Oligarchen in Griechenland:"Ich werde dich und deine Familie töten"

Augustine Zenakos (Foto: A. Zavallis)

Unfollow-Chefredakteur Augustine Zenakos (Foto: A. Zavallis)

Nicht nur die linke Syriza kämpft gegen die griechischen Oligarchen: Augustine Zenakos ist Chefredakteur des unabhängigen Magazins "Unfollow". Er berichtet schon lange kritisch über die Mächtigen - Todesdrohungen inklusive.

Interview von Jakob Schulz

Herr Zenakos, die linke Syriza-Partei hat im Wahlkampf heftig gegen Oligarchen gewettert. Welchen Eindruck haben Sie, wie groß ist das Problem der Oligarchie in Griechenland?

Der Einfluss der Oligarchen ist ein sehr ernstes Problem. Die griechische Wirtschaft wird kontrolliert von einem System aus sehr wenigen reichen, einflussreichen Familien, großen Medien, Banken und Politikern. Das sollte das erste sein, worauf jede Reform abzielt. Leider ist jede einzelne Regierung der vergangenen Jahrzehnte bislang genau davor zurückgeschreckt.

Augustine Zenakos

Augustine Zenakos, 40, ist Chefredakteur des linksgerichteten Magazins Unfollow. Der griechische Journalist arbeitete von 2000 bis 2010 bei der Zeitung Tribune und für andere Medien. Er war Mitbegründer der Athener Biennale und von 2005 bis 2010 stellvertretender Direktor.

Sie leiten in Athen das Magazin "Unfollow". Sie legen Wert darauf, unabhängig arbeiten zu können. Wozu führt das?

Im vergangenen Jahr mussten wir mehrmals vor Gericht, weil der Reeder und Öl-Magnat Dimitris Melissanidis uns verklagt hatte. Wie Unterlagen der Zollbehörden nahelegen, war seine Firma Aegean Oil in einen großen Öl-Skandal verwickelt. Das Unternehmen kaufte demnach Öl als steuerbefreiten und damit günstigeren Schiffsdiesel. Den verkaufte sie dann als Öl weiter. Wir haben den Bericht der Zollbehörden natürlich veröffentlicht und wurden daraufhin bedroht und verklagt. Das passiert eben, wenn man solche Geschichten veröffentlicht. Deshalb tun das in Griechenland auch nur sehr wenige Journalisten.

Melissanidis ist ein griechischer Klischee-Oligarch. Er besitzt einen Athener Fußballverein, hauptberuflich ist er Reeder und Besitzer eines mächtigen Ölkonzerns. Was genau hat er nach der Veröffentlichung getan?

Nun, er hat uns angerufen. Wir saßen in der Redaktion, das Telefon klingelte und der Reporter Lefteris Charalampopoulos nahm den Hörer ab. Er hatte die Enthüllungsgeschichte geschrieben. Ein paar Sekunden später, als er realisiert hatte, wer der Anrufer war, stellte er das Gespräch auf laut. Der Mann am anderen Ende der Leitung stellte sich als Dimitris Melissanidis vor und fing sofort an, obszön zu fluchen und zu drohen. Er sagte, er würde den Reporter und seine Familie töten, er würde sie im Schlaf in die Luft sprengen. So ging das für eine Weile weiter. Nach dem Telefonat verfolgten wir den Anruf zurück. Und tatsächlich: Der Anrufer meldete sich direkt aus der Zentrale von Aegean Oil. Natürlich haben wir Klage eingereicht, ich hoffe, der Fall wird irgendwann vor Gericht kommen.

Woher wissen Sie, dass der Anrufer wirklich Melissanidis war?

Melissanidis ist in Griechenland kein Unbekannter, er besitzt sogar einen Fußballverein. Unser Reporter war früher Sportjournalist und kennt Melissanidis und seine Stimme gut von früheren Berichten.

Das "Unfollow"-Magazin

Unfollow erscheint seit 2011. Gemeinsam mit sechs fest Angestellten und mehreren Dutzend freien Mitarbeitern erstellt Chefredakteur Augustine Zenakos die politisch linksgerichtete Zeitschrift im Monatsrythmus. Das Magazin befasst sich mit Politik und Wirtschaft, aber auch mit Kunst, Kultur oder gesellschaftlichen Themen. Die Auflage beträgt 8000 Exemplare, Kosten pro Stück fünf Euro. Dieser hohe Preis ist nötig, um das geringe Anzeigenvolumen auszugleichen. Unfollow verweigert sich Werbung aus dem Finanzsektor oder von großen Firmen, um unabhängig berichten zu können.

Wie funktioniert denn das von Ihnen beschriebene System aus einflussreichen Familien, Medien und Politik?

Die meisten Medienhäuser in Griechenland sind im Besitz großer Konzerne. Viele Eigentümer von Sendern und Zeitungen haben deshalb direkte oder indirekte Interessen in anderen Wirtschaftsbereichen. Sie verdienen ihr Geld zum Beispiel auch im Bausektor, im Bergbau, mit Immobilien, Logistik, Energie, Öl und sogar dem Waffengeschäft.

...der Gründer des großen Medienkonzerns Antenna Group ist ebenfalls Reeder, Ölunternehmer und besitzt einen Basketballverein...

Richtig. Hinzu kommt, dass die meisten Medienkonzerne hoch verschuldet sind. Sie können aber überleben, weil Banken ihnen großzügige Kredite gewähren. Diese Kredite wiederum werden zum Teil vergeben, weil Politiker Druck auf die Banken ausüben. Im Gegenzug unterstützen diese Medien dann die regierende Politik. Gleichzeitig üben die Medien und die dahinterstehenden Oligarchen viel Druck auf die Politik aus. Oft ist der Einfluss so groß, dass das Parlament Gesetze durchwinkt, die auf bestimmte Konzerne maßgeschneidert sind. Das geht so weit, dass einer bestimmten Ölfirma die Steuern erlassen werden. Solche Vorgänge finden natürlich selten den Weg in die Mainstreampresse.

Was die Verflechtungen für Journalisten bedeuten

Wie schlägt sich dieses System gegenseitiger Abhängigkeiten in der Arbeit der Journalisten nieder?

Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Mitarbeiter großer Zeitungen und Sender zunehmend Schwierigkeiten hatten, journalistisch zu arbeiten. Ich selbst habe gekündigt, als ich das Gefühl hatte, nicht mehr unabhängig berichten zu können. Manche Medienhäuser haben gezielt die Journalisten gefeuert, die eine eigene, abweichende Meinung hatten. Andere wurden entlassen, nachdem sie sich gegen solche Entlassungen gewehrt und in Gewerkschaften engagiert hatten.

Was bedeutet das für die Berichterstattung?

Sensible Themen oder einflussreiche Akteure werden nur noch von den wenigsten Zeitungen und Sendern kritisch beleuchtet. Das gilt nicht nur für Oligarchen, sondern auch für die Regierungspolitik, Menschenrechte, Polizeigewalt. All das findet in den Medien so gut wie nicht mehr statt. Was die Leute dagegen ständig lesen können, ist, dass Griechenland reformiert werden muss, dass Griechenland der EU dankbar sein muss, dass die Regierung auf dem richtigen Weg ist. Das ist wahnsinnig einheitlich.

Was tun Sie und das Magazin "Unfollow" angesichts dieser Situation?

Bei Unfollow versuchen wir, die üblichen Gewissheiten zur Euro-Krise oder den Sparmaßnahmen zu hinterfragen. Vor dem Hintergrund der skizzierten Medienlandschaft halten wir das für besonders wichtig. In Griechenland gibt es keinen Mangel an Information, sondern einen Mangel an objektiver Analyse und Einordnung. Und das führt zu uninformierten Bürgern. Den Menschen hier fehlen die Werkzeuge, um die Handlungen der Regierung kritisch zu hinterfragen. Das wird auch für die Politik selbst irgendwann zum Problem.

Was ist denn mittlerweile aus der Auseinandersetzung mit dem Öl-Tycoon Dimitris Melissanidis geworden?

Er hat Unfollow wegen des Berichts über den Ölschmuggel verklagt, aber es gibt seit fast zwei Jahren kein Urteil. Griechische Gerichte sind berüchtigt für ihre Verzögerungen, aber das hier spottet jeder Beschreibung. Die Situation zeigt einmal mehr deutlich, was es heißt, unabhängig zu sein. Einerseits können wir kritische Berichte über Oligarchen und die Regierung veröffentlichen. Andererseits können die Mächtigen uns mit Gerichtsverfahren angreifen, die wir uns schlicht nicht leisten können, zu verlieren.

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