jährige lebt seither im Übungscamp nach strengen Regeln: Morgens Schule, nachmittags und an den Wochenenden Trainingseinheiten, abends Hausaufgaben. Nun will Liu möglichst weit vorne mitsegeln. Der Goldmedaille wegen? "Naja", sagt Liu, "Olympia, das ist schließlich mein Beruf."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: